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Lass Dich nicht anpöbeln!

Dana Regev
24. Juni 2020

Schon einmal bei Rot über die Ampel gelaufen? Oder eine Pfandflasche in den falschen Mülleimer geworfen? In Deutschland können Nebensächlichkeiten zu einem lautstarken Tadel führen. So bleibt er euch erspart.

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Kanzlerin Merkel mürrisch
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Sicher kennt ihr das: Ihr sitzt müde nach der Arbeit im Bus und der Fahrgast neben euch beginnt, sich lautstark am Telefon zu streiten. Ihr seid mit dem Auto unterwegs und ein Fußgänger glaubt ausgerechnet jetzt, im Zeitlupentempo die Straße überqueren zu müssen.

Die Liste der lästigen und belästigenden Begebenheiten im öffentlichen Raum - ob unhöflich oder illegal - lässt sich endlos fortführen. Viel interessanter ist hingegen die Frage: Wie reagiert ihr auf diese Ärgernisse?

Jeder, der schon einmal in Deutschland war, weiß: Die Deutschen halten sich bei Fehlverhalten in der Öffentlichkeit nicht zurück - sie verspüren gar den Drang, ihr Gegenüber aufzuklären. Manchmal werden sie sogar handgreiflich. Unsere fünf Hinweise können helfen, solche peinlichen Situationen zu umgehen:

1. Achtung! Fahrradweg!

Nicht jedes Land ist mit einem umfangreichen Fahrradweg-Netz gesegnet. Aber diejenigen, die ein solches haben, nehmen es sehr ernst - insbesondere die Deutschen. Oftmals ist der Unterschied zwischen einem Rad- und einem Fußgängerweg allerdings nur für ein geschultes Auge zu erkennen: durch einen geringfügigen Farbunterschied des Straßenbelags oder unterschiedlich angeordnete Pflastersteine. So ist es kaum verwunderlich, dass Touristen und Neuankömmlinge Schwierigkeiten haben, sich zu orientieren. 

Fahrradautobahn führt über die Ruhr
Deutsche nehmen ihre Radwege sehr ernstBild: imago-images/R. Oberhäuser

"Als ich nichtsahnend durch Berlin spazierte, geriet ich versehentlich ein paar Zentimeter auf den Fahrradweg", erinnert sich Tali Kushnir, eine 35-jährige Modedesignerin aus Israel, an ihren Besuch in Deutschland. "Nicht nur, dass ich fast überfahren wurde. Zusätzlich pöbelte mich auch noch eine andere Dame an, bis sie merkte, dass ich Touristin bin. Da ließ sie mich mit einer bloßen Verwarnung laufen", lacht sie.

Rabiater wird mit bewussten Regelbrechern umgegangen. "Ich fuhr auf einem Fahrradweg entlang eines breiten Bürgersteigs. Zugegeben, ich fuhr auf der falschen Seite", gesteht ein US-amerikanischer Kollege, der seit Jahren in Deutschland lebt. "Es gab außer mir nur eine einzige Fußgängerin. Als ich vorbeifuhr, stieß sie mich einfach vom Fahrrad."

Was lernen wir daraus? Wenn ihr zu Fuß unterwegs seid, haltet euch lieber vom Fahrradweg fern. Er ist heilig. Und wenn ihr radelt, dann fahrt lieber in Fahrtrichtung des Autoverkehrs.

2. "Räumen Sie das noch weg?"

Wenn ihr euch in Deutschland so weit zu Hause fühlt, dass ihr euch vielleicht sogar einen Hund angeschafft habt, dann wisst ihr bestimmt, dass hier ganz andere Haustier-Regeln gelten als anderswo. Zunächst einmal müssen deutsche Hundebesitzer ihren Hund anmelden, eine Hundesteuer zahlen und manchmal sogar eine Haftpflichtversicherung für ihren eigentlich zahmen Schoßhund abschließen.

Englische Bulldogge erleichtert sich auf einer Wiese
Haltet stets einen Hundekotbeutel bereit!Bild: picture alliance/blickwinkel/W. Layer

Außerdem müssen sie mit einer Geldstrafe rechnen, wenn sie die fäkalen Hinterlassenschaften ihres Hundes an einem öffentlichen Ort nicht beseitigen. Viel häufiger aber als eine Geldstrafe ist eine Rüge - nicht vom Ordnungsamt, sondern von Mitmenschen. "Als ich einmal auf einer Berliner Hauptstraße mit einem deutlich um meine Hand gewickelten Hundekotbeutel stand, schaute mich ein Mann verächtlich an", sagt Limor Kishinevsky, die seit vier Jahren in Deutschland lebt. "Er fragte mich, ob ich die Absicht habe, das Geschäft wegzuräumen. Woraufhin ich antwortete: 'Nein, ich stehe hier mit dem griffbereiten Kotbeutel nur zum Spaß und bewundere die Schönheit der Exkremente, die mein Hund hier gerade produziert.'"

3. Tadeln - im Namen unserer Kinder!

Die Deutschen sind nicht immer so gesetzestreu wie ihnen nachgesagt wird. Rote Ampeln nehmen Fußgänger beispielsweise nicht so genau. Allerdings nur, wenn keine Kinder in der Nähe sind. "Als ich einmal bei Rot über die Ampel gegangen bin, beschimpfte mich eine Frau von der anderen Straßenseite, weil mich Kinder dabei beobachtet hätten. Dafür sollte ich mich schämen", erzählte mir eine Freundin, die in Berlin lebt. "Es geht nicht darum, ob sie im Recht war oder nicht, sondern darum, dass hier jeder meint, den anderen erziehen zu müssen - und zu dürfen", fügte sie hinzu.

Eine andere Kollegin, in Deutschland geboren und aufgewachsen, hatte Ähnliches erlebt: "Eine alte Dame schlug mich mit einem Regenschirm vom Fahrrad, als ich bei Rot über eine Ampel fuhr."

Also: Vorsicht in Deutschland an roten Ampeln!

Rote Ampel
Das Überqueren einer roten Ampel verdirbt anscheinend die nächste Generation - ich habe euch gewarnt!Bild: picture-alliance/dpa/C. Gatteau

4. Sei pünktlich!

Die Deutschen sind bekanntlich recht pünktliche Zeitgenossen. Noch mehr scheinen sie es allerdings zu genießen, die eigenen Standards auf andere zu übertragen und sie darüber aufzuklären. "Einmal wies mich ein Deutscher zurecht, wie wichtig es sei, pünktlich zur Arbeit zu kommen", sagt Marjolein van der Boon, eine in Heidelberg lebende Niederländerin. "Dabei hatte ich ihn an der Haltestelle lediglich gefragt, ob mein Bus schon abgefahren war." Seine Botschaft jedoch war klar: Marjoleins Zuspätkommen sei nicht nur eine Beleidigung gegenüber dem Chef und den Kollegen, sondern auch gegenüber der ganzen Nation.

5. Bandbreite der Belehrungen

Unachtsames Überqueren der Straße oder lautes Musikhören in öffentlichen Verkehrsmitteln stehen in vielen Ländern auf der Verbotsliste. Umso mehr wundern sich Menschen, die neu in Deutschland sind, darüber, in welche Tabu-Fettnäpfchen sie noch treten können. So erging es auch der im US-Bundesstaat Kansas geborenen Englischlehrerin Christina Gutmann, die inzwischen mit ihrem deutschen Ehemann in der Nähe von Stuttgart lebt. "Ich habe meiner künftigen Schwiegermutter am Tag vor ihrem Geburtstag zum Geburtstag gratuliert", erzählt sie. "Mir kam es vor, als würde keiner mehr reden im Restaurant und der Kellnerin gleich das Besteck aus der Hand fallen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, dass ich das nicht tun darf."

Frau schimpft mit einem Kin
Es gibt immer etwas zu lernen - und jeder Deutsche kann sich verhalten wie deine ElternBild: Sandy Schulze/Fotolia

Rajat Handa, ein in Berlin lebender Humboldt-Forschungsstipendiat aus Delhi, war erstaunt, als man sich darüber beschwerte, dass er eine leere Flasche in den Mülleimer geworfen hatte. Mehrwegflaschen gehören nämlich daneben oder unter den Mülleimer. So können andere bei der Rückgabe der Pfandflaschen ein paar Cent dazuverdienen.

Während eines Besuchs in Berlin fragte der israelische Tourist Ortal Zino den Busfahrer nach dem Fahrpreis: "Aufgrund dieser Frage wurde ich angeschrien. Ich wusste ja nicht, dass der Ticketpreis davon abhängt, wohin man fährt. Es war mein erster Tag überhaupt in der Stadt."

Adi Hagin, 41, die mit ihrem deutschen Ehemann und ihren beiden Töchtern in Frankfurt lebt, war überrascht, dass sich die Erzieherin der Kita nach der Geburtstagfeier ihrer ältesten Tochter über zu viel Müll beschwerte. "Die Erzieherin ermahnte mich, dass ich zu viel Verpackungsmaterial verwendet hatte für das mitgebrachte Essen, und dass das schlecht für die Umwelt sei", erinnert sie sich. "Sie bat mich, dies zukünftig zu vermeiden. Das wird mir auf jeden Fall nicht noch einmal passieren."


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