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Erdgas quer durch die Sahara nach Europa?

Martina Schwikowski
12. August 2022

Nigeria, Niger und Algerien bekräftigen den geplanten Bau einer Gasleitung. Doch reichen der politische Wille und die Finanzen, das Mega-Projekt zu bauen? Dann könnte in etwa 10 Jahren Gas durch die Pipeline fließen.

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Arbeiter an einer Gas-Verdichterstation von Sasol Natural Gas Exploration in Mosambik
Arbeiter an einer Gas-Verdichterstation von Sasol Natural Gas Exploration in MosambikBild: Roberto Paquete/DW

Neu ist es nicht, das Mega-Projekt: Drei Wüstenstaaten wollen eine Gaspipeline durch die Sahara bauen. Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt hatten sich Vertreter der Länder Nigeria, Niger und Algerien getroffen, um das Projekt zu planen. Dann lag es wieder auf Eis. Doch nun haben die Energieminister Ende Juli eine Absichtserklärung unterzeichnet. Für Europa könnte die Pipeline eine Alternative zu den russischen Lieferungen bieten - falls sie gebaut wird.

Mangel an politischem Willen

Experten gehen jedoch davon aus, dass es noch lange dauern wird, bis Gas durch die Pipeline Richtung Europa fließt - manche sprechen von mehr als zehn Jahren. Isaac Botti sieht Mangel an politischem Willen als eine der größten Herausforderungen, die Gasleitung zu bauen: "Ich habe das Gefühl, dass es sich nur um eine Verpflichtung auf dem Papier handelt, die nicht durch Taten untermauert wird", sagt Botti, Analyst für öffentliche Finanzen in Abuja, in einem DW-Interview.

Noch fehle es an politischen Rahmenbedingungen und Finanzen, betont Botti. "Die nigerianische Regierung ist der Hauptlieferant von Gas, ebenso wie die algerischen Partner. Wenn der Wille vorhanden ist, muss Nigeria dafür sorgen, dass es losgeht", so seine Einschätzung. Der Krieg in der Ukraine biete die Gelegenheit für die afrikanischen Länder, in die globalen Märkte einzutreten, Gas zu liefern und den weltweiten Bedarf zu decken. Investoren würden kommen, wenn sie von der Ernsthaftigkeit der Pläne überzeugt seien.

Infografik Pipelines Afrika Europa DE

Mehrere europäische Länder setzen seit Beginn des Ukraine-Krieges alles daran, ihre Erdgasimporte aus Ländern außerhalb Russlands aufzustocken. Das Projekt in Afrika soll knapp 13 Milliarden Euro kosten - einzelne Quellen sprechen von bis zu 20 Milliarden. Es sieht vor, Milliarden von Kubikmetern Gas aus Nigeria über eine rund 4000 Kilometer lange, sogenannte Trans-Sahara-Gaspipeline (TSGP oder auch Nigal) durch den Niger nach Algerien zu transportieren.

Nigeria: Große Armut, enorme Gasreserven

Von der Strecke verlaufen 1000 Kilometer in Nigeria, 800 in Niger, aber mehr als 2300 Kilometer auf algerischem Gebiet. Aus Algerien soll das Gas über die bestehende Transmed-Pipeline durch das Mittelmeer nach Italien gepumpt oder für den Export auf Flüssiggas-Tanker verladen werden. Die TSGP soll zudem die Märkte entlang ihres Wegs durch die Sahara versorgen.

Aus dem Niger-Delta sollen rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr durch die Transportröhre nach Algerien fließen. Tatsächlich sitzt Nigeria auf den größten Ölreserven des Kontinents, und schon jetzt ist es nach Algerien der zweitgrößte Gasexporteur Afrikas. Und das Potenzial ist noch weit größer, sagt Botti. "Nigeria verfügt über eines der größten Gasvorkommen der Welt, etwa fünf Billionen Kubikmeter, mit einer Förderkapazität von 85 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, und wenn man den Wert dieses Vorkommens betrachtet, sind es über 800 Milliarden Euro, die mit diesen Projekten verdient werden könnten", rechnet der Finanzexperte.

Algeriens Energieminister Mohamed Arkab (m.) bei der Unterzeichnung einer Absichtserklärung mit Nigerias Ölminister Timipre Sylva (l.) und Nigers Energieminister Sani Mahamadou (r.)
Wollen die Pipeline: Algeriens Energieminister Mohamed Arkab (m.) bei der Unterzeichnung einer Absichtserklärung mit Nigerias Ölminister Timipre Sylva (l.) und Nigers Energieminister Sani Mahamadou (r.)Bild: Chahine Sebiaa/IMAGO

Im krassen Gegensatz dazu stehen Armut und Instabilität in Nigeria - eine Realität, die den Bau der Pipeline unrealistisch erscheinen lässt. Terror und Gewalt breiten sich im muslimischen Norden des Landes aus. Dort kommt es häufig zu Entführungen und Angriffen durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram. Ein latentes Sicherheitsrisiko, sagen Experten.

Eine andere Entwicklung, die Investoren abschrecken könnte: Angesichts der immer massiveren Auswirkungen des Klimawandels hat die EU - von deren Mitgliedsstaaten als Abnehmer der Erfolg der Pipeline abhängt - vor, bereits ab 2030 mindestens 55 Prozent weniger CO2 auszustoßen. Fossiles Erdgas ist zwar effizienter als Kohle und Öl und gilt daher als weniger schädliche Brückentechnologie. Auf lange Sicht baut Europa jedoch darauf, es weitgehend etwa durch grünen Wasserstoff zu ersetzen.

Ziel: Profite für Entwicklung nutzen

Noch sprudeln die Ölgewinne in Nigeria - und trotzdem hat das Land große finanzielle Probleme. Die Staatsverschuldung erhöhte sich nach offiziellen Angaben im ersten Quartal 2022 um weitere zwei Billionen auf nun 41 Billionen Naira, umgerechnet rund 93 Milliarden Euro.

Das stelle eine ernsthafte Einnahmelücke dar, sagt Botti und setzt auf die aktive Zivilgesellschaft als treibende Kraft: Sie müssten sich mehr für die Entwicklungsbudgets und politische Fortschritte einsetzen. "Die meisten ihrer Aktionen, obwohl es sich um eine lebendige Bewegung handelt, konzentrieren sich auf den Ölsektor und nicht auf den Gassektor."

Vier Arbeiter in Blaumännern an der Gaspipeline im nigerianischen Port Harcourt
Gaspipeline im nigerianischen Port Harcourt - ansonsten steht in dem Land eher das Öl im FokusBild: Florian Plaucheur/AFP/Getty Images

Ein anderer Faktor: Machtgerangel. Die Politiker sollten laut Botti über die Partei-Differenzen hinausschauen, und den finanziellen Gewinn durch eine solche Pipeline zur Entwicklung des Landes und für Investitionen in nachhaltige Energieerzeugung nutzen. Eine neue Regierung - nach den Präsidentschaftswahlen 2023 - könnte da vielleicht mehr leisten, hofft Botti.

Algerien: Handlungsspielraum gewachsen

Der algerische Analyst Brahim Kas sieht allerdings in allen drei Ländern einen "echten" politischen Willen, die Pipeline zu betreiben. "Auf jeden Fall ist er viel stärker als in den 2000er Jahren. Die geopolitische Gaskrise ist heute viel größer, viel akuter und wird über einen längeren Zeitraum andauern", sagte der politische Analyst im DW-Interview. Algerien habe die technische und vor allem die finanzielle Kapazität für den Bau - und mit dem Anstieg der Gas- und Ölpreise einen neuen, enormen Handlungsspielraum, so der in Paris ansässige Experte.

Das Zentrum der algerischen Erdölindustrie in Hassi Messaoud mit weithin sichtbaren Abgasfackeln.
Algerien ist neben Gas auch ein wichtiger Erdölproduzent - hier in Hassi MessaoudBild: Sofam/dpa/picture-alliance

Die bereits existierende TransMed-Pipeline verbindet Algerien über Tunesien mit Italien. "Dieses Jahr haben Algerien und Italien ein Abkommen geschlossen, um die Produktionskapazitäten bereits in diesem und im nächsten Jahr zu erhöhen. Damit wird die TransMed ihre maximalen Kapazitäten erreichen", glaubt Kas.

Das sollte die Europäische Union motivieren, ein anderes Projekt wieder aufgreifen: Die Galsi-Pipeline, deren Bau aus ökologischen Gründen abgebrochen worden war, so Kas. Sie sollte von Algerien über Korsika und Sardinien laufen, um Europa zu versorgen. Algerien könne diesen Abschnitt zwar bauen, werde aber eine langfristige Zusage europäischer Länder abwarten: "Die könnten ja plötzlich sagen, sie bräuchten jetzt das afrikanische Gas nicht mehr", sagte Kas - daher wolle sich Algerien mit einer konkreten Importzusage absichern.

Korrekturhinweis: Nach der Veröffentlichung des Artikels haben wir die zu erwartenden Kosten der TSGP-Pipeline konkretisiert und einen Umrechnungsfehler zur nigerianischen Staatsverschuldung verbessert.