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"Deutschland ist bereit zu führen"

Naomi Conrad 13. Juli 2016

Deutschlands Sicherheitspolitik hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Jetzt gibt ein neues Weißbuch den Kurs vor: Mehr globale Verantwortung und eine stärkere Führungsrolle bei internationalen Einsätzen.

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Von der Leyen mit dem Weißbuch (Foto: picture-alliance/dpa/M. Kappeler)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Eineinhalb Jahre hat die Politik an dem neuen Weißbuch gearbeitet - jetzt hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Leitfaden der deutschen Sicherheitspolitik in Berlin vorgestellt, das deutsche Interessen definiert, Bedrohungen identifiziert und Handlungsvorgaben macht. Kurz: "Das gesammelte Konzept" der Bundesregierung, so nennt es die CDU-Politikerin. Das Weißbuch gibt die strategische Ausrichtung der Bundeswehr vor - in diesem Fall die Neuausrichtung hin zu mehr globaler Verantwortung.

Das letzte Weißbuch stammt von 2006. Damals war die Bedrohungslage eine ganze andere: Russland galt als Partner, noch tobte kein Bürgerkrieg in Syrien und Libyen, vom selbsternannten Islamischen Staat (IS), Ukraine-Krise oder Ebola und Flüchtlingskrise ganz zu schweigen. Heute aber habe man es mit einer "nie gekannten Dichte und Parallelität der Krisen" zu tun, so Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des neuen Weißbuches, das am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde.

In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Sicherheitslage in Deutschland verändert, "aber auch Deutschland hat sich verändert", so die CDU-Politikerin: "Wir wissen um unsere Größe." Deutschland mache sich nicht größer, aber auch nicht kleiner als es sei.

So lauten die zentralen Punkte des neuen Weißbuches, dem elften seit 1969, das vom Verteidigungsressort in Zusammenarbeit mit anderen Ministerien erarbeitet wurde:

- Verantwortung: "Deutschland ist bereit zu führen", so von der Leyen. Deutschland, so heißt es im Weißbuch, stehe in der Verantwortung, "die globale Ordnung aktiv mitzugestalten." Damit führt das Weißbuch die Linie fort, die auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 vorgegeben wurde. Deutschland, so formulierten es Bundespräsident Joachim Gauck und auch von der Leyen damals, müsste mehr Verantwortung in der Welt übernehmen - auch militärisch. Unter Beweis gestellt wurde dieser Paradigmenwechsel alsbald: In der Ukraine-Krise, in der Deutschland zusammen mit Frankreich zwischen den Parteien vermittelte, und dann im Nahen Osten, als Deutschland Waffen und Ausbilder in den Irak schickte.

Kurdische Kämpfer trainieren in Deutschland (Foto: AP Photo/Michael Sohn)
Die Bundeswehr bildet kurdische Kämpfer aus - hier in DeutschlandBild: picture-alliance/AP Images/M. Sohn

- Finanzen: Nach den Kürzungen der vergangenen Jahre, soll die Bundeswehr mehr Personal und eine bessere Ausrüstung erhalten: "Unser Gestaltungsanspruch, die zahlreichen Krisenherde (…), aber auch die gestiegenen Erwartungen an die außen- und sicherheitspolitische Rolle Deutschlands, verlangen eine Trendwende." Die NATO-Mitglieder haben sich eigentlich das Ziel gesetzt, bis 2024 zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung auszugeben - ein Ziel, zu dem sich die Regierung "im Rahmen ihrer Ressourcen" verpflichtet fühlt. Derzeit gibt Deutschland etwa 1,2 Prozent seines BIPs für Verteidigung aus - im Haushaltsetat 2016 sind knapp 34,3 Milliarden Euro vorgesehen (ein Plus von ca. 1,3 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr).

- NATO: Deutschland will sich stärker innerhalb der NATO engagieren. Der europäische Pfeiler der NATO müsse gestärkt werden, heißt es im Weißbuch: "Deutschland ist hier bereit, in Vorleistung zu treten und in einer erheblichen Breite als Rahmennation zu wirken." Diese Vorgabe wurde bereits unter Beweis gestellt, als die NATO beschloss, erstmals in größerem Maße Truppen in Osteuropa zu stationieren - neben den USA; Großbritannien und Kanada wird Deutschland dabei eine Führungsrolle übernehmen.

Die Bundeswehr will sich aber auch stärker in UN-Friedensmissionen engagieren und auch Führungsverantwortung übernehmen. Ein erster Schritt war die Entsendung von 240 Soldaten nach Mali.

- Einsatz im Inneren: Die Union hat in der Vergangenheit immer wieder gefordert, das Grundgesetz zu ändern, damit Soldaten auch leichter im Inneren eingesetzt werden können. Allerdings scheiterte dies am Widerstand der SPD. Doch das Weißbuch stellt klar, dass Soldaten bei Terrorangriffen etwa bei Evakuierungs- oder Rettungseinsätzen, eingezogen werden können. Dazu sollen im Vorfeld Übungen mit Polizei und Katastrophenschützern durchgeführt werden.

- Sicherheitsrat und Europa: Deutschland strebt weiter einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an - ein "Fernziel", heißt es im Weißbuch, denn alle bisherigen Versuche, den Sicherheitsrat zu reformieren, sind bislang gescheitert. Auch strebt Deutschland langfristig eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion an. Das Weißbuch sieht zudem vor, dass sich die Bundeswehr für EU-Ausländer öffnen soll - ein Schritt, den der Bundeswehrverband entschieden ablehnt. Allerdings, so von der Leyen, "ist das nicht etwas, das in Kürze passiert."

Kritik kommt auch von der Opposition: In einer von der Linken, die traditionell jedem Bundeswehreinsatz ablehnend gegenübersteht, verschickten Pressemitteilung heißt es: "Das Weißbuch ist nichts anderes als die zu Papier gebrachte Forderung nach mehr Geld für mehr Soldaten, mehr Militäreinsätze und mehr Kriegsgerät. Es ist ein Weißbuch für Aufrüstung und Krieg."

Auch die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger kritisierte im Deutschlandfunk die Pläne der Regierung die Bundeswehr im Rahmen sogenannter "Ad-hoc-Kooperationen" auch ohne UN-Mandat in Kriegsgebiete zu schicken, wie dies etwa bereits bei der US-geführten Anti-IS-Koalition in Syrien und dem Irak der Fall ist. Die Formulierung stehe, so Brugger, "klar im Widerspruch zu den Vorgaben aus dem Grundgesetz für die Auslandseinsätze der Bundeswehr, aber auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts." Das sei, so Brugger, "ein großer Tabubruch".

Aber auch der Koalitionspartner SPD kritisiert Aspekte des neues Weißbuches: "Was mich ein bisschen stört, ist, dass man sich nicht ehrlich macht, wenn es um die Finanzen geht", so Verteidigungsexperte Rainer Arnold im Interview mit der DW. Deutschland sei "Meilenweit weg" vom NATO-Ziel von zwei Prozent. Statt mehr Geld auszugeben, fordert Arnold eine Debatte über Prioritäten. "Wo wollen wir sein, was ist uns wichtig und wo gibt es Felder, die wir uns einfach nicht mehr Leisten können?"