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PolitikEuropa

Schweiz: Erst 50 Jahre Frauenwahlrecht

Olivera Zivkovic
7. Februar 2021

Die Schweiz feiert den 50. Jahrestag des Wahlrechts für Frauen. Wieder einmal kommt die Frage auf, warum hat es in der alten Demokratie Schweiz so lange gedauert - und wie ist die Lage der Schweizerinnen heute?

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Schlange bei einem Volksentscheid in Fribourg (2015)
Schlange bei einem Volksentscheid in Fribourg (2015): Erst seit 50 Jahren dürfen Frauen abstimmenBild: Getty Images/AFP/F. Cofrini

"Für lange Zeit war es Teil der schweizerischen Identität, dass wir eine alte Demokratie sind", sagt Zita Küng. "Das heißt aber, dass wir akzeptieren, dass nur Männer sagten, wir sind eine Demokratie und dann ist das so. Diese Idee gibt es so nicht mehr", meint Küng, die zu den der einflussreichsten Feministinnen der Schweiz gehört.

Der Mythos von der alten Demokratie Schweiz geht zurück bis in Mittelalter. Damals hatten Männer - und nur Männer, auch wenn sie geringen Standes waren - einmal im Jahr die Freiheit, sich zu versammeln und über viele Dinge abzustimmen. Sie mussten nur ihre Hand oder ihre Waffe heben. Diese Tradition überdauerte Jahrhunderte, aber ein Element fehlte in dieser Idylle der direkten Demokratie, die von der Schweiz so gepflegt wurde: Frauen durften ihr Votum nicht abgeben.

Warum so spät?

Frauen gab es im politischen Leben der Schweiz bis zum 7. Februar 1971 nicht. Erst an diesem Tag wurde das Wahlrecht für sie allgemein eingeführt. Die Schweiz war spät dran. 1893 bereits war Neuseeland der erste Staat der Welt mit Frauenwahlrecht. Die ersten Europäerinnen, die wählen durften, waren die Frauen in Finnland 1906. Deutschland folgte 1918. Warum hat es in der Schweiz so lange gedauert?

Die einfache Antwort lautet: In der Schweiz fehlte der politische Wille, etwas zu verändern, meint die feministische Aktivistin Zita Küng. "Es war nicht die Regierung. Es war nicht das Parlament. Es war das Volk der Schweiz, vor allem die Männer, die das entscheiden mussten." Der Unwille das zu tun, sei tief in der konservativen Schweizer Gesellschaft verwurzelt.

Diskriminierende Verfassung

Isabel Rohner hat ein Buch über 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz verfasst. Sie meint, dass die Schweiz auf ein patriarchales System aufgebaut war, in der privates und öffentliches Leben strikt getrennt waren. Politik und Militär waren Sache der Soldaten, also der Männer. Die Versorgung des Haushalts und der Familie oblag ausschließlich den Frauen.

Zita Küng
Frauenrechtlerin Küng: Es fehlte der Wille, etwas zu verändern"Bild: Zita Kueng

Die Schweizer Verfassung von 1848 gewährte nur Männern das Recht abzustimmen. Die Schweiz war sogar als das "Land der Schweizer", der Männer, beschrieben. Frauen wurden von der Verfassung nicht als Teil des öffentlichen Lebens anerkannt. So entstand die erste Bewegung der "Suffragetten" oder "Stimmrechtsaktivistinnen", die den diskriminierenden Charakter der Verfassung anprangerten und Wahlrecht forderten. "Man kann nicht von Demokratie sprechen, wenn man über eine Gesellschaft spricht, in der mehr als 50 Prozent von politischer Teilhabe und von der Gesetzgebung ausgeschlossen sind", meint Rohner zur damaligen Schweizer Verfassung.

Neue Frauen-Generation wird lauter

Doch erst in den 1960er-Jahren bekam die Stimmrechtsaktivistinnen in der Schweiz mehr und mehr Zulauf. Der Wandel war langsam und begann zunächst auf lokaler Ebene und auf Ebene der Kantone. Einige Kantone begannen damit, Frauen politischen Einfluss zu ermöglichen, aber viele andere waren strikt dagegen.

In Europa war die Schweiz eines der letzten Länder, in denen Frauen nicht wählen durften. Nur Liechtensteinerinnen und Portugiesinnen waren noch später dran als die Eidgenossinnen. "Die Schweiz hatte mehr und mehr ein Problem mit ihrer Reputation, weil es wirklich peinlich war, dass die, wie sie immer betonte, älteste Demokratie kein Frauenwahlrecht kannte", so Rohner.

Frauen beim "Marsch auf Bern" (01.03.1969)
Frauen beim "Marsch auf Bern" (1969): "Das war der Schlüsselmoment"Bild: KEYSTONE/picture alliance

In den Jahren vor der Verfassungsänderung 1971 war die Schweiz an der Ausformulierung der Europäischen Menschenrechts-Konvention beteiligt. Eine Voraussetzung für den Beitritt zu dieser Konvention war das Frauenwahlrecht, das damals von der Mehrheit der abstimmenden Schweizer Männern erneut abgelehnt wurde. Dies führte 1969 zum berühmten "Marsch auf Bern", an dem mehrere Tausend Frauen teilnahmen. "Die Frauen machten sich auf zu dieser großen Demonstration in Bern. Das war der Schlüsselmoment, der den Männern klar machte, dass es Ernst wurde. Sie konnten nicht mehr ausweichen", sagt Frauenrechtlerin Küng.

"Frauen und auch einige Männer zeigten, es ist vorbei. Sie zeigten, dass den Frauen das Wahlrecht zusteht, da sie die Hälfte der Bevölkerung sind. Dass sie bereit sind, dafür öffentlich zu demonstrieren, laut zu sein - und dass sie richtig wütend waren", beschreibt Isabel Rohner die Stimmung damals."

Die neue Generation von Frauen und Aktivistinnen für das Stimmrecht sei lauter und radikaler bei ihrem Anspruch gewesen, die Ansichten der Schweizer Männer zu ändern, meint Isabel Rohner. 1971 hätten sie dann endlich Erfolg gehabt. In einer historischen Volksabstimmung hat die Mehrheit der Männer ihren Frauen, Schwestern, Müttern und Töchtern schließlich das Recht eingeräumt, selbst auf nationaler Ebene das politische Leben mitzubestimmen.

Die letzte konservative Festung war der kleine Kanton Appenzell Innerrhoden, wo die Männer sich weigerten, auf regionaler Ebene Ja zu sagen. Erst 1991, also vor dreißig Jahren wies das Verfassungsgericht der Schweiz Innerrhoden an, volles Frauenwahlrecht zu praktizieren.

Das Wahlrecht war nur der Anfang, erinnert sich Zita Küng. Nach und nach erreichten die Frauen eine Änderung des Eherechts. Küng engagierte sich für eine Reform des Abtreibungsrechts und rezeptfreie Anti-Baby-Pillen. Nachdem sie nun wählen konnten, konnten Frauen nun auch wirkungsvoller für ihre eigenen Rechte streiten.

Kampf geht weiter

Wie sieht es heute, 50 Jahre später mit den Frauenrechten in der Schweiz aus? Im Jahr 2019 gingen Hunderttausende von Schweizerinnen, von der #MeToo-Bewegung inspiriert, auf die Straße. Sie protestierten gegen ungleiche Bezahlung im Beruf, gegen unbezahlte Arbeit im Haushalt und gegen zu geringe Vertretung in Regierungsämtern.

Bei der Gleichberechtigung der Geschlechter hängt die Schweiz immer noch hinterher. Als Beispiel nennt Zita Küng die Altersarmut von Frauen. "Es ist ein Skandal, dass ein reiches Land wie die Schweiz es zulässt, dass Frauen im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sind."

Kundgebung für Lohngleichheit in Bern (22.09.2018)
Kundgebung für Lohngleichheit in Bern (2018): "Ein Skandal, dass Frauen im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sind"Bild: picture-alliance/KEYSTONE/P. Schneider

Ein anderes Problem sei die sexualisierte Gewalt gegen Frauen, so Küng weiter. "Das ist eine kulturelle Frage und die Paradigmen müssen sich ändern. Wir sollten nicht über Frauen reden, die sich wehren, sondern über Männer, die das einfach unterlassen. Es sollte klar sein, auch in der Erziehung, dass gute Jungs keine Gewalt anwenden", umreißt Küng ihr Ziel.

Die Feminismus-Expertin Isabel Rohner betont, dass es in der Schweiz immer noch "strukturelle Ungleichheit in fast jedem Sektor der Politik, der Wirtschaft und des sozialen Lebens" gebe. Allerdings sei Wandel zum Besseren möglich. In den vergangenen Jahren sei der Anteil von Frauen bei Ämtern in der Politik auf 42 Prozent gestiegen. Das ist höher als in Deutschland. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern habe sich immerhin auf acht Prozent vermindert, was aber immer noch zu viel sei.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Volos 2019 | Olivera Zivkovic
Olivera Zivkovic DW-Journalistin