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Neue Steuern für die Welt

Nicolas Martin
20. Mai 2021

Die Pandemie hat die Kassen in Industrie- und Entwicklungsländern geleert. Gleichzeitig rechnen Techkonzerne ihre Gewinne klein. Eine NGO fordert eine Steuerreform und rechnet aus, was das der Welt bringen könnte.

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Symbolbild Steuerflucht Schwarzgeld
Bild: picture alliance / John Greve

Das vorweg: Umgerechnet rund 26 Milliarden Euro mehr, und das jedes Jahr, könnten die zwanzig größten Industrienationen einnehmen - und das nur bei den großen fünf Techfirmen - also Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft. Zu diesen Zahlen kommt die Nichtregierungsorganisation ActionAid. ″Das System funktioniert nicht mehr. Wir brauchen eine globale Steuerreform″, sagt Anders Dahlbeck, der Steuerexperte der Organisation, die sich durch Einzelspenden und Gelder von Regierungen und Stiftungen finanziert. 

Die Studie der NGO kommt zu einer Zeit, in der der Europäische Union wieder einmal den Kürzeren gezogen hat gegen die übermächtigen Konzerne aus den USA. So kippte ein EU-Gericht vergangenen Woche eine Anordnung der Europäischen Kommission. Diese sollte Amazon eigentlich verpflichten, Steuern in Luxemburg nachzuzahlen. ″Wir werden das Urteil sorgfältig prüfen und über mögliche weitere Schritte nachdenken″, erklärte europäische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager kurz nach dem Urteil. Ähnlich endete auch ein Prozess gegen Apple wegen Steuervermeidung in Irland. Auch hier unterlag die EU. Der Prozess wird derzeit auf der obersten Stufe ausgetragen - vor dem Europäischen Gerichtshof.

Infografik Mögliche Steuerverluste wegen Tech-Firmen Wirtschaftsgruppen

Milliarden durch Steuertricks

Man könnte beim Thema Steuern auch von einem Milliarden-Versagen sprechen. Erst kürzlich bekam Amazon in seiner Luxemburger Dachgesellschaft für das Europa-Geschäft sogar 56 Millionen Euro Steuern gutgeschrieben, und das, obwohl die Pandemie die Umsätze des Konzerns um mehr als ein Drittel auf 42 Milliarden Euro wachsen ließen. Der Fiskus in der EU ging leer aus.

Wie kann das sein? Findige Steuerexperten verschieben Gewinne, verlegen Hauptsitze und reinvestieren Gewinne direkt, sodass am Ende nichts mehr für die Steuerkassen übrig bleibt. Sie benutzen dabei Begriffe wie "Double Irish" oder "Dutch Sandwich". Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, betont immer wieder, dass Deutschland ein Viertel seiner Unternehmenssteuereinnahmen an Steueroasen verliere.

Die unberührten Steuerpotentiale der Digital Economy seien riesig, sagt Anders Dahlbeck von ActionAid. Nicht nur in Industrieländern - auch in Schwellen- und Entwicklungsländern könnten Regierungen massive Mehreinnahmen generieren. Dahlbeck: ″Die zusätzlichen Gelder sind gerade jetzt nötig, wo die Pandemie den Finanzbedarf von Regierungen im Gesundheitssektor so erhöht hat.″ Wohl auch deshalb rechnet ActionAid in seinem Bericht Mission Recovery plakativ vor, dass die möglichen zusätzlichen Steuereinnahmen für eine doppelte Impfdosis für jeden Menschen auf der Welt reichen könnten.

Barbados Strand
Besonders beliebt bei Großkonzernen: Steueroasen in der KaribikBild: picture-alliance/robertharding

Eine globale Steuer soll es richten

Doch die Forderungen der NGO gehen weiter: So schlägt ActionAid eine globale Unternehmenssteuer von 25 Prozent vor. Auch damit trifft sie den Zeitgeist: Erst im April hatte sich US-Präsident Joe Biden an die EU gewandt und einen Vorstoß für eine Wende in der internationalen Steuerpolitik gemacht: ″Den Unterbietungswettlauf weltweit beenden", lautete die Überschrift eines Papiers aus dem US-Finanzministerium. Darin schlagen die USA eine globalen Mindeststeuersatz von 21 Prozent vor. Zuvor hatte sich auch US-Finanzministerin Janet Yellen für einen Mindessteuersatz ausgesprochen. Die Finanzminister Deutschlands und Frankreichs haben sich der Idee angeschlossen. 

USA Washington | Joe Biden
Will eine globale Mindeststeuer für Unternehmen - Joe BidenBild: Drew Angerer/Getty Images

Die Zahl gibt am Ende darüber Auskunft, was Unternehmen insgesamt abführen müssen. Wer also in einem Land weniger als die Mindeststeuer zahlt, muss er im Heimatland entsprechend die Differenz abführen. Bei fünf Prozent Steuern auf einer Karibikinsel fallen dann nochmal 20 Prozent im Land des Hauptsitzes an. Gewinne in Hochsteuerländern kleinrechnen und dorthin verschieben, wo die Steuern niedrig sind, funktioniert dann nicht mehr. ″Dazu braucht man natürlich eine kritische Masse. Vor allem die USA, Kanada und die EU-Länder, hoffentlich einige große asiatische Länder sollten mitmachen. Dort haben die großen Unternehmen ihre Hauptsitze″, sagt Dahlbeck im DW-Gespräch.

Seit Jahrzehnten kennen die Unternehmenssteuersätze eigentlich nur eine Richtung: nach unten. Durch den internationalen Wettbewerb liegt der durchschnittliche Steuersatz auf Unternehmensgewinne bei knapp über 20 Prozent. In den 1980er-Jahren lagen sie noch bei 40 Prozent. Deshalb appelliert ActionAid auch für ″mindestens 25 Prozent″, da etliche Länder bei einem höheren Steuersatz ansonsten nach unten anpassen müssten.

Infografik Mögliche Steuerverluste wegen Tech-Firmen Länder

Neue Berechnungsformeln sind nötig

Die Welt braucht Geld. Rund um den Globus haben Pandemie und Rezession die Staatskassen leer gefegt - vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern. ″So, wie die Steuersysteme derzeit aussehen, ist es sehr schwer, für diese Länder überhaupt an Steuern zu kommen″, sagt Dahlbeck. ″Deshalb rufen wir Länder außerhalb des globalen Nordens dazu auf, andere Maßnahmen in Betracht zu ziehen, um Steuern einzunehmen.″

Einige afrikanische Länder wie Nigeria, Kenia oder Sierra Leone ziehen bei den großen Tech-Unternehmen bereits direkt einen vorgegebenen Steuersatz von deren Umsatz bei gewissen Angeboten ein - beispielsweise bei Streaming, Social Media oder Ähnlichem. So genannte Digital Service Taxes werden laut OECD-Angaben schon in 40 Ländern weltweit veranschlagt. Indien hat beispielsweise Schwellenwerte eingezogen: Die Nutzer und der in Indien generierte Umsatz. Liegen diese über bestimmten Werten, fallen Steuern an. So sollen Steuertricks weniger Bedeutung bekommen.

Nigeria Covid-19 Impfung in Abuja | Dr. Eragbai Faith
Noch sind wenige Menschen weltweit geimpft - gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt das Geld für aufwendige ImpfkampagnenBild: Uwais Idriss/DW

In seinem Bericht setzt sich ActionAid langfristig für ein globales Steuersystem, das auch die Bedürfnisse von Entwicklungs- und Schwellenländern achtet - am besten unter dem Dach der Vereinten Nationen. ″Länder, in denen wirtschaftliche Aktivität stattfindet, haben das Recht, Steuern zu erheben″, sagt Dahlbeck. Doch da ist die Organisation realistisch: In naher Zukunft ist ein so komplexes Regelwerk unwahrscheinlich.

Übergangsweise sollen es nun ein globaler Mindeststeuersatz und nationale Alleingänge richten. Die Zeit für einen solchen Schritt scheint tatsächlich günstig. Denn auch die USA und die EU wollen die Pandemie-Gewinner an den Kosten der Krise beteiligen. Schon im Sommer könnte eine globale Mindeststeuer kommen. Man kann fast sicher sein: Die Steuerexperten von Amazon, Google und Co arbeiten bereits daran, auch diese Vorgaben wegzuoptimieren.