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Politik

Djokovic entlarvt Australiens Grenzpolitik

Kommentarbild DW I Alistair Walsh
Alistair Walsh
9. Januar 2022

Australiens Politiker habe ihre unnachgiebige Grenzpolitik lange Zeit dafür benutzt, bei ihren Wählern zu punkten. Aber es wird Zeit, die Festungshaltung aufzugeben, meint Alistair Walsh.

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Novak Djokovic auf einem Plakat in Belgrad
Im Licht der Weltöffentlichkeit - aber nicht wegen seiner Tennissiege: Novak Djokovic auf einem Plakat in BelgradBild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Tennisstar Novak Djokovic erlebt die Grausamkeit der australischen Grenzpolitik am eigenen Leib. Ihm wurde ein Visum erteilt und er wurde ermutigt, ins Flugzeug zu steigen, trotz seiner unübersehbar impfskeptischen Ansichten. Eine böswillige Lockvogeltaktik - denn bei seiner Ankunft schlug Australien ihm die Tür vor der Nase zu.

Vermutlich haben die Verantwortlichen geahnt, dass sie mit diesem Last-Minute-Schachzug einen zweifachen politischen Sieg erringen konnten.

Zwar hat mittlerweile ein Gericht in Melbourne zugunsten des 34 Jahre alten Tennisstars entschieden und dessen sofortige Freilassung aus einem Hotel für Ausreisepflichtige angeordnet. Doch der Erfolg vor Gericht garantiert nicht, dass Novak Djokovic als Titelverteidiger sicher an den Australian Open ab dem 17. Januar teilnehmen kann. Die australische Regierung kündigte bereits an, eine erneute Aufhebung von Djokovics Visum prüfen zu wollen.

Viele Australier sehen Djokovics ungeimpfte Anwesenheit als eine Beleidigung der stoischen Anstrengungen den Bewohner von Melbourne, die etliche Monate im Lockdown verbracht haben und sich in Scharen haben impfen lassen, selbst wenn sie Zweifel hatten. Dem Tennisspieler die Einreise zu verweigern, konnte nur auf Zustimmung treffen.

Diese Entscheidung hätte genauso gut vor seiner Abreise getroffen werden können. Aber die Änderung in letzter Minute hat den zweiten politischen Sieg ermöglicht: Sie hat eine Minigrenzkrise provoziert und das Wunder vollbracht, vom desaströsen Umgang der Regierung mit der Pandemie abzulenken.

Grausamkeit als Strategie

Das war ein einfacher Doppelsieg. Und er folgt Australiens abgenutztem Drehbuch, politisches Kapital aus Grausamkeiten an der Grenze zu ziehen. Seit Jahrzehnten haben australische Politiker aller Fraktionen die Grenzkontrollen als Hebel für politische Manipulation und als Ablenkung von ihren Schnitzern im Inland benutzt.

Kommentarbild DW I Alistair Walsh
DW-Redakteur Alistair WalshBild: Lewis Sanders

Djokovic ist - welch ironische Wendung des Schicksals - im gleichen Hotel gefangen wie Dutzende Geflüchtete und Asylsuchende. Sie sitzen in einem scheinbar ewig dauernden Schwebezustand dort fest, unfähig abzureisen, unfähig einzureisen. Und ihre Inhaftierung ist noch relativ luxuriös verglichen mit dem Unglück anderer Asylsuchender in Australien - Tausende von ihnen siechen in Internierungslagern vor der Küste dahin. Alle Opfer von Grenzgrausamkeit. Mit einer Nation von Migranten scheint diese Besessenheit von Grenzkontrollen unvereinbar. Aber sie ist in der Kultur tief verwurzelt.

Zum Nachteil der eigenen Bürger

Darum ist es auch kein Wunder, dass in der Pandemie Australiens erste instinktive Reaktion war: Grenzen dicht! Ohne einen Gedanken an die menschliche Kosten zu verschwenden. 

Das hat tatsächlich ziemlich lange funktioniert. Das Land hat es geschafft, COVID-19 über eine beeindruckend lange Zeit draußen zu halten. Und diese Strategie war beliebt. Meine Landsleute schienen insgeheim stolz auf die strenge Grenzpolitik.

Aber der Shutdown hat - wie solche Grenzregime immer - vielen Menschen Leid zugefügt. Ich jedenfalls konnte meine Familie zwei Jahre lang nicht besuchen. Ich darf es immer noch nicht. Mag Australien seine Grenzen auch langsam wieder öffnen, so bleibt Westaustralien - wo meine Familie lebt - doch abgeriegelt.

Australische Staatbürger, die in der Welt unterwegs waren, konnten nur heimkehren, wenn sie Zehntausende Dollar gezahlt haben. Migranten in Australien konnten nicht ausreisen, um kranke Verwandte zu besuchen, weil sie dann nicht in die neue Heimat hätten zurückkehren können. Sowas wurde als unvermeidbarer Kollateralschaden gesehen. Als Beleg dafür, dass die Maßnahmen wirkten.

Vor aller Welt enthüllt

Dass Australiens Grenzpolitik unmenschlich ist, wusste ich immer. Nun wird sie in der ganzen Welt so wahrgenommen. Aber dass Australien seine eigenen Bürger aufgegeben und Familien hartherzig getrennt hat, das hat eine Schwelle überschritten, die für mich unvorstellbar war.

Falls Djokovic einreisen darf: Großartig für ihn! Aber seine bizarre Lage hat Australiens kafkaeskes Grenzregime für alle Welt sichtbar gemacht. Australien muss den Moment nutzen, seine Festungshaltung zu überdenken und das menschliche Wohl über billige politische Punktgewinne stellen.

Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs