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Politik

Sejdini: Sie wollen die Gesellschaft spalten

Lindita Arapi
3. November 2020

Der Wiener Attentäter hatte albanische Wurzeln. Die Bestürzung der albanischen muslimischen Gemeinde ist groß, sagt Zekirija Sejdini, Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Uni Innsbruck, im DW-Interview.

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Prof. Dr. Zekirija Sejdini Institut für Islamische Theologie Innsbruck
Prof. Dr. Zekirija Sejdini leitet das Institut für Islamische Theologie an der Uni InnsbruckBild: privat

DW: Wien wurde am Montagabend von einem Terroranschlag erschüttert. Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal hörten, dass der Attentäter albanischer Herkunft sei? Albanische Wurzeln hat?

Prof. Zekirija Sejdini: Ich war in Wien und in der Nähe des Tatorts, ich sah viele Polizeifahrzeuge, aber ich hatte keine Ahnung, was los war. Später erfuhr ich, dass es in der Nähe einen Terroranschlag gegeben hatte. Wir waren bestürzt, weil wir uns nicht vorstellen konnten, dass so etwas in Österreich passiert. Und die Information, dass der Terrorist albanischer Herkunft war, aus Nordmazedonien, hat uns hart getroffen, weil wir Albaner dafür bekannt sind als ein Volk mit drei Religionen und interreligiöser Toleranz. Das macht die Situation noch komplizierter.

Sie standen der großen albanische Moschee in Wien vor, Sie kennen die muslimische Gemeinde dort. War diese Person der Gemeinde als radikal aufgefallen?

Laut den Informationen, die ich von der Moschee und der Gemeinde habe, war diese Person nicht bekannt, nicht wegen radikaler Tendenzen. Soweit ich weiß, ist nicht bekannt, dass er zu einer Moschee unserer hiesigen Gemeinde gehörte. Bis jetzt haben wir keine Informationen über ihn.

Die Gemeinde ist fassungslos

Wie hat die albanische muslimische Gemeinde nach Bekanntwerden dieser Nachricht reagiert?

Ich habe mit der Gemeinde und dem Leiter der islamischen Gemeinde in Österreich gesprochen. Er ist, wie wir alle, fassungslos darüber. Erstens, weil das in Wien geschehen ist, und zweitens, dass diese Person aus einem der Länder kommt, woher wir kommen. Das ist eine schockierende Nachricht für uns als Muslime und Albaner.

Wie kommt es zur Radikalisierung dieser Menschen?

Radikalisierungen hängen mit den Biografien dieser Personen zusammen und sind sehr unterschiedlich. Von den meisten Fällen, die wir kennen, und von den Studien kann man sagen, dass es sich um Menschen mit schwacher Persönlichkeit handelt, die in einem Moment ihres Lebens von bestimmten Gruppierungen rekrutiert werden. Diese haben sich darauf spezialisiert, Menschen mit einer solchen Persönlichkeit für sich zu gewinnen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Das geschieht meistens, wenn sich solche Menschen in einer Situation befinden, in der sie sich einer Ideologie anschließen, sei sie religiös, nationalistisch oder politisch, und radikalisiert werden für Ziele, die sie nicht verstehen.

Sie sagten vorhin, dass dieser 20-Jährige der örtlichen Gemeinde nicht bekannt war. Aber welche Rolle müssten Imame spielen, um zu verhindern, dass solche Personen von radikalen Gruppierungen ausgenutzt werden?

Das ist selbstverständlich eine Verpflichtung. Die Mehrheit der Imame achtet besonders darauf, wenn einer der Gläubigen solche Tendenzen zeigt und von verschiedenen Gruppen kontaktiert wird. Aber das Hauptproblem der Menschen, die in dieser Form radikalisiert werden, ist, dass sie ihre Weisungen im Internet bekommen und den Imamen in den Moscheen nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Die Imame, die Frieden, Zusammenarbeit und Toleranz predigen, betrachten sie nicht als solche und akzeptieren ihre Lehren nicht. Sie suchen Prediger, von denen sie Unterstützung für ihre Ideen und Taten bekommen, so wie es in Wien passierte. Solche Menschen unterbrechen in den meisten Fällen den Kontakt zu ihren Familien und ihren Angehörigen, nicht nur allgemein zur Gesellschaft.

"Diese Menschen kennen die Religion nicht"

Wie ist es möglich, dass die Tradition der Religionstoleranz in der albanischen Gesellschaft dabei keinen Einfluss hat?

Diese Menschen kennen die Religion nicht, haben aber im Internet Informationen gesammelt und ihr eigenes Konzept von der Religion entwickelt, das nicht mehr auf der eigentlichen Religion beruht.

Es gibt keine Religion auf der Welt, die es einem Menschen erlaubt, Unschuldige zu töten. Das ist außerhalb jeder Logik, jeder Religion, außerhalb des Humanismus. Diese Menschen, die bereit sind, dabei auch ihr eigenes Leben zu opfern, befinden sich außerhalb jeglicher Normalität.

Sie bilden die neuen Imame Österreichs aus. Wie sehen Sie, besonders in dieser Zeit, die Rolle der Imame, die die Religion an die jüngeren Generationen weitergeben?

Natürlich ist es sehr wichtig, über diese Probleme zu sprechen und zu erkennen, welche Muster es gibt. Vielleicht gibt es eine Sprache, die unbewusst verwendet wird, die aber diesen Menschen entspricht, um ihre Ideologie zu entwickeln. Die Religion ist wichtig, aber auch ambivalent, und kann zum Wohle der Menschheit angewendet, aber auch missbraucht werden. In der Ausbildung der Imame ist es wichtig, diese Themen zu diskutieren. Es kann nicht sein, dass eine Minderheit die Reputation des Islams oder unserer Nation schädigt. Wir müssen unsere Position klar zeigen, damit man versteht, dass die Mehrheit nicht so denkt, auch die Mehrheit der Albaner nicht.

Wie groß ist die Gefahr einer Spaltung in der österreichischen Gesellschaft nach dem Terroranschlag in Wien?

Natürlich besteht die Gefahr. Probleme der Spaltung hatten wir auch vor diesem Fall. Wir hatten Angst, dass so etwas zu einer noch größeren Spaltung führen könnte. Es ist aber auch eine Chance, um wieder näher zu kommen. Hier sieht man klar, dass der Terror keine Religion hat, der Täter fragte die Menschen nicht nach ihrer Religion, er schoss wahllos. Sein Ziel war, der freien und pluralistischen Gesellschaft die Botschaft zu vermitteln, sie sei nicht so sicher, wie sie denke, ungeachtet dessen, ob es sich um Muslime handelt oder nicht. Dieser Fall sollte genutzt werden, um das Zusammenleben zu stärken, weil die Spaltung nicht nur zwischen den Religionen besteht. Die Spaltung ist zwischen Menschen, die das Gute, den Pluralismus wollen, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, und Menschen, die die Vielfalt und die Gesellschaft, die wir haben, nicht wollen.

Welches ist Ihre Botschaft an die albanische Gemeinde nach so einem Terrorakt?

Wir sollten einem solchen Fall damit begegnen, dass wir für freie Meinungsäußerung, für Menschenrechte, Demokratie und die religiöse und nationale Vielfalt eintreten. Wir wollen beweisen, dass solche Fälle uns nicht spalten.

Prof. Dr. Mag. Zekirija Sejdini entstammt der albanischen Minderheit Nordmazedoniens. Seit 2017 leitet er das Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck.