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Politik

Altes Schiff bekommt neuen Job

Anne Höhn
22. Februar 2021

Im Frühjahr werden wieder tausende Flüchtlinge die Fahrt über das Mittelmeer wagen. Die Seenotrettungsorganisation "Sea-Eye" baut einen alten Frachter um und will helfen - trotz scharfer Kritik von außen.

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Rettungsschiff Sea-Eye-4
Bild: Ines Eisele/DW

Die Sea-Eye 4: Ein Schiff, um Leben zu retten

Die norddeutsche Werft liegt im morgendlichen Nebel, nichts rührt sich. Nur am Ende eines Piers leuchten zwei Scheinwerfer milchig, dunkel gekleidete Gestalten bewegen sich wendig auf dem Oberdeck eines alten Frachters. Er ist das neueste Projekt der Nichtregierungsorganisation "Sea-Eye": Sie baut das alte Schiff zum Seenotretter aus, um geflüchtete Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu bewahren.  

Auf dem Weg zum Schiff nimmt uns Kai Echelmeyer in Empfang. Der 26-Jährige ist studierter Mathematiker, arbeitet aber mittlerweile in Vollzeit als Referent für die Seenotrettungsorganisation. Er bittet uns, den genauen Standort der Werft nicht zu veröffentlichen. "Wir haben immer mal wieder Probleme mit rechten Gruppen, die unsere Arbeit boykottieren wollen", erklärt er. 

Über eine wackelige Holzplanke geht es an Bord. Beim Rundgang auf Deck können wir uns nur rufend unterhalten, rund 50 ehrenamtliche Helfer sägen, hämmern und schrauben an jeder Ecke. Die Truppe arbeitet recht schweigsam, manchmal blitzt ein Lächeln über den Rand der FFP-2-Maske. 

Rettungsschiff Sea-Eye-4
Ehrenamtliche bringen auf der Sea-Eye 4 ihre Fähigkeiten einBild: Ines Eisele/DW

Fast alle Helfer arbeiten ehrenamtlich, oft kommen sie aus dem handwerklichen Bereich und setzen ihr Können jetzt hier ein. Einige leben auf dem Schiff, andere schlafen in einem nahe gelegenen Hostel. Alle an Bord, Besucher inklusive, sind 48 Stunden vor Ankunft negativ auf Corona getestet worden. 

Wärmflaschen gegen Minustemperaturen 

Alles, was auf Deck nicht gebraucht wird, wird abmontiert, um Platz für Menschen zu schaffen. Mehrere Hundert wird die "Sea-Eye 4" - so der neue Name des Schiffs - aufnehmen können. Sie bekommt außerdem eine Krankenstation, zwei Beiboote für die Bergung aus dem Wasser und Schlafplätze für Crewmitglieder und Gerettete. Schon in wenigen Wochen soll die "Sea-Eye 4" ins Mittelmeer überführt werden. 

Im Vorraum zur Kajüte stehen Waschmaschinen für die benutzte Arbeitskleidung, an einer Wäscheleine hängen Wärmflaschen gegen eingefrorene Finger bei Minusgraden, die aktuell draußen herrschen. Hat man es weiter in den Aufenthaltsraum geschafft, ohne über einen der vier Schiffshunde zu stolpern, kann man sich dort Punkt 12 Uhr beim Mittagessen aufwärmen. Ein Küchenteam versorgt die gesamte Truppe mit Essen, das es an Land kocht und zweimal am Tag an Bord bringt.  

Rettungsschiff Sea-Eye-4
Im Bauch des Schiffes entsteht eine KrankenstationBild: Ines Eisele/DW

Ehrenamtliche Arbeit unabdingbar

Ohne die Ehrenamtlichen wäre der Umbau zu teuer. Der größte Kostenpunkt allerdings ist das Schiff selbst: 250.000 Euro hat die NGO dafür bezahlt, alles aus Spendengeldern. Die "Sea-Eye 4" ersetzt das bisherige Seenotrettungsschiff der Organisation, die "Alan Kurdi".Sie ist von der italienischen Küstenwache im Oktober 2020 vor Sardinien festgesetzt worden

Kai Echelmeyer sieht darin politisches Kalkül: "Offiziell wird mit technischen Mängeln am Schiff argumentiert. Man sagt, es sei nicht sicher, um rauszufahren. Aber das sind eben ganz offensichtlich vorgeschobene Gründe, weil wir die Anforderung erfüllen", erklärt er. "Es ist sehr offensichtlich, dass es eine politische Motivation ist, uns davon abzuhalten, Menschen zu retten und zu dokumentieren, was im Mittelmeer eigentlich wirklich passiert." 

Sea-Eye-Rettungsschiff Alan Kurdi
Die "Alan Kurdi" wurde aus dem Verkehr gezogen - unter Vorwänden, sagt SeawatchBild: Sally Hayden/Zuma/Imago Images

Libysche Milizen versus zivile Seenotretter 

Sea-Eye dokumentiert die Einsätze im Mittelmeer per Video und veröffentlicht das Material regelmäßig. Eine der Aufnahmen stammt aus dem Jahr 2019 und ist in internationalem Gewässer im Mittelmeer zwischen Italien und Libyen entstanden. 

Sie soll zeigen, wie libysche Milizen versuchen, geflüchtete Menschen gegen ihren Willen zurück nach Libyen zurück zu bringen. Auf dem Schnellboot der Milizen ist ein Maschinengewehr angebracht, es umkreist ein herumtreibendes Schlauchboot mit Geflüchteten. Der Fahrer hält seinen Mittelfinger in Richtung Sea-Eye-Crew, die sich im eigenen Rettungsboot mit erhobenen Händen der Szene nähert. 

"Watch out, they point machine guns at people", lautet die Durchsage per Fernspruchanlage an den Kapitän der "Alan Kurdi", der die Szene sichtlich besorgt beobachtet. Am Ende ziehen die Milizen ab. Die Europäische Union weiß von den Vorfällen. Sie kooperiert dennoch mit Libyen, um die Menschen von der Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten. 

Seenotretter in der Kritik

Ohne die zivile Seenotrettung würden wohl mehr Menschen auf der Flucht ertrinken. Und dennoch steht sie öffentlich auch in der Kritik: Das Retten von Geflüchteten würde diese überhaupt erst zur gefährlichen Flucht bewegen.  

Der Kapitän der "Sea-Eye 4", Christoph Kües, ist seit zwei Jahrzehnten auf See unterwegs und kennt diese Vorwürfe. "Diese These ist unhaltbar. So funktioniert es nicht. Persönlich spielt das für mich auch keine Rolle. Wenn da jemand im Wasser ist, der droht zu ertrinken, dann interessiert mich das ehrlich gesagt nicht die Bohne." Geplant war allerdings nicht, dass Sea-Eye diesen Job so lange übernimmt. 

Rettungsschiff Sea-Eye-4
Christoph Kües ist Kapitän auf der Sea-Eye 4Bild: Ines Eisele/DW

 "Als wir uns 2015 gegründet haben, sind wir eigentlich davon ausgegangen, dass wir für einen kleinen Moment in die Bresche springen - für das Versagen der europäischen Politik", resümiert Kai Echelmayer. "Jetzt muss es uns leider schon seit über fünf Jahren geben. Und dennoch ist unser größtes Ziel eigentlich, uns abzuschaffen." So schnell, das sei ihnen aber klar, wird das nicht passieren. 

Draußen schwindet derweil das Tageslicht, langsam füllt sich die Kajüte wieder, es ist Abendessenszeit. Fragt man die Helfer, was sie motiviert, kristallisiert sich ein Motiv heraus, das ein Ehrenamtlicher auf den Punkt bringt: "Ich genieße ein sehr privilegiertes Leben - ich will etwas zurückgeben. Das erscheint mir gerecht."