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Leben in Angst: Korruption gefährdet Mitarbeiter

Ben Knight
4. August 2022

Aktivisten beklagen, dass Mitarbeiter von Bergbaukonzernen zu wenig Unterstützung beim Umgang mit Bestechung erhalten, wenn sie in korrupten Ländern tätig sind. Ein ehemaliger Manager fürchtet um sein Leben.

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Kolumbien Bergbau Cerrejon
Bild: Georg Ismar/dpa/picture alliance

Dominic French* begibt sich seit über zwei Jahren kaum noch in die Öffentlichkeit. Die Welt, die er mit seiner philippinischen Frau und seinen drei Kindern bewohnt, ist ein Haus mit einem kleinen Garten in einer abgelegenen Region der Philippinen. "Wir sind ziemlich gut darin geworden, uns zu verstecken", sagte er der DW in einem Videoanruf.

Das Haus ist auf den Namen seiner Frau registriert, die Kinder lernen nur durch Online-Kurse, die einzige Reise der Familie in den letzten Monaten war eine Fahrt zu einer Auffrischungsimpfung im Mai, bei der sie Masken trugen und in einem Auto mit getönten Scheiben fuhren. Inzwischen leiden sie unter Depressionen und Erschöpfung. Ein Psychologe hat bei seiner Frau und seinen Kindern eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. "Wir können so nicht weiterleben", sagte French. "Das ist kein Leben."

Der einzige Zeuge einer Bestechung

French ist überzeugt, dass sein Leben in Gefahr ist. Er ist der einzige Zeuge einer Bestechung, die sein ehemaliger Arbeitgeber, der australische Bergbaugigant BHP Billiton, im Jahr 2008 gemacht haben soll.

In dieses Verbrechen sind mutmaßlich ein gut vernetzter philippinischer Politiker und ein mächtiger Geschäftsmann verwickelt. Beide Personen wurden von French gegenüber der DW namentlich genannt, werden aber zum Schutz seiner Sicherheit hier nicht erwähnt. French lieferte zudem Beweise dafür, dass andere Mitarbeiter diesen Geschäftsmann fürchteten. Keiner von ihnen war bereit, für diesen Artikel Stellung zu nehmen. Der Politiker genießt landesweit Ansehen.

Der Geschäftsmann soll damals den Politiker mit einer Luxusreise zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking bestochen haben. Dadurch kaufte sich BHP möglicherweise einen Vorteil in einem Rechtsstreit um eine Bergbaulizenz. Der Bergbaukonzern zog sich zwar von der Bestechung zurück, allerdings erst, nachdem die Gerichtsentscheidung zugunsten des Unternehmens ausgefallen war.

Olympischen Sommerspiele Peking 2008 Feuerwerk
Bestechungsgeschenk: eine Reise zu den Olympischen Sommerspielen in Peking 2008 Bild: picture-alliance/dpa

Lebensbedrohliche Korruption

French hat guten Grund, sich um sein Leben zu sorgen. 2007, in der Zeit, in der er noch für BHP tätig war, teilte ihm ein Sicherheitsberater der australischen Botschaft mit, dass es glaubwürdige "Entführungsdrohungen gegen Lösegeld" gegen ihn und andere BHP-Auslandsmitarbeiter gegeben habe. 2015, nachdem der Bestechungsplan öffentlich bekannt wurde, tauchten dann vor Frenchs Haus verdächtige weiße Lieferwagen und unbekannte Motorradfahrer auf. Ein guter Grund misstrauisch zu sein, denn auf den Philippinen kämen Entführungen "häufig und überwiegend zu kriminellen Zwecken" vor, wie es in einem Menschenrechtsbericht der US-Regierung aus dem Jahr 2021 heißt.

Vom Bergbauunternehmen BHP heißt es zu dem Thema, man sei sich der Gefahr bewusst und die Sicherheit der Mitarbeiter habe "höchste Priorität": "Wir haben engagierte Compliance-, Sicherheits- und Gefahrenabwehrteams in unseren weltweiten Betrieben, die alle unsere Mitarbeiter unterstützen und sie in einer Vielzahl von Fragen, einschließlich Bestechung und Korruption, beraten und anleiten", so das Unternehmen in einer Erklärung gegenüber der DW. "Wir haben auch mehrere Kanäle eingerichtet - einschließlich einer anonymen Meldestelle - die dazu ermutigen und dabei helfen, jegliche Bedenken zu äußern."

Es fehlen klare Richtlinien im Umgang mit Korruption

Laut Serena Lillywhite, CEO von Transparency International Australien, sind Führungskräfte wie French jedoch oft nicht ausreichend für den Umgang mit diesen Themen gerüstet. "Es gibt eine Diskrepanz zwischen: "Oh, wir wollen unsere Mitarbeiter schützen" und "Wir wollen nicht unbedingt über die Tatsache sprechen, dass uns in so vielen Ländern, auf die Schulter geklopft wird, um Bestechungsgelder zu zahlen"", sagte sie der DW. "Sie wollen nicht, dass das an die Öffentlichkeit kommt und opfern da lieber ihre Mitarbeiter."

French ist der Ansicht, dass er ein solcher geopferter Mitarbeiter sei. Er hält Korruption für ein "chronisches" Risiko, das alle multinationalen Unternehmen betreffe, die in bestimmten Ländern tätig sind. "Die Unternehmen haben kein klares Vorgehen beim Umgang mit Korruption", sagt er. In einem solchen Umfeld, sagt Lillywhite, sei jedem unausgesprochen klar: "Bestechungsgelder werden gezahlt."

Westliche Unternehmen befinden sich in einem Dilemma: Sie halten Compliance-Standards ein und dürfen, wenn sie auch in den USA tätig sein wollen, gemäß dem Foreign Corrupt Practices Act im Ausland niemanden bestechen. Auf der anderen Seite wollen Unternehmen aber auch in Ländern Geschäfte machen, in denen Korruption zum Alltag gehört. Und Führungskräfte wie French befinden sich oft an vorderster Front.

Australien Nickel Mine in Ravensthorpe von BHP Billiton.
In vielen Ländern ist es immer noch üblich, Bestechungsgelder zu zahlen, um geschäftlich tätig werden zu könnenBild: picture-alliance/dpa

"Das ist eine sehr undurchsichtige Angelegenheit", sagte Lillywhite. "Oft bleiben nur ein oder zwei Führungskräfte übrig, die in ein Land gehen, um beispielsweise eine Betriebsgenehmigung zu erhalten." Dabei seien sie oft auf externe Vermittler angewiesen, die in der Regel gute politische Verbindungen haben. So sind westliche Unternehmen anfällig für Korruption. "Außerdem informieren Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht ausreichend darüber, wie Bestechung vermieden werden kann", so Lillywhite.

SEC verurteilt Bestechung

Die Geschichte von French begann 2007, als er auf den Philippinen den oben erwähnten Geschäftsmann überprüfen sollte, der mutmaßlich an der Bestechung beteiligt war. "Er sagte zu mir mit ernster Stimme: "Auf den Philippinen werden Leute umgebracht, wenn sie solche Fragen stellen", erinnert sich French. "Er machte keine Witze. Er war sehr frustriert."

French sagte, er habe damals nicht gewusst, dass BHP mutmaßlich in ein Bestechungsprogramm von Regierungsbeamten in ganz Südostasien verwickelt war und ihnen den Besuch der Olympischen Spiele 2008 in Peking versüßte. Später untersuchte die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde (SEC) die Vorgänge und leitete 2015 ein Unterlassungsverfahren ein.

"BHP Billiton hat die Kosten für die Teilnahme ausländischer Regierungsvertreter an den Olympischen Spielen übernommen, damit die das Unternehmen bei Geschäften oder im Umgang mit Behörden unterstützen", sagte Andrew Ceresney, Direktor der Abteilung für Durchsetzung der SEC, damals. Bei der anschließenden Einigung, bei der BHP eine Strafe von 25 Millionen Dollar (24,4 Millionen Euro) an die SEC zahlte, hat das Unternehmen die Feststellungen weder zugegeben noch bestritten.

Wie entstand Korruption?

Frenchs Flucht

French sah sich durch die damalige Berichterstattung in Gefahr. Die Bestechungen seien nun öffentlich bekannt und philippinische Staatsanwälte hätten jederzeit beschließen können, gegen den Geschäftsmann und den Politiker zu ermitteln. Daher beschloss French, das Land zu verlassen.

Obwohl er nicht mehr bei BHP beschäftigt war, bot ihm BHP im Juli 2019 eine Ausreisevereinbarung an. Darin hieß es, dass das Unternehmen "Unterstützung bei der Beschaffung der erforderlichen Visa und Einreisegenehmigungen einschließlich der Übernahme der damit verbundenen Kosten" leisten würde. Das bedeutete laut French ein "goldenes Visum", einschließlich der erforderlichen Investition von 500.000 Euro (511.400 Dollar) in dem von Frenchs Familie gewählten Land, das heißt Spanien.

Kehrtwende von BHP

Doch einige Monate später, im September 2019, als French und seine Familie bereits unterwegs waren, änderte BHP die Abmachung. Nun wurde lediglich eine Pauschale von 45.000 Dollar bezahlt und BHP hielt damit die Angelegenheit für erledigt.

French steckte in der Klemme: Er habe den zweiten Vertrag zwar nicht unterschrieben, die 45.000 Dollar aber angenommen, um die mehrmonatigen Umzugskosten für seine Familie zu decken. Bei seiner Ankunft in Spanien war er durch den geänderten Vertrag aber faktisch ein illegaler Einwanderer, ohne die Möglichkeit, die ursprünglich versprochenen Visa zu erhalten. Am Ende sah er sich gezwungen, mit seiner Familie auf die Philippinen zurückzukehren und unterzutauchen.

BHP bestreitet, irgendeine Hilfe zurückgenommen zu haben. "BHP hat sich nicht von einer Vereinbarung mit Herrn [French] distanziert. Gemeinsam haben wir uns auf ein Paket geeinigt, das Herrn [French] und seiner Familie Unterstützung bei der Einwanderung und beim Umzug bietet - diese Unterstützung wurde in vollem Umfang gewährt", so das Unternehmen in einer Erklärung. "Als Herr [French] sich entschied, die direkte Verantwortung für seinen Umzug und den seiner Familie zu übernehmen, haben wir außerdem eine zusätzliche Pauschalsumme gezahlt, um ihn bei seiner Entscheidung zu unterstützen."

Korruption in Deutschland und darüber hinaus: Gespräch mit Peter Eigen (Transparency International)

Korruption bleibt ein großes Thema

Was auch immer jetzt mit French geschieht, das Problem Korruption wird weiter bestehen. Zumal BHP und andere Bergbauunternehmen sich von fossilen Brennstoffen abwenden und auf seltene Metalle umsteigen, die für viele Technologien rund um erneuerbare Energien notwendig sind. Dafür müssen sie sich aber zunehmend in Ländern engagieren, in denen Bestechung üblich ist. Die Demokratische Republik Kongo, um ein Beispiel zu nennen, liefert 70 Prozent des weltweiten Kobalts, das für die Batterien von Elektroautos benötigt wird.

"Die meisten wichtigen Mineralien, die für die Energiewende benötigt werden, befinden sich in korrupten Ländern", so Lillywhite. "34 Prozent des Lithiums, das für Batterien benötigt wird, ist in korruptionsanfälligen Ländern zu finden. Vierundneunzig Prozent aller Seltene-Erden-Vorkommen, von denen wir derzeit wissen, befinden sich in korruptionsanfälligen Ländern".

Daher stelle sich umso dringlicher die Frage, wie gut die Geschäftsführer dieser Unternehmen ihre Mitarbeiter vorbereiten und schützen, in risikoreichen Ländern zu arbeiten.

*Dominic French ist der legale Name in Australien, wenn auch nicht der, unter dem der Protagonist allgemein bekannt ist. Auf Frenchs Wunsch hin wurde letzterer in diesem Artikel nicht verwendet, um seine Sicherheit nicht zusätzlich zu gefährden.

Der Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.