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Politik

Sierens China: Kontrolliertes Massensterben

Frank Sieren
27. Juni 2019

Während Deutschland endlich die nötige Infrastruktur für Elektromobilität ausrollt, wird in China schon wieder die staatliche Unterstützung für E-Autos gestrichen. Das folgt einem Plan, meint Frank Sieren.

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China Ladestationen für Elektroautos
Infrastruktur zum Laden von Elektroautos ist in China seit Jahren selbstverständlichBild: picture-alliance/dpa/D. Jia

Beim sogenannten Autogipfel im Berliner Kanzleramt am Montag wurde ein "Masterplan" vereinbart, der die Zukunft der deutschen Autoindustrie sichern soll. Mit einem flächendeckenden Ladenetz soll endlich das Fundament geschaffen werden, um bis 2030 sieben bis zehneinhalb Millionen E-Fahrzeuge auf deutsche Straßen zu bringen.

Bisher gibt es nur etwa 16.000 Ladestationen. 2018 fuhren ganze 83.000 E-Autos in Deutschland - bei einem Bestand von 47,1 Millionen Pkw insgesamt. Das ist bescheiden im Vergleich zu dem, was in China bereits passiert ist: Rund 2,6 Millionen E-Autos sind dort schon unterwegs. Fahrzeuge mit E-Motor, Hybridwagen und solche mit Brennstoffzelle sollen bis zum Jahr 2025 gut ein Fünftel der gesamten Autoverkäufe in China ausmachen. Bislang sind es nur fünf Prozent.

"Ein mächtiges Zentrum der Autoindustrie werden"

"Nur wenn wir Fahrzeuge mit alternativen Energien entwickeln, schaffen wir es, von einem großen Autoland zu einem mächtigen Zentrum der Autoindustrie zu werden", hat Chinas Partei-und Staatschef Xi Jinping bereits 2014 erklärt. In den vergangenen 15 Jahren hat Peking etwa 50 Milliarden Euro in die Förderung der Elektromobilität gesteckt. Mit strengen Abgasnormen begünstigt Peking besonders in den Metropolen E-Autos gegenüber Wagen mit Verbrennungsmotor, sie erhalten leichter eine Zulassung und werden zum Teil mit staatlichen Kaufprämien subventioniert. Da ist noch viel Luft nach oben.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Tech-Konzerne wie Alibaba und Tencent saßen als Investoren und Entwickler früh mit im Boot. Das digitale Know-how ist in China groß, die Markteintrittsschwelle so niedrig, dass auch Branchen-Neulinge es wagen konnten, etablierte ausländische Unternehmen wie Tesla, Daimler oder Ford herauszufordern. Alles zusammen hat einen wahren Gründerboom ausgelöst. Heute gibt es in Chinas Startup-Ökosystem rund 490 E-Auto-Hersteller.

Der chinesische Automobilmarkt wird zu etwa 95 Prozent von heimischen Herstellern dominiert. Wirklich vom E-Auto-Boom profitieren konnten die meisten ausländischen Unternehmen dort mit ihren Elektro-Modellen bisher so gut wie nicht. Weil es sich vor allem im Premiumsegment bewährt hat, setzt etwa die deutsche Autoindustrie noch immer auf Vorsprung durch Technik, während jedoch immer mehr Kunden in Asien Vorsprung durch Vernetzung und Unterhaltung schätzen: Touchscreen ist in China wichtiger als Hubraum, eine vernetzte Musikanlage im Dauerstau wichtiger als die absolut sichere Knautschzone.

Der chinesische Automarkt schrumpft gegenwärtig

2018 schrumpfte der chinesische Automarkt nach 30 Jahren stetiger Zuwächse um 3,8 Prozent. Der Absatz von E-Autos liegt dagegen noch immer im Plus, doch auch hier ist ein Abwärtstrend zu erkennen. Zulassungen für Hybrid-, Brennstoffzellen- und E-Autos lagen im April bei plus 18 Prozent. Im Vorjahr waren es noch 62 Prozent. Auch bei Hoffnungsträgern wie Nio, dem "chinesischen Tesla", der im September in New York an die Börse gegangen war, schrumpft der Absatz. Der Aktienkurs des Konzerns brach in diesem Jahr um 60 Prozent ein.

China, Shenzhen: Der Nio EP9 electric supercar
Der Nio EP9, ein elektrischer Superschlitten mit 313 km/h Spitzengeschwindigkeit, wird wohl nie ein MassenautoBild: picture-alliance/dpa/D. Fei

Nicht nur aufgrund des Handelsstreits mit den USA herrscht Unsicherheit bei Kunden und Investoren. Es sind noch zu viele Fragen offen: Welches Unternehmen wird sich durchsetzen? Wie fließend wird der Übergang von attraktiven Prototypen zur Massenproduktion sein? Könnten Wasserstoffantriebe bald als ernsthafte Alternative hinzukommen? Bis Mitte Juni haben Chinas E-Auto-Firmen nur 783 Millionen Dollar an Investitionen einsammeln können. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es sechs Milliarden Dollar, im Gesamtjahr 7,7 Milliarden Dollar.

Radikale Kürzung von Subventionen

Das läuft durchaus nach Plan. Chinas E-Automarkt befindet sich nach dem Gründer-Boom in einer Konsolidierungsphase. Peking streicht sukzessive die Fördergelder für E-Autos. Ab Ende Juni stehen für E-Autos mit mindestens 250 Kilometern Reichweite nur noch knapp die Hälfte der bisherigen Subventionen zur Verfügung. 2020 sollen sie dann ganz auslaufen. Es ist ein kontrolliertes Massensterben, an dessen Ende sich der Markt selbst tragen soll, und nur die besten überleben. Das ist eine gute Mischung aus Staats- und Marktwirtschaft: Die Unternehmen bekommen Schwimmflügel, damit sie sich ins tiefe Wasser trauen. Dort zwingt der Staat sie dann ohne Schwimmflügel Oberwasser zu behalten.

Für die Autoindustrie geht es jetzt ins tiefe Wasser. Und das bedeutet auch: Die chinesischen Hersteller sind gezwungen, international zu expandieren. Insofern bringt die Abschaffung der chinesischen Subventionen keine Erleichterung für die deutsche Autoindustrie. Der Druck auf die chinesischen Hersteller, sich zum Beispiel auch im deutschen Markt zu bewähren, wird größer. Immer mehr chinesische Elektroautos müssen nun nach Deutschland verkauft werden.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.