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Oxfam geißelt globale Ungleichheit

21. Januar 2019

Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum präsentiert die britische NGO Oxfam ihre jährliche Studie. Ob sie die Reichen und Mächtigen in Davos kümmert, ist fraglich. Auch weil die wissenschaftliche Qualität umstritten ist.

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Ein Oxfam-Zeichen wird an einer Wand in Corail, einem Lager für Vertriebene des Erdbebens von 2010, am Stadtrand von Port-au-Prince, Haiti gesehen
Bild: Reuters/A.Martinez Casares

Im aktuellen Jahresbericht rechnet Oxfam vor, dass im vergangenen Jahr 26 Personen mehr Vermögen besaßen, als die 3,8 Milliarden Menschen, die die ärmste Hälfte der Menschheit ausmachen. 

Basierend auf Datensätzen der Schweizer Bank Credit Suisse für den Zeitraum Juni 2017 bis Juni 2018 und der berühmten Liste der reichsten Menschen der Welt vom US-Magazin "Forbes" (März 2017 bis März 2018) behauptet die britische Non-Profit-Organisation Oxfam, dass das Vermögen der Superreichen im Durchschnitt innerhalb eines Jahres um 2,5 Milliarden Dollar (ca. 2,2 Milliarden Euro) pro Tag wuchs, während das Vermögen der ärmsten Hälfte der Weltbevölkerung im selben Zeitraum täglich um 500 Millionen Dollar schrumpfte.

Leben in Würde für alle oder Reichtum für wenige?

"Unsere Wirtschaft ist zerbrochen, Hunderte von Millionen Menschen leben in extremer Armut, während riesige Summen an die ganz oben gehen", schreibt Oxfam zu seiner Studie mit dem Titel "Public Good or Private Wealth", zu deutsch: "Öffentliches Gut oder privates Vermögen".

Darin erkennen die Autoren zwar auch Fortschritte an, die bei der Verringerung der extremen Armut auf der Welt gemacht wurden. Gleichzeitig wird aber auch auf Untersuchungen der Weltbank hingewiesen, die zeigten, dass sich der Rückgang der Armut seit 2013 verlangsamt habe.

Oxfam-Second-Hand-Geschäft (in London)
Oxfam-Second-Hand-Geschäft (in London): "Unsere Wirtschaft ist zerbrochen"Bild: picture alliance/AP Photo/N. Ansell

"Die Regierungen stehen heute vor einer harten Entscheidung - einer Entscheidung zwischen einem Leben in Würde für alle ihre Bürger oder einem anhaltenden extremen Reichtum für nur wenige", warnt Oxfam.

Oxfams Drei-Punkte-Appell

Ihrem Jahresbericht stellen die Autoren drei Grundsatzforderungen an die Regierungen der Welt voran - politische Inventionen, die sie für geeignet halten, die die Ungleichheit zu bekämpfen. Kurz zusammengefasst fordert Oxfam, erstens den Ausbau von Gesundheitsversorgung und Bildung; zweitens die Gleichstellung von Frauen in finanzieller Hinsicht und ein Mitspracherecht auch in der Familie; drittens das Schließen von Steuerschlupflöchern.

Vorschläge, die aus Sicht von Experten allerdings mit Vorsicht zu genießen sind. Denn der Oxfam-Bericht wird trotz wiederholter Kritik seit Jahren mit einer umstrittenen Methodik erstellt. So erfolgt die Berechnung des "Nettovermögens" von Einzelpersonen, indem deren Vermögenswerte, wie Immobilien und Aktien, zusammengerechnet und von dieser Summe dann deren Schulden abgezogen werden. Das laufende Einkommen aber wird von der Berechnung ausgeschlossen.

Zentralafrikanische Republik Unterernährte Kinder
Unterernährte Kinder in der Zentralafrikanischen Republik (2016). Harvard-Absolventen ärmer dran als Besitzlose in Afrika?Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Delay

Dies hat zur Folge, dass nicht etwa Menschen in Entwicklungsländern, die mit wenig bis gar nichts leben müssen, als besonders arm gelten, sondern vielmehr junge, gut ausgebildete Fachleute. Denn diese haben oft noch kein eigenes Vermögen erwirtschaftet, dafür aber Schulden für die eigene Ausbildung gemacht, etwa in Form von Studienkrediten.

Harvard-Absolventen - die Armen dieser Welt?

Nach der Rechenmethode der Oxfam-Studie wäre also ein Harvard-Absolvent, der einen Kredit für das Elitecollege aufnehmen musste, in seinem ersten Job nach der Uni - trotz stetigem und vermutlich bald steigendem Einkommen - schlechter dran als Menschen, die in Subsahara-Afrika oder Südostasien ohne Besitz aber mit geringen Schulden leben.

Jamie White von der britischen Denkfabrik "Institute of Economic Affairs" erklärt den grundlegenden Denkfehler der Oxfam-Berechnungen so: "Es ist wahr, dass ein Harvard-Absolvent oft hohe Schulden hat. Aber was Oxfam nicht einrechnet, ist der Wert, den sein Abschluss hat."

Ähnliche Probleme tauchen an einigen Stellen der Oxfam-Studie auf. So werden beispielsweise weder das Familienvermögen noch künftige Pensionsansprüche in individuellen Daten berücksichtigt. Aufgrund seines niedrigen wissenschaftlichen Niveaus, ist für viele die mediale Aufmerksamkeit überhaupt nicht gerechtfertigt, die der Oxfam-Bericht Jahr für Jahr hervorruft.

Auch die Vorstellung der Organisation, dass der globaler Reichtum ein kollektiver Pool ist, zu dem Menschen auf der ganzen Welt beitragen und von dem die Reichen sich den Löwenanteil nehmen, indem sie andere berauben, greift vielen Experten deutlich zu kurz.

Ökonom Jamie White meint, es würde in keiner Weise helfen, den 26 Superreichen ihren Reichtum wegzunehmen, um ihn den Armen zu geben: "Dann würde jeder Arme dieser Welt 750 Dollar bekommen. Das wäre eine Einmalzahlung, ihr Einkommen würde sich dadurch nicht erhöhen. Ihr Leben würde das im Grunde überhaupt nicht verändern."

Was hilft gegen die globale Ungleichheit?

Und dennoch: Das eigentliche Problem der Ungleichheit existiert ganz real. Der Ökonom David Autor vom Massachusetts Institute of Technology stellte in Untersuchungen fest: Ein erhebliches Maß an Ungleichheit kann durch sogenannte "Superstar-Firmen", wie Internet-Konzerne, erklärt werden, die alle anderen in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten deutlich übertreffen.

Untersuchungen über Google und Facebook zeigten, dass die größte Ungleichheit nicht zwischen Chefs und ihren Mitarbeitern besteht, sondern zwischen denen, die in derlei "Superstar-Unternehmen" mit kleinen Belegschaften arbeiten, und allen anderen.

Deshalb, so argumentiert Jamie White, dürfe der Schwerpunkt des Kampfs gegen globale Ungleichheit nicht auf neuen Vorschriften liegen, die es bestimmten Interessengruppen erlaubten, die Politik zu vereinnahmen. Vielmehr müssten der Wettbewerb gesteigert werden sowie Markteintrittsbarrieren abgebaut werden. Eine wettbewerbsfähigere Marktwirtschaft könne den Wohlstand steigern, so White, und der Vetternwirtschaft wesentlich effektiver begegnen, als die von Oxfam unterbreiteten Vorschläge.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen