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Martin Luther King und die Macht der Worte

Courtney Tenz rf
27. August 2023

"Ich habe einen Traum" ("I have a dream") heißt es in der berühmtesten Rede von Martin Luther King. 55 Jahre nach seiner Ermordung haben seine Worte immer noch eine unvergleichliche Strahlkraft.

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Martin Luther King am Mikrofon
Unvergessen: Martin Luther Kings legendäre Rede in Washington Bild: akg-images/picture alliance

"Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden. Ich habe einen Traum heute …"

Diese Worte aus einer Ansprache Martin Luther Kingsvon der Treppe des Lincoln Memorials in Washington am 28. August 1963 hallen auch 55 Jahre nach seinem Tod (4. April 1968) unvermindert nach. Die Rede gehört zum Schulunterricht, ist Thema in Universitäten, in Dokumentarfilmen, wurde vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zitiert - und sie wurde im Lauf der Jahrzehnte in Songs gesampelt. "Ich habe einen Traum" war eine Rede von nachhaltiger Sprengkraft.

Eine Menschenmenge auf der Straße, die meisten sind Schwarze
Zur Trauerfeier für Martin Luther King kamen über 100.000 MenschenBild: Flip Schulke. Photo courtesy of UT Austin's Briscoe Center for American History

Es waren nicht allein die Worte, die die Menschen beeinflussten, sagt der Bürgerrechtler John Lewis, der am gleichen Tag ebenfalls vor dem Publikum in Washington gesprochen hatte. Im Interview mit dem Fernsehsender PBS sagte der heutige Kongressabgeordnete, dass es an der einmaligen Ausstrahlung des Menschen Martin Luther King selbst lag.

"Dr. King hatte die Kraft und die Fähigkeit, jene Treppe am Lincoln Memorial in einen monumentale Ort zu verwandeln, der ewig in Erinnerung bleiben wird. Durch seine Worte klärte er auf, inspirierte und informierte nicht nur die Leute, die dort anwesend waren, sondern auch die Menschen in ganz Amerika - damals und in den Generationen danach."

Rhetorische Strategie

Der Mann, der die Bürgerrechtsbewegung in den USA verkörperte, war ein brillanter Redner und setzte seine Worte gekonnt ein, um die erwünschte Publikumswirkung zu erzielen. Als Berufsprediger flocht er Anspielungen auf seinen christlichen Glauben in seine Reden ein - oder Bibelzitate, die für seine Zuhörer besonders relevant waren. "Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade, und die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen."

Durch die Verbindung von biblischen Zitaten mit Worten aus patriotischen amerikanischen Landeshymnen wie "America", wo es heißt "My country tis of thee, sweet land of liberty..." (Ich singe von dir, meinem Land, dem süßen Land der Freiheit) schuf King einen ganz eigenen Sprachduktus. Im Englischen heißt diese rhetorische Technik "voice merging" (zu Deutsch: Sprachzusammenführung). Da sie auf einer tieferen, seelischen Bedeutungsebene fußt, reicht die Wirkung weit über die konkrete Bedeutung der Worte hinaus.

Die Rede mit den Worten "Ich habe einen Traum" mag zwar Kings bekannteste sein, die rhetorische Strategie hat er jedoch sowohl früher als auch später angewandt. Nach seiner Verhaftung im US-Bundesstaat Alabama wegen zivilen Ungehorsams schrieb er am 16. April 1963 den "Letter from a Birmingham Jail" (Brief aus einem Gefängnis in Birmingham). Dort heißt es "So wie die Propheten im achten vorchristlichen Jahrhundert ihre Dörfer verließen und das Wort Gottes weit über die Grenze ihrer Heimatstadt hinaustrugen, und so wie der Apostel Paul sein Dorf Tarsus verließ und das Evangelium von Jesus Christus in die entfernteste Ecke der griechisch-römischen Welt brachte, bin ich berufen, das heilige Wort der Freiheit über meine Heimatstadt hinaus zu rufen. Ähnlich wie Paul, der auf den Hilferuf aus Mazedonien reagierte, muss ich ständig bereit sein, zu antworten."

Der Leser muss die biblischen Geschichten nicht kennen, um den Sinn zu erfassen. Auch das Briefeschreiben als Kommunikationsform geht Jahrhunderte zurück – etwa in den 13 Episteln des Apostels Paul in der Bibel.

Die Nachwirkung

Unmittelbar nach der Rede am Lincoln Memorial stand der Bürgerrechtsaktivist unter Beobachtung der US-Bundespolizei FBI, die in seiner Rhetorik gesellschaftlichen Sprengstoff witterte. Heute ist Kings Rhetorik Thema von Universitätsseminaren. Es waren die richtigen Worte für das richtige Publikum zur richtigen Zeit. Außerdem ist sie ein zeitloses Dokument.

Martin Luther King.-Denkmal, im Hintergrund ein Obelisk
Das Martin Luther King-Denkmal in WashingtonBild: Imago/UPI Photo

Dazu sagte Deval Patrick, der erste schwarze Gouverneur im Bundesstaat Massachusetts und der zweite gewählte schwarze Gouverneur in der US-Geschichte überhaupt: "Die Rede war zu ihrer Zeit prophetisch, so wie viele andere Reden Kings auch. Sie sind zeitlos und poetisch, eine Herausforderung - und für uns ein Ansporn."

Seit Anfang des Jahres erinnert in Boston eine sechs Meter hohe Bronzestatue an Martin Luther King - in der Stadt, wo er einst im Fach Theologie promovierte und seine Ehefrau Coretta Scott King kennenlernte. Das "Embrace-Memiorial" ist das größte Bürgerrechtsdenkmal der USA; es wurde nach einer historischen Fotografie von 1964 entworfen, als King die Nachricht erreichte, dass er den Friedensnobelpreis bekommen sollte und er seiner Frau Coretta in die Arme fiel. Bei der Enthüllung des Denkmal skandierte die Menge: "Black joy! Black love in the oldest park of the country!“ (Schwarze Freude! Schwarze Liebe im ältesten Park des Landes!)

Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 4. April 2018.