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Steuert Deutschland auf eine Stagflation zu?

Mischa Ehrhardt
7. Oktober 2021

Die schlechten Nachrichten aus der deutschen Industrie reißen nicht ab: Erst ein deutlicher Rückgang bei den Aufträgen, jetzt bei der Produktion. Die Lieferketten-Probleme schlagen durch. Das gefährdet den Aufschwung.

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BG Fun facts | Hamburger Hafen
Bild: picture-alliance/dpa/J. Tack Tack

Offenbar sind die derzeitigen Lieferengpässe an Rohstoffen und Materialien für die deutsche Industrie ein größeres Problem als es die eigentliche Pandemie gewesen ist. Im August ist die Produktion von Industrie, Bau und Energieversorgern im Vergleich zum Vormonat um vier Prozent eingebrochen. Bereits am Mittwoch hatte das Statistische Bundesamt gemeldet, dass die Aufträge für die deutschen Industrieunternehmen im August sogar um fast acht Prozent eingebrochen sind. "Wenn ohnehin klar ist, dass nicht geliefert werden kann, bestellen viele Unternehmen erst gar nicht", sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.

Der Hauptgrund für diese deutlichen Dämpfer sind stockende Lieferketten weltweit. "Die Hersteller berichten weiterhin von Produktionshemmnissen aufgrund von Lieferengpässen bei Vorprodukten", so die Statistiker in Wiesbaden. Hatte man in der Vergangenheit gehofft, der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten werde sich schnell wieder legen, sehen viele Ökonomen das Problem mittlerweile als ein ernstzunehmendes Konjunkturrisiko.

Autoindustrie am stärksten betroffen

Die Probleme zeigen sich besonders stark beim Zugpferd der deutschen Industrie - den Herstellern von Autos und Autoteilen. Hier rauschte die Produktion um 17,5 Prozent in den Keller. Unter anderem sind Halbleiter für die elektronische Steuerung in Autos derzeit Mangelware. Aber auch die Preise für Stahl und andere Rohstoffe haben stark angezogen.

Die meisten Autohersteller mussten deswegen in den vergangenen Wochen und Monaten ihre Produktion drosseln und schicken vermehrt Beschäftigte wieder in Kurzarbeit. Zuletzt hatte Opel, mittlerweile eine Tochter der französischen Stellantis-Gruppe, sogar angekündigt, die Produktionsstätte in Eisenach bis mindestens Anfang nächsten Jahres komplett dicht zu machen.

Am Donnerstag meldete BMW, im dritten Quartal bis Ende September zwölf Prozent weniger Autos verkauft zu haben als im Vorjahr, bei Mercedes-Benz lag der Rückgang sogar bei rund 30 Prozent. "Inzwischen ist es ausgeschlossen, dass wir in diesem Jahr auch nur in die Nähe des Vorkrisenjahres 2019 kommen", sagte Peter Fuß, Autoexperte bei der Unternehmensberatung EY. "Tatsächlich wird der Absatz sogar niedriger liegen als im Corona-Jahr 2020." Der Verband der deutschen Automobilindustrie schockte am Mittwoch mit der Prognose eines Rückgangs der Produktion um 18 Prozent auf nur noch 2,9 Millionen Fahrzeuge - das entspricht dem Niveau von 1975.

Mittlerweile ruht hier die Produktion: Opel-Werk in Eisenach (Thüringen)
Mittlerweile ruht hier die Produktion: Opel-Werk in Eisenach (Thüringen) Bild: Martin Schutt/dpa/picture alliance

"Ein toxisches Gebräu"

Allerdings ist das Problem des Nachschubs und der steigenden Preise bei weitem nicht auf die Autoindustrie begrenzt. Auch Branchen wie der Maschinenbau sind von Materialmangel betroffen. In der mittelständisch geprägten Branche lag der Produktionsrückgang im August bei über sechs Prozent. "Insofern bestätigen die Zahlen unsere Erwartung, dass die deutsche Wirtschaft nach einer kräftigen Erholung im Sommerhalbjahr im vierten Quartal kaum noch wachsen wird. Deutschland droht eine Stagflation", analysiert der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer.

Stagflation ist ein in den 1970er Jahren während des Ölpreisschocks geprägter Begriff. Er bezeichnet wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitig hoher Geldentwertung, also hoher Inflation. Die Inflation liegt aktuell mit 4,1 Prozent so hoch wie seit 1993 nicht mehr. Treiber sind vor allem auch gestiegene Energiekosten. "Ein toxisches Gebräu, das schon leicht nach Stagflation riecht", sagte auch Ökonom Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg.

Silberstreif am Horizont

Immerhin aber stehen diesen doch eher düsteren Perspektiven nach wie vor volle Auftragsbücher der Unternehmen gegenüber - trotz des Rückganges der Bestellungen im August. So meldet auch das Ifo-Institut nach jüngsten Umfragen, dass die Produktionserwartungen der deutschen Industrie im September gestiegen sind. "Die weiterhin guten Produktionsaussichten lassen sich auch auf Nachholeffekte wegen der Corona-Pandemie zurückführen", sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen.

Container Terminal Altenwerder im Hamburger Hafen
Container sind ein stark gefragtes Gut - die Frachtraten sind dramatisch gestiegenBild: picture-alliance/dpa/Ch. Charisius

Das sieht auch der Chefvolkswirt der ING Deutschland, Carsten Brzeski so. "Irgendwann wird der hohe Auftragsbestand abgebaut werden müssen und sollte zu einem erneuten Anstieg der Industrietätigkeit führen", prognostiziert er.

Allerdings schränkt er mit Blick auf den jüngsten Dämpfer ein: "Derzeit sieht es so aus, als würde dieser Zeitpunkt eher später als früher kommen."