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Politik

Putins Zukunft ist Russlands Vergangenheit

Mikhail Bushuev DW Russisch
Mikhail Bushuev
30. Dezember 2020

Als wäre 2020 nicht schon schlimm genug: Jetzt rollt auf Russland auch noch ein Tsunami von repressiven Gesetzesänderungen zu. Eine Reaktion darauf fehlt. Das sollte sich ändern, meint Mikhail Bushuev.

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Proteste in Belarus gegen Alexander Lukaschenko, auf dem Foto: Frauen in Masken auf einer Demo mit erhobenen Armen vor Polizisten
Protesten wie in Minsk möchte Russlands Präsident Wladimir Putin durch massive Eingriffe in die Gesetzgebung vorbeugen Bild: picture alliance/dpa

Bei Absicherung seiner lebenslangen Macht geniert sich Wladimir Putin nicht mehr und legalisiert staatliche Willkür als Vorbeugung gegen Massenproteste. Im Eiltempo verabschiedete Russlands Staatsduma, das Unterhaus des Parlaments, im Dezember eine Reihe von Gesetzanpassungen: Das Versammlungsrecht und das Recht auf Information wurden stark eingeschränkt, die Zensur verschärft. Außerdem sind die Befugnisse der Polizei in Zukunft nahezu unbeschränkt. Jede beliebige Einzelperson kann von den Behörden bald als "ausländischer Agent" bezeichnet werden. 

Das ist nicht mal eine komplette Liste der Gesetzesänderungen, die vor ausländischer Einmischung angeblich schützen sollen, aber ihren repressiven Charakter so gut verschleiern, wie Bankräuber ihre Pistolen beim Überfall. Die Message ist kristallklar: Schaut her, wir sind schlauer als der belarussische Despot Alexander Lukaschenko. Wir sorgen jetzt schon vor, damit ihr uns nicht mit euren Demos belästigt.

Kreml zementiert Status quo

Die Duma unter Putin wurde für ihre oft rasch verabschiedeten und wenig durchdachten Gesetze mit unverkennbarem Faible für Einschränkung ziviler Freiheiten als "verrückter Drucker" bezeichnet. 2020 blieb das russische Parlament diesem verunglimpfenden Namen treu. Vergessen wir nicht die Verfassungsänderungen, die Putins Herrschaft theoretisch bis 2036 verlängern. Doch dieses Jahr ist etwas fundamental anders: Einen politischen oder medialen Aufschrei gibt es nicht. Die Mehrheit hat sich mit dem Putinschen Regime arrangiert.

DW-Redakteur Mikhail Bushuev
DW-Redakteur Mikhail BushuevBild: DW

Anfang 2000er Jahre assoziierten viele Russen erst ihren steigenden Wohlstand mit Putin, später das "Wir sind wieder wer"-Gefühl. Aber wofür steht Putin heute? Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Russlands häufen sich, von den politischen ganz zu schweigen. Doch der Kreml und sein alternder Herrscher wollen sich damit nicht mehr ernsthaft beschäftigen. Die russische Führung tut auch nicht mehr so, als habe sie  eine Zukunftsvision für Russland. Das Ziel ist viel bescheidener: den Status quo konservieren, solange Putin und sein enger Kreis es brauchen. Den Preis dafür müssen die anderen zahlen. Kann das Russlands Zukunft sein?

Ein Vorschlag für die Lösung des alten Dilemmas

Es ist fast schon reflexartig, dass Putin-Kritiker nach der Analyse der Situation sich fragen (müssen): Was kann der Westen dem repressiven Trend in Russland entgegensetzen? Gerade kehrt sich die westliche liberale Welt einfach ab. Zum Teil aus nachvollziehbarer Abstumpfung: Russland und Repressionen - das reimt sich leider schon sehr lange. Auch wegen Ideenlosigkeit: Man hat doch schon alles ausprobiert. Ja, und die Corona-Pandemie gibt es auch noch.

Die westliche Welt verfängt sich im bekannten Dilemma. Seit der Einverleibung der Halbinsel Krim und dem von Moskau verdeckt geführten Krieg in der Ostukraine will der Westen keine strategische Partnerschaft mehr mit Russland. Man will dem Kreml zwar Grenzen aufzeigen, aber den Kontakt nicht abreißen lassen. Die Neujustierung der Beziehungen erweist sich als schwierig. Die wirtschaftliche Bedeutung des Landes mag beständig schrumpfen. Doch allein wegen des riesigen Atomwaffenarsenals kommt man an Russland nicht vorbei. Eine Abkehr ist also keine Lösung. 

Wie wär's mit einem Vorschlag? In Brüssel, Berlin oder Washington ist man sich einig, dass Putin zwar Russlands Gegenwart, aber nicht Zukunft ist. Also sollte man sich vielleicht nicht über die Gaspipeline Nord Stream 2 streiten, sondern lieber in Russlands wahre Zukunft investieren. Wie wäre es, wenn man endlich das alte Versprechen aus den besseren Jahren einlösen und jungen Leuten in Russland visafreies Reisen in die EU ermöglichen würde? Mag sein, dass sich das im Vergleich zu einem tausendkilometerlangen Gasrohr im Meer kleinschrittig anfühlt. Auch werden wir erst nach mehreren Jahren den Effekt dieses Schrittes beurteilen können. Nämlich erst dann, wenn der Generationenwechsel auch an der politischen Spitze in Russland stattfindet. Doch wer die Tür für die Jugend öffnet, kann nicht viel falsch machen. Gerade jetzt, wo noch keine Massenreisen möglich sind und man Zeit für die Vorbereitung solcher Maßnahmen hätte. Wenn Putin für seine Zukunft vorsorgt, sollte die EU es für die ihre auch tun.