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PolitikEuropa

Ex-General: Druck durch Landbrücke zur Krim

Marina Baranovska
22. April 2022

Die Einnahme Mariupols könnte Russlands Armee einen entscheidenden Vorteil für den Kampf um den Donbass bringen, sagt der Militärexperte Walter Feichtinger: Kontrolle über das Gebiet von Cherson bis Luhansk.

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Ukraine-Krieg | Eine russische Panzerkolonne auf den Straßen von Mariupol
Russische und pro-russische Truppen haben die Hafenstadt Mariupol wohl weitestgehend unter KontrolleBild: Chingis Kondarov/REUTERS

Deutsche Welle: Herr Feichtinger, nach acht Wochen Krieg befindet sich Mariupol den Berichten nach unter russischer Kontrolle - mit Ausnahme des Stahlwerks. Putin sprach von einem Erfolg und der "Befreiung Mariupols". Kann man die Einnahme Mariupols tatsächlich als russischen Erfolg bezeichnen? Wenn ja, aus welchem Blickwinkel?

Walter Feichtinger: Wenn Präsident Putin die Einnahme von Mariupol als Erfolg bezeichnet, muss man dies zumindest in Anführungszeichen setzen und die Bilder von Mariupol sehen. Das ist eine Stadt, die in Schutt und Asche gelegt wurde, in der unglaublich viele zivile Opfer zu beklagen sind, wo aber - in diesem Stahlwerk - auch noch ein Rest Widerstand besteht, der möglicherweise diesen Sieg auf russischer Seite etwas trüben mag. Es zeigt aber auch, wie unbedingt notwendig es ist für Präsident Putin, auf einen Erfolg verweisen zu können, weil der bisherige Krieg keine Erfolgsgeschichte war.

Sicherheitsexperte Walter Feichtinger
Walter Feichtinger ist Militärexperte und Brigadegeneral a.D. des österreichischen BundesheeresBild: privat

Militärisch ist natürlich schon ein gewisser Erfolg auf russischer Seite zu verzeichnen. Wenn Mariupol unter Kontrolle genommen wurde, ist es möglich, hier die Landbrücke von der Krim bis zum Donbass herzustellen. Mit diesem großen zusammenhängenden Gebiet von Cherson über Mariupol in die Oblaste Donezk und Luhansk kann Russland schon einen gewaltigen Druck ausüben. Das ist vielleicht die Zielsetzung für die nächste Phase, in der man auch an Gespräche und Friedensgespräche denken könnte, weil es Russland gelungen ist, einen großen Teil des Territoriums unter Kontrolle zu bringen.

Den Symbolwert dürfen wir auch nicht unterschätzen. Mariupol war schon 2014 ein deklariertes Ziel, als es darum ging, diese Separatistengebiete zu etablieren. Es wurde auch ganz kurzzeitig angegriffen, aber man konnte den Angriff abwehren.

Putin will das Stahlwerk Asow-Stahl nicht stürmen, sondern belagern. Welche Gründe könnte er dafür haben?

Es ist aus militärischer Sicht nachvollziehbar, weil ein Kampf in so einem Gebiet unglaublich aufwendig ist, es wären sehr viele Verluste zu erwarten. Auf der russischen Seite greift man eher zu der - ich würde sagen - perfiden Methode, den Gegner dort einzusperren, aus der Luft zu bombardieren und zu warten, bis denen einfach alles ausgeht: Waffen, Munition, natürlich auch die Verpflegung.

Ukraine | Hüttenwerk Azow-Stahl unter Rauchschwaden
Im Stahlwerk von Mariupol hat sich eine unbekannte Anzahl von Soldaten und Zivilisten verschanztBild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Derzeit sehe ich beim Stahlwerk keine wirklichen großen politischen Gründe (für eine Erstürmung – Anm. der Red.). Es geht darum, militärisch die Kontrolle über gesamt Mariupol zu erringen und eigene Kräfte freispielen zu können.

Wird die komplette Einnahme von Mariupol es Russland ermöglichen, mehr Truppen für eine Offensive im Donbass bereitzustellen?

Das ist vermutlich die Hoffnung auf russischer Seite, und einige Tausend Mann könnten es auch sein, die hier dann in weiterer Folge abgezogen werden können. Allerdings, das ist ja nicht die große, entscheidende Stärke, die man zusätzlich in die Schlacht werfen kann. Das ist eine kleine Verstärkung angesichts des großen Gebietes, das gerade im Raum Donezk noch nicht unter russischer Kontrolle ist.

Walter Feichtinger ist ein österreichischer Militärexperte und Brigadegeneral a.D.

Das Interview führte Marina Baranovska