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Krankenversicherung für Indiens Arme

Katja Keppner, Neu-Delhi25. Februar 2014

Ein Projekt der Superlative ist die Krankenversicherung für die Ärmsten der Armen in Indien. Seit 2008 kommt sie mehr als 36 Millionen Familien zugute. Als Erfolg gefeiert, steht sie auch vor großen Herausforderungen.

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Krankenversicherung in Indien: Rinku Hanshi RSBY-Versicherte (Foto: Katja Keppner/DW)
Bild: DW/K. Keppner

Seit einer halben Stunde stehen sie in der Schlange. Rinku Hanshi trägt auf ihrem Arm die kleine Mano. Die Zweijährige ist das vierte Kind der 28 Jahre alten Frau. Vor ihr geben die Wartenden Fingerabdrücke ab und lassen sich von einer kleinen Webcam fotografieren. Sie sind heute hier wegen der Smartcard, erzählt Rinku. Sie habe davon gehört, als ein Wagen mit aufgebundenem Lautsprecher am Tag zuvor durch die engen Straßen der nordindischen Kleinstadt Kosi Kalan fuhr und eine Frauenstimme verkündete: "Registrieren sie sich jetzt! Einmal 30 Rupien bezahlen und Sie und Ihre Familie erhalten Leistungen im Krankenhaus im Wert von bis zu 30.000 Rupien! Einfach eine Smartcard beantragen!"

Brauchte ein Familienmitglied der Hanshis zuvor Behandlung im Krankenhaus, mussten die Tagelöhnerin und ihr Mann das aus eigener Tasche bezahlen. Das hätte unter Umständen ihren finanziellen Ruin bedeutet, erzählt sie. So wie Rinku geht es in ganz Indien etwa einer halben Milliarde Menschen. Sie leben unterhalb der gesetzlich definierten Armutsgrenze und haben seit 2008 Anspruch darauf, Mitglied des Rashtriya Swasthya Bima Yojana (RSBY) zu werden. RSBY steht für Nationales Gesundheitsversorgungsprogramm und ermöglicht eine kostenlose Behandlung im Krankenhaus.

Krankenversicherung in Indien: Patient (Foto: Katja Keppner/DW)
Krankenhausbehandlungen können sich die Ärmsten der Armen ohne Versicherung nicht leistenBild: DW/K. Keppner

Bargeldlos und unbürokratisch

Was sich simpel anhört, ist ein technisches Vorhaben der Superlative. Zum ersten Mal werden im Rahmen des Sozialprogramms die Daten digital auf dem Chip einer Smartcard erfasst. Einzelne indische Bundesstaaten planen sogar, künftig auch andere staatliche Leistungen über die RSBY-Karte abzuwickeln. Ohne aufwändige Formulare, die häufig für Menschen, die weder schreiben noch lesen können, die größte Hürde sind.

An der staatlich finanzierten Krankenversicherung beteiligen sich inzwischen fast alle 28 Bundesstaaten Indiens. Freiwillig. Dahinter steckt ein kompliziertes System aus Anreizen, das vor allem private Versicherungen und Krankenhäuser dazu bringt, an dem RSBY Programm teilzunehmen: Die Aufgabe der Versicherungen ist es, dafür zu sorgen, dass Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, von dem Programm erfahren und sich eine Smartcard zulegen. Diese gilt jeweils für bis zu fünf Personen. Der Staat bezahlt den Versicherungen eine Prämie und den Familien einen Krankenhausaufenthalt für bis zu 30 Tausend Rupien pro Jahr - umgerechnet etwa 350 Euro. Mehr als zehntausend öffentliche und private Krankenhäuser im ganzen Land nehmen RSBY-Patienten wie Rinku inzwischen auf. Mehr als 130 Millionen Inder, die unterhalb der Armutsgrenze leben, sind bislang durch das RSBY- Programm versichert. Stolz präsentiert die Regierung diese Zahlen auf ihrer Webseite.

Krankenversicherung in Indien: Werbung (Foto: Katja Keppner/DW)
Per Lautsprecher werden die Menschen in den ländlichen Gebieten geworbenBild: DW/K. Keppner

"Subventionierung privater Anbieter"

Vor allem für Operationen am Auge, Kaiserschnitte und Geburten, aber auch für orthopädische Eingriffe wird die Versicherung genutzt. Ambulante Behandlung ist im Rahmen des RSBY nicht vorgesehen. Genau das kritisieren Experten wie Sakhtivel Selvaraj von der Stiftung Public Health Foundation of India. "Dadurch steigen die Anreize für die Krankenhäuser, schneller und häufiger zu operieren, als es eigentlich nötig ist. Anstatt private Akteure innerhalb des Milliardenmarktes auch noch zu subventionieren, sollte der indische Staat mehr Mittel in die öffentliche Gesundheitsvorsorge stecken." Trotz der beeindruckend hohen Zahl der registrierten RSBY-Versicherten müssten die Menschen nach wie vor zum Beispiel Medikamente aus der eigenen Tasche bezahlen, so Selvaraj.

Eine Ausweitung auf ambulante Behandlung wäre zu teuer und organisatorisch kaum zu stemmen, meint hingegen Helmut Hauschild von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Sein Team berät das indische Arbeitsministerium seit etwa drei Jahren bei der Umsetzung und bildet beispielsweise IT-Fachpersonal in den Verwaltungen aus. Das Einzigartige sei, dass kein Versicherter beim RSBY als Bittsteller auftrete, sondern Geld in der Tasche, beziehungsweise auf der Smartcard habe. Das erhöhe den Anreiz für die Krankenhäuser, die neuen Kunden ordentlich zu behandeln, um sie nicht zu verlieren. Außerdem sei das Programm inzwischen einer stärkeren Kontrolle ausgesetzt, als es bei vielen anderen Sozialprogrammen üblich ist. Versicherungen müssten Strafzinsen leisten, wenn sie nicht rechtzeitig an die Krankenhäuser bezahlten und es gebe Sanktionen gegenüber Bundesstaaten, wenn diese die Versicherungen nicht rechtzeitig bezahlten. Dadurch sei das Programm in den vergangenen Jahren gereift, sagt Hauschild.

Krankenversicherung in Indien: Wartende Patienten (Foto: Katja Keppner/DW)
Patienten warten auf eine BehandlungBild: DW/K. Keppner

Schwierige Erfassung der Daten

Die viel größere Herausforderung sei es, innerhalb der armen Bevölkerung und in entlegenen Gebieten ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es die RSBY-Versicherung gibt, sagen Experten. Außerdem bereiteten veraltete Daten dem RSBY große Probleme. Denn auf die Liste der Leistungsberechtigten kommen nur jene Menschen, die nach dem Zensus 2002 unterhalb der von der indischen Regierung definierten Armutsgrenze liegen. Durch Wanderarbeit, Umzug in die Städte oder auch einen ökonomischen Aufstieg kann sich seitdem viel geändert haben. Das kritisiert auch Rajendra Singh. Er ist Vertreter der "State Nodal Agency", jener Behörde, die das Programm in einem der Bundesstaaten überwachen soll. "Das Problem ist, dass wir hier den Daten aus dem Jahr 2002 folgen müssen. In Wahrheit gibt es mittlerweile viel mehr Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, aber nicht auf der Liste stehen. Die beschweren sich dann und wir können ihnen nicht helfen."

Laut offiziellen Angaben wurden seit dem Start des Programms Anfang April 2008 mehr als sechs Millionen Menschen unter RSBY im Krankenhaus behandelt. Einer von ihnen ist Leele Dhar. Den 35-Jährigen quälten seit eineinhalb Jahren heftige Schmerzen im Unterleib. Das Geld für eine Operation nach seinem Leistenbruch hatte er nicht. "Ich hätte sonst unsere Rinder verkaufen müssen", erklärt er im Krankenbett sitzend. Nachdem er von der RSBY Krankenversicherung gehört hatte, habe sich das Leben für ihn, seine Frau und die beiden Kinder schlagartig geändert. In 2 Tagen, so hofft er, kann er wieder zurück auf seine Felder. Er will seinen Nachbarn davon erzählen, wie gut er im Krankenhaus behandelt wurde, sagt er.