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Premiere in Deutschland: Corona-Impfung beim Hausarzt

Kay-Alexander Scholz
4. Februar 2021

In Deutschland ist Impfstoff knapp. Verabreicht wird er bislang nur in speziellen Impfzentren oder in Pflegeheimen. Ein Landkreis an der Ostsee zeigt: Es geht auch einfacher - zur Freude der über 80-Jährigen.

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In der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis erhalten Werner (l-r) (82) und Waltraut Burmeister (87) von Fabian Holbe, Facharzt für Allgemeinmedizin, die erste Corona-Schutzimpfung.
Nah und vertraut - Impfen beim HausarztBild: Bernd Wüstneck/dpa/picture alliance

Über den Föderalismus wird in Deutschland gern geschimpft. Angeblich ist er zu kompliziert. Das gilt erst recht in der Corona-Krise. Manche kritisieren einen "Flickenteppich" unterschiedlicher Anti-Corona-Maßnahmen, weil die von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt variieren können. Politische Entscheidungen werden laut Grundgesetz schließlich nicht allein zentral im Bund gefällt, sondern auch in den Bundesländern oder auf Ebene der Landkreise und Städte. In der Gesundheitspolitik zum Beispiel haben die Ämter vor Ort das letzte Wort; Bund und Länder geben nur den Rahmen vor.

Dieser ach so komplizierte Föderalismus ermöglicht andererseits aber auch einen Wettbewerb der Ideen um die besten Lösungen. Aktuelles Beispiel ist ein Landkreis an der Ostsee-Küste. Dort vollzieht sich gerade eine stille Revolution in Sachen Corona-Impfung.

Impfen leichter gemacht

Als erste Gruppe werden in Deutschland gerade über 80-Jährige geimpft. Wer in einem Alters- oder Pflegeheim lebt, bekommt die Impfung dort mithilfe mobiler Impfteams. Für alle anderen ist der Weg zur Spritze weniger komfortabel.

Die müssen sich auf den Weg in eigens eingerichtete Impfzentren machen. Doch davon gibt es nicht so viele. Zudem sind die Impfzentren oftmals in großen Hallen untergebracht. In denen kann zwar alles rund ums Impfgeschehen gut kontrolliert werden; sie haben aber auch Nachteile. Das beginnt bei den mitunter komplizierten Anmeldeverfahren, geht mit zum Teil sehr langen Wegen dorthin weiter und hört bei der eher unpersönlichen Atmosphäre in den Impfzentren noch nicht auf. Im Endeffekt ist das für manche über 80-Jährige eine so große Herausforderung, dass sie aufs Impfen verzichten.

Deutschland Berlin |  Impfzentrum im Berlin, am Öffnungstag 14. Januar
Für manche weit weg und unpersönlich: ImpfzentrenBild: Kay Nietfeld/Getty Images

Im Landkreis Nordwest-Mecklenburg beschreitet man deshalb mutig Neuland: In mehreren Praxen dürfen jetzt auch Hausärzte impfen. Dabei "haben wir als einer der wenigen Landkreise sogar zwei Impfzentren", betont Landrätin Kerstin Weiss im Gespräch mit der DW. "Aber gerade für die ältere Bevölkerung sind weite Wege oft auch ein Entscheidungsfaktor, ob man sich überhaupt um eine Impfung bemüht." 

Das "Revolutionäre": Der von Bund und Ländern erstellte Impfplan sieht eigentlich vor, dass Hausärzte erst dann eingesetzt werden, wenn mehr Impfstoff verfügbar ist. Aktuell ist die Nachfrage aber noch sehr viel höher als das Angebot - und so sind Hausärzte bei der Impfaktion außen vor. 

Politisch war das Projekt "Impfen beim Hausarzt" nicht ohne Widerstände umzusetzen, erzählt Landrätin Weiss. Es habe einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, vom Land Mecklenburg-Vorpommern die Genehmigung dafür zu bekommen.

Wie es funktioniert

Impfplan und Bedürfnisse vor Ort ließen sich mit einem "Trick" versöhnen: Die Hausarztpraxen wurden organisatorisch zu "Außenstellen der Impfzentren". Mal schnell zum Arzt gehen und sich eine Impfung abholen, geht also auch hier nicht. Wer sich impfen lassen möchte und eine Einladung dafür bekommen hat, muss wie die anderen auch zunächst bei der zentralen Hotline anrufen. So ist garantiert, dass die Impfreihenfolge - aktuell nur über 80-Jährige - eingehalten wird. Der Unterschied ist: Der Impfling kann als Wunschort für die Impfung nun auch eine Arzt-Praxis angeben.

Portrait von Fabian Holbe
Dr. Fabian Holbe hatte die Idee zum Projekt "Impfen beim Hausarzt" Bild: Tessa Walther/DW

Der Allgemeinmediziner Fabian Holbe aus der Kleinstadt Neuburg ist Initiator des Projekts. Logistisch gab es einige Herausforderungen zu bewältigen. Der Impfstoff kann nur bei minus 70 Grad gelagert werden und muss bei normalen Temperaturen relativ schnell verimpft werden. Zudem sollen normale Praxis-Besucher keinen Kontakt mit den Impflingen haben. Deswegen liegen die Impfzeiten nun außerhalb der normalen Sprechzeiten.

Sein Wunsch sei es, sagte Holbe der DW, mit dem Modell-Projekt zu beweisen: "Es geht! Die Hausärzte können das! Wir schaffen das!" Bislang wurden schon einige Hundert Menschen in Neuburg geimpft. Die bisherigen Erfahrungen seien gut, resümiert Holbe. "Gebt uns mehr Impfstoff, dann kriegen wir den auch weg!", laute das Feedback aus den anderen Arzt-Praxen.

Nachahmer erwünscht

Bei der Vorstellung des Pilotprojekts Corona-Schutzimpfung in Hausarztpraxen sprechen Manuela Schwesig (l-r,SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Fabian Holbe, Facharzt für Allgemeinmedizin, und Kerstin Weiss (SPD), Landrätin des Landkreises Nordwestmecklenburg, zu den zahlreich erschienenen Journalisten.
Rückenwind von der Landespolitik. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig vor OrtBild: Bernd Wüstneck/dpa/picture alliance

Die Resonanz sei auf allen Seiten sehr positiv, freut sich die Landrätin. Auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, hat sich das Projekt inzwischen zu eigen gemacht und ist eigens zu einem Pressetermin angereist. Ziel sei es, sagte Schwesig, insbesondere älteren Bewohnern ländlicher Regionen kurze Wege zum Impfen zu gewährleisten, damit sie schnell ihren Schutz bekämen.

"Natürlich ist das hier einfacher und günstiger", erzählt die Patientin Irma Barkowsky der DW. "Das Vertrauen ist eher da zum Hausarzt als zu einem völlig Fremden irgendwo in einem Impfzentrum."

Deutschland Neuburg | Ältere Patientin bei der Impfung durch den Hausarzt
Die Älteren freut das neue AngebotBild: Tessa Walther/DW

Mecklenburg-Vorpommern ist aktuell das Bundesland mit der höchsten Impfquote in Deutschland. Mit dem Pilotprojekt könnte das Land seinen Vorsprung noch ausbauen. Landrätin Weiss aber denkt nicht zuerst in den Kategorien von Wettbewerb. Es ginge darum, Vorbild für andere zu sein. "Ich denke schon, dass andere Landkreise sehr genau schauen, wie es bei uns anläuft." Die Ministerpräsidentin sagte Ähnliches. Sie hoffe, "dass die Erfahrungen ganz Deutschland nützen".

Aus dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin hieß es auf Anfrage der DW nur, man wolle einzelne Projekte nicht kommentieren. Daraus könnte man auch schließen: Nachahmer sind herzlich willkommen. Gelebter Föderalismus eben.