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Politik

Lula vor dem Comeback?

DW Sendung | A Fondo 12.11.20 - Isaac Risco
Isaac Risco
10. März 2021

Die mögliche Rückkehr des früheren Staatschefs Luiz Inácio Lula da Silva ist nicht gut für das Land. Denn sie versperrt den Weg für die bitter nötige Erneuerung der brasilianischen Politik, meint Isaac Risco.

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Am 9. November 2019 wurde Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva in Sao Bernardo do Campo aus der Haft entlassen. Begeisterte Anhänger tragen den Mann im schwarzen T-Shirt auf ihren Schultern, umringt von Mikrophonen und Kameras
Begeisterte Anhänger empfingen Lula da Silva, als er im November 2019 aus der Haft entlassen wurdeBild: Reuters/N. Doce

Brasilien ist nichts für Anfänger - das Bonmot eines berühmten Komponisten aus Rio de Janeiro wird in dem südamerikanischen Land gerne zitiert, etwa wenn die Politik wieder für Überraschungen sorgt.

Die jüngsten Ereignisse um den früheren Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva sind ein gutes Beispiel für eine dieser unerwarteten Wendungen: Ein Richter des Obersten Bundesgerichts hat sämtliche Korruptionsverfahren gegen den 2018 und 2019 bereits für mehrere Monate inhaftierten Lula annulliert und ihm damit den Weg für eine erneute Präsidentschaftskandidatur geebnet. Der immer noch beliebte Linken-Star könnte so 2022 gegen den amtierenden Rechtspopulisten Jair Bolsonaro antreten. Kommt es also zum Duell der politischen Extreme?

Notbremse des Obersten Bundesgerichts

Zunächst sagt das Urteil wenig Schmeichelhaftes über die Justiz im größten Land Lateinamerikas aus. Denn die Entscheidung war wohl eine Notbremse. Richter Edson Fachin sprach Lula keineswegs von allen Anschuldigungen frei, sondern stellte lediglich fest, dass das bislang tätige Gericht im südbrasilianischen Curitiba gar nicht zuständig war. Das hat viel mit dem früheren Provinzrichter und späteren Bolsonaro-Justizminister Sergio Moro zu tun. Moro hatte Lula 2017 zu mehreren Jahren Haft verurteilt und ihn so aus dem Rennen um das Präsidentenamt ein Jahr später genommen.

DW Sendung | A Fondo 12.11.20 - Isaac Risco
DW-Redakteur Isaac Risco war mehrere Jahre dpa-Korrespondent in Brasilien Bild: DW

Von Anfang an gab es Vorwürfe, dass Moro die Prozesse zur Aufklärung des Korruptionsskandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras in erster Linie nutzte, um Lula politisch kalt zu stellen. Gute Argumente gab es: Der Richter kungelte regelwidrig mit den Staatsanwälten und fütterte die Presse gezielt mit Informationen gegen Lulas Arbeiterpartei (PT).

Auch die Tatsache, dass Moro unmittelbar nach der Wahlniederlage der PT in die Politik wechselte und ausgerechnet in das Kabinett des Wahlsiegers Bolsonaros eintrat, schreit geradezu zum Himmel. Jedenfalls wird nun vermutet, dass die Prozesse gegen Lula jetzt deswegen formell für ungültig erklärt wurden, um mögliche Schäden von den anderen Petrobras-Verfahren abzuwenden - wenn etwa Einsprüche gegen Moros Urteile gegen Lula wegen erwiesener Parteilichkeit Erfolg gehabt hätten.

Will Lula es noch einmal wissen?

In Brasilien richten sich nun alle Blicke auf Lula. Tritt er im hohen Alter noch mal als Präsidentschaftskandidat an? Wer den Werdegang des früheren Gewerkschaftsführers kennt, vermutet, dass dem leidenschaftlichen Vollblutpolitiker eine erneute Kandidatur nur schwer auszureden sein wird. Lula wird nach wie vor von vielen armen Brasilianern geradezu verehrt. Auch der Kampf gegen den Rechtspopulisten Bolsonaro dürfte ihm Ansporn sein. Ein derartiger Wahlkampf wird bereits mit dem lange denkbaren, dann aber ausgebliebenen Duell zwischen der Linken-Ikone Bernie Sanders und Donald Trump bei den vergangenen US-Wahlen verglichen.

Das könnte aber ein Irrtum sein. Zwar vertrat Lula 1989 bei seiner ersten, damals gescheiterten Präsidentschaftskandidatur eher fundamental linke Positionen. Der Blick auf seine beiden Amtszeiten zwischen 2003 und 2010 zeigt aber einen ganz anderen Lula: Der einstige Marktschreck ging nach Amtsantritt versöhnlich auf die Industrie zu und nutzte gleichzeitig den Rohstoff-Boom, um Sozialprogramme für die Ärmeren zu finanzieren. Bereits im Wahlkampf hatte er sich als moderater Kandidat präsentiert, um die politische Mitte zu erobern.

Keine Chance für junge Hoffnungsträger

Sollte Lula es im kommenden Jahr noch einmal schaffen, könnte der passendere Vergleich eher der mit Joe Biden sein. Nicht nur, weil er vor einer ähnlichen schweren Aufgabe stünde, ein zerstrittenes Land zu vereinen, sondern weil er bei Amtsantritt mit 77 Jahren ungefähr so alt wäre wie der amtierende US-Präsident.

Und trotzdem ist das mögliche Comeback Lulas zu diesem Zeitpunkt eine eher schlechte Nachricht für Brasilien. Denn es versperrt den Weg für die bitter nötige politische Erneuerung nach all den Korruptionsskandalen der vergangenen Jahre. Trotz aller sozialen und wirtschaftlicher Erfolge stehen Lulas bisherige Amtszeiten im Schatten der Korruption. Und die Vorwürfe gegen ihn selbst sind keineswegs ausgeräumt.

Lulas mögliche Kandidatur würde nicht nur Anwärtern im Zentrum des politischen Spektrums das Leben schwer machen, sondern auch linken Hoffnungsträgern wie dem jungen Guilherme Boulos der sozialistischen Partei PSOL. Es sei denn, die Politik Brasiliens nimmt in den kommenden Monaten wieder eine unerwartete Wendung.