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Sprachlos in Europa

Maja Chotiwari / Grit Weirauch2. Mai 2004

Tschechien, Slowenien, die Slowakei und Polen gehören jetzt zur Europäischen Union. Und was tun deutsche Hochschulen? Statt die Studierenden der Slawistik zu hofieren, rationalisieren sie den Fachbereich weg.

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Meist klein, aber fein: die SlawistikBild: AP

Wirtschaftlich betrachtet, sind die Osteuropawissenschaften ein Auslaufmodell: Rostock nimmt keine Slawistik-Studenten mehr auf, in Mannheim lehren nur noch pensionierte Dozenten oder Aushilfen. In Frankfurt am Main wird das slawistische Institut geschlossen.

Auch in Bonn soll, wenn einer der beiden Professoren in zwei Jahren in Pension geht, ein Lehrstuhl wegfallen - was das Rektorat zum Anlass nahm, gleich den gesamten Fachbereich zu schließen. Es gebe ohnehin zu wenige Studenten und viel zu viele Studienabbrecher, das gesamte Institut sei zu wenig ausgelastet, so die Begründung.

Kurzsichtige Kompetenzkürzung

"Das jede Universität für sich das Fach klein schneidet, so dass es nicht mehr arbeitsfähig ist, das ist nicht der richtige Weg", ist sich Professor Helmut Keipert von der Universität Bonn sicher. Er ist übrigens der (Noch-)Inhaber des Lehrstuhls, der in zwei Jahren wegfallen soll. Und auch aus realpolitischer Sicht ist die Entscheidung kurzsichtig.

Im Zuge der EU-Erweiterung ist Osteuropa-Kompetenz immer mehr gefragt. Doch die Kompetenz, die verlangt wird, beschränkt sich zunehmend auf wirtschaftliche und juristische Aspekte. Das kann die Slawistik natürlich nicht vermitteln. Dafür aber fundierte Sprach- und Kulturkompetenz. "Ein Verlagslektor mit Schwerpunkt Osteuropa zum Beispiel muss sich in den Literaturen der jeweiligen Länder auskennen", erklärt Keipert. "Er muss sagen können: 'Ja, dieses Buch ist toll, weil ...' oder 'Nein, das nehmen wir nicht, die Übersetzung ist zu schlecht'."

International hohes Ansehen

Im internationalen Vergleich stand die deutsche Slawistik bisher immer an oberster Stelle. Denn anders als ihre Fachkollegen in den slawischen "Mutterländern" wie Russland, Polen, Bulgarien und anderswo haben die deutschen Wissenschaftler von ihren Studierenden stets mehrere slawische Fremdsprachen und einen interdisziplinären Überblick über Länder und Literaturen abverlangt. Entsprechend hoch ist das internationale Ansehen. "Zum Slawisten-Kongress in Ljubljana im August 2003 sind deutsche Wissenschaftler um insgesamt 60 Fachvorträge gebeten worden", erklärt Keipert. "Das ist mehr, als manches slawische Land bekommt."

Es fehlt an Kontinuität

Dass es auch von Seiten der Politik positive Ansätze gibt, das Image der Slawistik aufzupolieren, zeigt sich in Baden- Württemberg. Dort hat sich kürzlich das Wissenschaftsministerium höchstselbst für den Fortbestand der Slawistik ausgesprochen. Auch wenn der Rechnungshof des Bundeslandes die Schließung der Fachbereiche gefordert hat. Zur Begründung hieß es im Ministerium, die Slawistik habe eine außerordentliche kulturpolitische und zunehmend wirtschaftliche Bedeutung. Der derzeitige Raubbau an der Slawistik könnte sich in Zukunft rächen. "Der Boom kommt dann, wenn es den slawischen Ländern besser geht", vermutet auch Professor Keipert. "Dann haben aber nicht mehr deutsche Slawisten die Nase vorn, sondern die aus Polen, Tschechien oder Slowenen."