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Mission erfüllt

10. August 2016

Falls noch jemand Zweifel hatte: Michael Phelps ist wieder der alte. Mit seinen Goldmedaillen Nr. 20 und 21 schreibt der US-Star Geschichte - und zeigt tatsächlich Zeichen des Alterns, hat Joscha Weber in Rio beobachtet.

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Rio Momente 08 08 Schwimmen Michael Phelps
Bild: Reuters/S. Wermuth

Allen, die sich fragen "Ist das ein Mann oder doch eher eine Maschine?", sei gesagt: Auch der beste Schwimmer aller Zeiten ist aus Fleisch und Blut. Michael Phelps pumpt. Er ringt nach Luft und muss sich auf den Startblock setzen. Mit dem Zeigefinger fährt er sich quer über den Hals und deutet damit an: Ich bin tot, fix und fertig. Während die Zuschauer seine Staffelkollegen, aber eben doch vor allem ihn, den Schlussschwimmer, feiern, muss sich Phelps noch sammeln. "Der Doppelstart war viel härter als früher", sagt er später auf der Pressekonferenz. "Das war sicher einer meiner anstrengendsten Abende." Mit 31 Jahren steckt auch er zwei schnelle Finalrennen binnen einer guten Stunde nicht mehr so einfach weg.

Phelps hat gerade seine Goldmedaille Nummer 21 gewonnen, diesmal mit der 4x200-Meter-Staffel der USA. Mit rund drei Sekunden Vorsprung auf Platz zwei. Keine halbe Stunde zuvor stand er noch auf dem Podest mit Gold Nummer 20 um den Hals. So ist das im Schwimmen, da geht es Schlag auf Schlag. Phelps kennt das, er schwamm schon als Jugendlicher bis zu 24 Rennen in zwei Tagen. Ein Leben im Wasser, das hier in Rio de Janeiro seinen nächsten Höhepunkt findet. Nach dem Sieg über 4x100 Meter Freistil ist es bereits sein drittes Gold bei diesen Spielen.

"Ein großer Fehler"

Das Publikum im Aquatics Stadium steht geschlossen auf, als Phelps seine Ehrenrunde durch die Schwimmhalle dreht. Phelps kostet den Moment aus, breitet seine Arme zu einer gewaltigen Spannweite von 2,04 Metern aus und jubelt. Dann klettert er über eine Treppe hinauf zur Tribüne, auf der seine Familie steht. Küsschen für seine Verlobte Nicole, für Mutter Debbie und für seinen Jungen Boomer Robert, übrigens benannt nach seinem Trainer. Tränen fließen bei Mutter Debbie, Phelps Verlobte kämpft mit selbigen. Emotionen, die zeigen, wie befreiend dieser Moment für die Familie Phelps sein muss.

Rio 2016 Olympische Spiele Rio Momente 08 08 Schmetterling Männer (Copyright: picture-alliance/dpa/B. Thissen)
2,04 Meter Spannweite: Phelps hat Idealmaße für einen SchwimmerBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Denn zwischen diesen und den letzten Olympischen Spielen in London liegt eine dunkle Zeit für Michael Phelps. Nach seinem Rücktritt in London kam erst ein Loch, dann ein tiefer Fall. Phelps wusste nicht recht, wohin mit sich. Er trank, zockte beim Poker, bei Pferderennen, wurde wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet und erhielt eine Bewährungsstrafe. "Ein großer Fehler", bekannte Phelps später. Danach wollte er tagelang nicht aus dem Haus. Ein Freund empfahl ihm dann eine Therapie. Dort malte Phelps und gewann Abstand. Zum Alkohol, zur Leere und zu sich. Schließlich wandte er sich an seinen alten Trainer, er wollte wieder schwimmen. Noch ein letztes Mal zu Olympia, nach Rio.

Wenn er schwamm, brauchte er kein Ritalin mehr

Coach Robert Bowman war zunächst skeptisch, dann bemerkte er einen Wandel bei Phelps: "Er fühlt sich jetzt wohl in seiner Haut, er spürt zum ersten Mal, dass er mehr ist als ein guter Schwimmer." Niemand im Schwimmsport kennt Phelps so wie Bowman. Er war es, der das Schwimmtalent als Kind entdeckte. Phelps litt unter einem Aufmerksamkeitsdefizit, musste täglich Ritalin nehmen. Eines Tages nahmen ihn seine beiden Schwestern Hillary und Whitney mit zum Schwimmen in den North Baltimore Aquatic Club. Eine wegweisende Entscheidung, denn an Tagen, an denen er schwamm, brauchte er keine Psychopharmaka mehr. Er konnte seine Energie im Becken lassen. Bob Bowman erkannte sein Talent und war sich sicher: "Nichts und niemand wird ihn stoppen", versprach er Phelps Mutter Debbie.

Olympia 2012 Schwimmen USA Freistil Staffel Männer 4 x 200 m Michael Phelps (Foto:Matt Slocum/AP/dapd)
Nach Gold in London folgen Rücktritt, Langeweile, Alkoholprobleme und eine BewährungsstrafeBild: AP

Michael Phelps hatte die Anlagen, das Talent, den Willen - und einen Trainer, der ihn forderte. Bis zu 70 Kilometer ließ Bowman seinen Schützling pro Woche schwimmen - gewaltige Strecken für ein Kind. Doch das harte Training zeigte bald Wirkung: Mit gerade einmal 14 Jahren qualifizierte sich Phelps für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney. Dort wurde der junge Phelps noch Fünfter über die 200 Meter Schmetterling. Eine Disziplin, die ihm bis heute sehr wichtig ist.

"So viele Medaillen, das ist schon verrückt"

"Ich wollte dieses Rennen unbedingt gewinnen. Die Zeit hat mich überhaupt nicht interessiert, nur der Sieg. Mission erfüllt", sagt ein gelöster Michael Phelps nach dem Rennen. Für ihn selbst wurde es zur Zitterpartie: "Die letzten zehn Meter waren gar nicht gut, es fühlte sich an, als wär ich nicht mehr vorwärtsgekommen." Von außen betrachtet, brachte er einen komfortablen Vorsprung ins Ziel. Auf der Tribüne feiern ihn seine engsten Freunde, bringen ihn sogar während der Nationalhymne zu lachen. Der zurückgekehrte Phelps ist locker, entspannt und befreit vom großen Druck. "Ich habe so viele Medaillen gewonnen, das ist schon verrückt", sagt er, als wäre ihm dies an diesem Abend erstmals bewusst geworden. "Ich bin für all das sehr dankbar", sagt Phelps, steht auf und schlurft in seinen Badelatschen davon.