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Politik

Nationalfeiertag im Zeichen des Wahlkampfes

Florian Schmitz Thessaloniki
29. Oktober 2018

In Griechenland erinnert man sich an Faschismus und Besatzung. Gleichzeitig werden aus Athen Forderungen nach Reparationszahlungen laut. Ein Wahlkampfthema auch für Ministerpräsident Alexis Tsipras.

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Griechenland Nationalfeiertag
Gemeinsam gedenken der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos und sein italienischer Amtskollege Sergio Mattarella dem Beginn des Krieges 1940Bild: DW/F. Schmitz

Düsenjäger schießen durch den Himmel des nordgriechischen Thessaloniki. Es ist Nationalfeiertag in Hellas, hier spricht man vom Ochi-Tag. Ochi heißt auf griechisch "Nein" und erinnert an den Erfolg der griechischen Armee im Kampf gegen Mussolinis Truppen 1940. Dann aber kam Hitlers Wehrmacht und besetzte das Land - bis heute ein Trauma in Griechenland.

Symbolträchtig endet die jährliche Militärparade direkt vor dem deutschen Konsulat. Dort sitzen auf der Ehrentribüne der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos und sein italienischer Amtskollege Sergio Mattarella, umringt von Vertretern aus Politik, Militär und Kirche. Ministerpräsident Alexis Tsipras ist traditionell nicht zugegen. Gern gesehen beim Publikum wäre er wohl nicht. "Dieses Jahr sind besonders viele Menschen gekommen," freut sich ein siebzigjähriger Besucher. "Man demonstriert für ein griechisches Mazedonien" - eine Anspielung auf Tsipras‘ beim Volk unbeliebte Einigung im Namensstreit mit dem Nachbarland, das denselben Namen trägt wie die nordgriechische Provinz.

Nationalfeiertag in Griechenland: Gedenken und ein wenig Wahlkampf

Panzer rollen an den Menschenmengen vorbei. Truppen marschieren und singen lautstark die griechische Mazedonien-Hymne. Das Publikum ist begeistert und stimmt ein. Man gibt sich patriotisch - eine Charaktereigenschaft, die man mit dem Ministerpräsidenten so gar nicht in Verbindung bringt. Hoch über der Stadt liegt das Dorf Chortiatis. Es steht stellvertretend für zahlreiche Schauplätze, an denen die Wehrmacht unsagbare Verbrechen begann. In Chortiatis allein tötete sie 149 Zivilisten - eine Vergeltungsaktion. Und auch die stolze Militärparade kann nicht davon ablenken, dass Griechenland im Krieg eben doch Opfer und nicht ein Sieger war.

Ein 'Nein' mit Folgen

Der 28. Oktober 1940 markiert den Beginn des griechisch-italienischen Krieges. Damals erreichte den griechischen Diktator Ioannis Metaxas ein Ultimatum vom faschistischen Duce Benito Mussolini aus Rom. Dieser forderte, italienischen und deutschen Truppen Zutritt auf griechischem Boden zu gewähren. Bereits im April 1939 hatten italienische Truppen Albanien besetzt - auf dem Vormarsch der Faschisten Richtung Süden nur ein Streckenabschnitt.

Griechenland Nationalfeiertag
Die Griechen nennen den 28. Oktober 'Ochi'‘ - Tag. Es bedeutet 'Nein' und richtet sich gegen die faschistische Besatzung des Landes 1941-44Bild: DW/F. Schmitz

Metaxas 'Nein' zu diesem Ultimatum war der Beginn eines Krieges, der von griechischer Seite zunächst erfolgreich verlief. Hellas‘ zahlenmäßig unterlegene Truppen konnten die Italiener zurückdrängen - bis diese dann ihren Verbündeten Hitler zu Hilfe riefen. Im April 1941 begann der Balkanfeldzug der Wehrmacht, mit verheerenden Folgen. "Deutschland hat Tausende von Menschen ermordetet, mindestens 1.700 Dörfer zerstört, Kredite erzwungen, eine Hungersnot ausgelöst und die jüdische Bevölkerung vernichtet. Das ist nicht einfach ein Trauma der deutsch-griechischen Beziehungen, sondern ein Trauma, das die Deutschen in Griechenland angerichtet haben," sagt Giorgos Margaritis, Professor für Neuere Geschichte an der Aristoteles Universität Thessaloniki.

Trauma vs. Patriotismus

Am jedem 28. Oktober wird dieses Trauma besonders sichtbar. An vielen Privathäusern wird die griechische Flagge gehisst. Bis 1974 war dies gesetzlich vorgeschrieben. Das Fernsehen zeigt Dokumentationen und Spielfilmproduktionen zur Besatzungszeit. "Ehre denen, die ihr Leben für das Vaterland gegeben haben", grüßt die konservative Internetzeitung Thessnews morgens auf ihrem Facebook-Account. "Es ist schon ein wenig merkwürdig, dass man den Nationalfeiertag zum Gedenken an den Beginn eines Krieges begeht und nicht im Gedenken an die Opfer oder das Kriegsende", gibt ein 24-jähriger Student zu denken.

Die deutsche Regierung hält die Frage nach Reparationszahlungen für abschließend beantwortet. Eine erste Konferenz dazu fand bereits im Herbst 1945 in Paris statt. Dabei wurde den Griechen ein prozentualer Anteil an den deutschen Reparationsleistungen für den Zweiten Weltkrieg zugesprochen. Griechenland erhielt Sachleistungen im heutigen Gesamtwert von bis zu zwei Milliarden Euro.

Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 verschoben die Westmächte die Regelung weiterer Reparationsforderungen schließlich bis zum Abschluss eines Friedensvertrages. Zudem gewährten sie Deutschland insgesamt einen Schuldennachlass. Zu einem offiziellen Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Kriegsgegnern kam es jedoch nie. Stattdessen trat 1990 das so genannte "Zwei-plus-Vier-Abkommen" zur deutschen Einheit mit den vier Siegermächten in Kraft, das auch von Griechenland anerkannt wurde und keine weiteren Reparationszahlungen vorsieht.

Für den Historiker Margaritis geht es hier um das Selbstverständnis des Landes: "Die Bedeutung des Tages und des Neins liegt auch darin, dass Griechenland ein kleines Land ist. Wir haben den Krieg gegen die Italiener gewonnen. Und an diesem Tag geht es darum, dass auch kleine Länder Rechte haben und etwas bewirken können." Er hat wenig Verständnis dafür, dass die Bundesregierung sich beim Thema Reparationszahlungen und der Rückzahlung der von den Nazis erzwungenen Kredite von griechischen Banken querstellt. "Hier reichen keine Worte. Hier müssen Gelder fließen."

Patriotischer Wind im Wahlkampf

Auf diesen Zug will nun auch Ministerpräsident Alexis Tsipras aufspringen. Gerade für ihn hat 'Ochi' eine ganz eigene Bedeutung. 2015 ließ er über das dritte Kreditpaket angesichts der drohenden Staatspleite abstimmen. Die große Mehrheit sagte deutlich 'Nein' zu weiteren Sparmaßnahmen und den Bedingungen der Geldgeberländer. Wenige Tage später einigte sich Tsipras mit der Troika und stimmte jenen Bedingungen zu, die er zuvor kategorisch abgelehnt hatte. Diesen Sinneswandel nehmen ihm die Wähler bis heute übel und eben die muss er nun wieder auf seine Seite ziehen. So ist es wenig überraschend, dass er kurz nach dem Auslaufen des Internationalen Kreditprogramms im August das Thema Reparationen wieder auf den Tisch bringt.

Griechenland Nationalfeiertag
Militär und Folklore: Die jährliche, zentrale Parade in Thessaloniki Bild: DW/F. Schmitz

Die Angelegenheit ist für ihn keineswegs neu. Bereits im Wahlkampf 2013 gab er sich kampffreudig. "Schluss mit den Höflichkeiten, Frau Merkel. Wir schulden Ihnen. Sie schulden uns aber auch. Die Stunde der Abrechnung ist gekommen", verkündete er damals siegessicher. Und auch sein erster Finanzminister Giannis Varoufakis drohte damit, den Schuldschein aus dem Tresor zu holen, sollte Deutschland sich in punkto Sparmaßnahmen und Schuldenschnitt nicht kooperativer zeigen.

Auch für Ilias Kouskouvelis, Professor für Internationale und Europäische Studien an der Makedonien-Universität Thessaloniki, ist die Angelegenheit Reparationen noch nicht abschließend geklärt. Warum der Ministerpräsident gerade jetzt, in Vorbereitung auf die Wahlen im kommenden Jahr dieses Thema aufwärmt? Dazu will er sich konkret nicht äußern. Zu wenig wisse man darüber, welche Schritte die Athener Regierung konkret plane.

Überhaupt hält er wenig von solcherlei Vorstößen. "Wir müssen dieses Thema sehr ernst nehmen. Da bietet sich weder Populismus noch politische Vereinnahmung an. In beiden Ländern bedarf das Thema großer Vorsicht. Auf beiden Seiten muss Intelligenz und Vernunft walten. Das ist wesentlich", so Kouskouvelis im DW-Interview. Fest stehe nur eins: "Wir müssen für die Zukunft arbeiten. Und dabei im Kopf behalten: Es sind Dinge passiert und es gibt Dinge zu regeln."

 

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Florian Schmitz Reporter mit Schwerpunkt Griechenland