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Politik

Populisten und wie sie die Welt sehen

28. Oktober 2018

Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien: Populistische Politiker sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Doch die Struktur ihrer Geschichten ist immer dieselbe, sagt der Rhetorik-Dozent Jorn Precht.

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Brasilien Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro
Bild: Getty Images/AFP/N. Almeida

DW: Auf welche Art von Geschichten greifen Populisten zurück, und warum sind sie für manche Menschen so attraktiv?

Jorn Precht: Im Umfeld der Filmindustrie hören wir oft vom KISS-Prinzip: "Keep it simple, stupid". Das heißt: Schreibe eine Geschichte, die jeder versteht. Exakt darauf setzen populistische Bewegungen: auf einfache, leicht verständliche und darum effektive Geschichten. Für diese gibt es bestimmte Zutaten. Die Erste ist eine Katastrophe, welcher Art auch immer. Wir, die Helden der Geschichte, befinden uns in tödlicher Gefahr. Auf sie folgt eine Art Auferstehung - nun können wir uns gegen die Krise wehren.

Die Beschwörung einer Krise oder eines Niedergangs ist fester Bestandteil typisch populistischer Geschichten. Andere sind etwa die Vorstellung einer angespannten Beziehung zwischen einfachem Volk und Elite oder auch die Idee, das Volk verfüge über eine Art gesunden Menschenverstand, der allen seinen Urteilen zugrunde liege. Zudem pflegen Populisten Verschwörungstheorien über die bösartigen Intrigen der Eliten. Ihr Diskurs nimmt dabei eine stark moralisierende Note an.

Wenden auch Donald Trump oder die AfD diese Elemente an?

Ja. Der Slogan "Make America great again" impliziert bereits eine Krise. Die dahinter stehende Frage lautet: Warum ist Amerika nicht mehr groß? Wer trägt die Schuld? Die Antwort: die Demokraten oder die Eliten. Dabei ist Trump Millionär, ein Mitglied der Elite. Dennoch sehen sich Populisten wie Trump als direkte und einzige Vertreter und Führungskräfte des Volkswillens. Sie tun so, als würden sie das Volk gegen korrupte und parasitäre Eliten verteidigen. In der Logik der Rechtspopulisten gehen die Eliten ein Bündnis mit Muslimen, Mexikanern oder Ausländern ein, die ihnen als parasitär gelten. Trump inszeniert sich als von Gottgesandter, der vorgibt, die Menschen gegen das allgegenwärtige Böse zu verteidigen. Auf diese Weise zeichnet er ein unendlich vereinfachtes Bild der Gesellschaft. Die Geschichten der Populisten arbeiten vor allem mit zwei Gefühlen: zum einen mit Nostalgie und zum anderen mit der Angst vor dem Unbekannten.

Also Nostalgie, Angst - und dann die Hoffnung, die auf dem neuen "Held" gründet?

Jörn Precht, Experte für Dramaturgie | Hochschule der Medien Stuttgart
"Populistische Erzählungen ähneln sich", sagt Rhetorik-Experte Jorn PrechtBild: Fotohaus Sänger

Ja. Die mit dem populistischen Führer verbundene Hoffnung ist auch eine Hoffnung auf Vereinfachung. Das impliziert in psychologischer Hinsicht stark familiäre Strukturen: Die Idee nämlich, dass ein "Vater" die Dinge schon richten wird. Populistische Bewegungen neigen dazu, vor allem auf männliche Führerfiguren zu setzen. Ideologisch weisen sie oft zurück in Zeiten wie die 1950er Jahre, als der Mann arbeitete und die Frau zu Hause war. Donald Trump ist in gewisser Weise ein Macho aus den 1950er Jahren. Auch das ist bezeichnend, denn Populisten kultivieren oft eine gewisse Nostalgie hinsichtlich der Geschlechterrollen. Sie und ihre Anhänger sind überzeugt, dass die Welt damals weniger kompliziert war. Liest man aber Zeitungen aus jener Zeit, stellt man fest, dass Frauen viel stärker unterdrückt wurden. Das aber bedeutet keineswegs, dass die Welt weniger kompliziert war.

Funktioniert diese populistische Erzählung in verschiedenen Ländern gleich? Tauchen etwa in Brasilien, den USA, Ungarn und Deutschland vergleichbare Elemente auf?

Erstaunlicherweise ja. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Kulturen, doch Nostalgie, ein Gefühl der Bedrohung sowie Sehnsucht nach einer väterlichen Führungsfigur scheinen einem weitverbreiteten Bedürfnis zu entsprechen. Das funktioniert in vielen Ländern sehr gut.

Wenn Emotionen so wichtig sind - was können dann Fakten bewirken?

Denken wir an Donald Trump, hat man bisweilen den Eindruck, Fakten seien nicht mehr relevant. Die Populisten wählen exakt diejenigen Fakten aus, die ihrem Weltbild entsprechen. Kritik daran mögen sie nicht - denn Kritik bedeutet Diskussion, und die wiederum lässt erkennen, dass die Welt komplizierter ist, als es die Populisten versprechen.

Sie haben sich angesehen, wie die Vereinfachung der Welt genutzt wird, zum Beispiel in den sozialen Medien in Deutschland. Wie funktioniert das auf diesen Plattformen?

Twitter und Facebook machen es den Nutzern möglichen, Artikel aus renommierten Massenmedien zu kommentieren. Dies bietet eine effektive Möglichkeit, populistische Narrative zu fördern. Es gibt einige bestens organisierte Personen, die versuchen, - auch mit Hilfe von Bots aus Russland und gefälschten Profilen - die öffentliche Meinung bei strittigen Themen wie Flüchtlingen zu beeinflussen. Die Bots der Populisten schwärmen in die Kommentarspalten ein und setzen dort ihre Texte ab. Es gibt nun allerdings eine Gegenbewegung - Menschen, die gegen gefälschte Nachrichten oder falsche Fakten gerichtetes Material posten. Zudem lernt der Staat, wie sich gegen die illegale Beeinflussung von Menschen vorgehen lässt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte kürzlich, dass die Bundesregierung über eine Bestrafung nachdenke. Es besteht also Hoffnung, dass es wieder zu ernsthaften, faktenbasierten Diskussionen kommt. 

Jorn Precht ist deutscher Dozent für Drehbuch und Dramaturgie an der Hochschule der Medien Stuttgart. Er arbeitet zudem als Drehbuchautor, Übersetzer, Lektor, Schauspieler, Regisseur Filmproduzent und Autor.

Das Interview führte Anke Rasper.

DW Mitarbeiterin - Anke Rasper for World in Progress
Anke Rasper Anke ist koordinierende Redakteurin, Autorin und Moderatorin in der DW Umweltredaktion.