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Verschwörungsmythen auf dem Vormarsch

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
1. Februar 2021

Immer mehr Menschen glauben an Dinge, die vor kurzem noch als himmelschreiender Unsinn galten. Das ist nicht skurril, sondern brandgefährlich für die Demokratie, meint Martin Muno.

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Der Mann mit den Hörnern und einem Megaphon neben anderen Demonstranten vor dem Kapitol
Jake Angeli, der Mann mit den Büffelhörnern und wohl bekannteste QAnon-Anhänger vor dem KapitolBild: Douglas Christian/Zumapress/picture alliance

Wenn noch vor wenigen Jahren jemand öffentlich behauptet hätte, eine weltweit agierende Elite halte entführte Kinder gefangen und foltere sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen, hätte man dieser Person nahegelegt, sich umgehend in psychiatrische Behandlung zu begeben. Heute bezeichnen sich laut einer britischen Umfrage rund zehn Prozent aller US-Bürger als Unterstützer dieser schwachsinnigen Verschwörungserzählung namens QAnon.

Auch in Deutschland ist die Bewegung angekommen: Nach Erkenntnissen der Amadeu-Antonio-Stiftung gibt es hierzulande 150.000 QAnon-Anhänger - damit zählt Deutschland zur größten Community außerhalb des englischsprachigen Raums. Insgesamt scheint nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung etwa ein Drittel der Deutschen offen zu sein für Verschwörungsmythen. Das sind, rechnet man die Kinder unter 14 Jahren heraus, immerhin rund 24 Millionen Menschen. Andere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Was sie auch feststellen: Zwischen QAnon-Anhängern, Corona-Leugnern und Rechtsextremisten gibt es viele Verbindungen.

Der Unsinn ist nur wenige Mausklicks entfernt

Doch wie kann offenkundiger Unsinn in einer aufgeklärten Welt so große Kreise ziehen? Immerhin leben wir im 21. Jahrhundert und nicht im Mittelalter. Die Antwort liegt nahe: Weil dieser Unsinn nur wenige Mausklicks entfernt ist. Gerade Soziale Netzwerke sind ein Sammelbecken für Falschinformationen und Verschwörungsmythen.

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DW-Redakteur Martin Muno

Das Recherchezentrum "Correctiv" kommt in einer Datenanalyse zu dem Schluss, dass Facebook und YouTube diejenigen Plattformen sind, auf denen im vergangenen Jahr am meisten potenzielle Falschinformationen verbreitet wurden. Weiterverbreitet werden die gerne auch via Messengerdienste wie Telegram oder WhatsApp. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) fanden heraus, dass es rund sechsmal länger dauert, mit einer wahren Information 1500 Menschen zu erreichen als mit einer falschen.

Gerade die großen Sozialen Plattformen befinden sich derzeit in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite fassen sie den Begriff der Meinungsfreiheit sehr weit, Falschinformationen und selbst Pöbeleien und Beleidigung fallen oft darunter. Facebook etwa weigerte sich bis Oktober 2020 sogar, die Leugnung des Holocaust, die in 18 Staaten weltweit unter Strafe steht, von seinen Seiten zu entfernen.

Soziale Medien: Die Gefahr wird erkannt

Auf der anderen Seite haben die Sozialen Medien nach der Präsidentenwahl in den USA und spätestens nach dem Sturm der von Donald Trump aufgehetzten Massen auf das Kapitol erkannt, welche Gefahr durch Falschinformationen und Hass droht.

Wenn jetzt einzelne Plattformen die Accounts prominenter und weniger prominenter Personen sperren, wenn sie offenkundige Falschinformationen mit Warnhinweisen versehen, wenn sie versuchen, die Nutzerinnen und Nutzer mit in die Verantwortung zu nehmen, kann das nur ein Anfang sein.

Es müssen zwei Dinge passieren: Zum einen müssen Facebook & Co. selbst mehr für Hasspostings und Fake News haftbar gemacht werden. Das versucht die Europäische Kommission derzeit mit dem "Digital Services Act". Das ist keine einfache Sache, denn die Trennlinie zwischen Eindämmung von Falschmeldungen und Zensur ist extrem dünn. Dennoch muss sie angegangen werden.

Medienkompetenz stärken

Zum anderen muss die Medienkompetenz gestärkt werden, weil sich vor allem junge Menschen eher über Soziale Medien informieren als über traditionelle. Die klassischen Medien hingegen sind aufgerufen, Programmformate zu entwickeln, mit der man die "Generation YouTube" besser erreicht.

Die Bekämpfung von Verschwörungsmythen ist dringend und wichtig. Denn dass sie das Potenzial haben, Demokratien zu zerstören, haben wir unlängst in Washington gesehen. Diese Woche machte Marina Weisband im Deutschen Bundestag in ihrer Rede zum Holocaust-Gedenktag darauf aufmerksam, als sie sagte, man müsse verstehen, "dass Antisemitismus nicht da beginnt, wo auf eine Synagoge geschossen wird. Dass die Shoa nicht mit Gaskammern begann. Es beginnt mit Verschwörungserzählungen."

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus