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Konflikte

Ukraine aktuell: Baerbock zu Blitzbesuch in Charkiw

10. Januar 2023

Bei einem Überraschungsbesuch in der Stadt Charkiw sichert Außenministerin Annalena Baerbock der Ukraine weitere Hilfe aus Deutschland zu. Die heftigen Kämpfe um das ostukrainische Soledar dauern an. Unser Überblick.

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Ukraine-Krieg Charkiw | Außenministerin Baerbock besucht Ostukraine
Annalena Baerbock und ihr ukrainischer Kollege Dmytro Kuleba in CharkiwBild: Xander Heinl/photothek/picture alliance/dpa

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Baerbock kommt zu Überraschungsbesuch nach Charkiw
  • Ukrainische Soldaten verteidigen Soledar gegen heftige Angriffe
  • Von der Leyen will weitere Sanktionen gegen Belarus
  • NATO und EU vereinbaren mit Blick auf Ukraine engere Zusammenarbeit
  • Armenien verzichtet auf Manöver mit russisch geführter Allianz

 

Mit ihrer Visite wolle sie den Menschen in der Ukraine zeigen, "dass sie sich auf unsere Solidarität und unsere Unterstützung verlassen können", sagte Annalena Baerbock in Charkiw. "Dazu zählen auch weitere Waffenlieferungen, die die Ukraine braucht, um ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu befreien, die noch unter dem Terror russischer Besatzung leiden." Baerbocks Besuch in der ostukrainischen Großstadt, die nur etwa 40 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt liegt, war vorab nicht angekündigt worden.

Baerbock reiste als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit Beginn des russischen Angriffskriegs in die Ostukraine und das lange umkämpfte Charkiw. Kein ausländischer Außenminister hat die Stadt seit Beginn des Kriegs besucht. Fast täglich steht die Region unter russischem Beschuss. Charkiw sei "Sinnbild für den absoluten Irrsinn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und für das unendliche Leid, mit dem die Menschen, ganz besonders hier im Osten des Landes, jeden Tag konfrontiert sind", sagte die Außenministerin. "Heute sieht man praktisch an jeder Straßenecke tiefe Spuren der russischen Zerstörungswut."

Eingeladen von Kuleba

Mit dem Besuch folgte Baerbock einer Einladung ihres ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba, der mit ihr die Stadt besuchte. Sie wolle vor allem den Bewohnerinnen und Bewohnern zuhören, "die der Krieg in diesem bitterkalten Winter, in dem die Temperaturen in der Nacht gerade auf bis zu minus 15 Grad sinken, so hart trifft, dass wir uns das gar nicht vorstellen können", sagte die deutsche Ministerin.

Ukraine-Krieg Charkiw | Außenministerin Baerbock besucht Ostukraine
Annalena Baerbock besichtigt mit Dmytro Kuleba auch den zerstörten Stadtteil SaltiwkaBild: Jörg Blank/dpa/picture alliance

Die Ukrainerinnen und Ukrainer sähen "ihre Zukunft in Europa, in der EU", sagte Baerbock. "Wir wollen als Bundesregierung der Ukraine ganz konkrete Angebote machen, um bei der Stärkung des Rechtsstaats, unabhängiger Institutionen und der Korruptionsbekämpfung sowie bei der Angleichung an die EU-Standards voranzukommen." Der Besuch fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Ministerin und ihre Delegation reisten mit dem Zug an. Die Visite dauerte nur wenige Stunden. Am späten Dienstagnachmittag traten sie die Rückreise nach Deutschland an.

Die Ministerin sagte der Ukraine zum Abschluss des Besuchs zudem Aufbauhilfe in Höhe von 40 Millionen Euro zu. Zur weiteren Winterhilfe mit Stromgeneratoren sowie zur Minenräumung soll Kiew 20 Millionen Euro erhalten. Befreite Gebiete müssten entmint werden, damit etwa Kinder auf einem halb zerstörten Spielplatz keine Angst haben müssten, dass sie von Minen getötet werden. Weitere 20 Millionen Euro wird Deutschland demnach zum Ausbau des Satelliten-Internetsystems Starlink bereitstellen. Damit könnten insgesamt 10.000 Bodenstationen finanziert werden. Ein Drittel dieser Stationen kommt nach Angaben des Auswärtigen Amts auch den ukrainischen Streitkräften zugute.

Selenskyj dankt seinen Soldaten in Soledar

Die ukrainische Armee verteidigt die Kleinstadt Soledar im Osten des Landes derzeit nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj gegen immer heftigere Angriffe russischer und pro-russischer Kräfte. Er danke "allen Kämpfern in Soledar, die den neuen und noch härteren Angriffen der Invasoren standhalten", sagte Selenskyj am Montagabend in seiner allabendlichen Videoansprache. Soledar liegt in der von Moskau beanspruchten Region Donezk.

Rauch über Soledar
Rauchschwaden über der umkämpften Stadt Soledar im Osten der Region DonezkBild: Clodagh Kilcoyne/REUTERS

"Dank der Widerstandsfähigkeit unserer Soldaten in Soledar haben wir zusätzliche Zeit gewonnen und Kräfte für die Ukraine erhalten", erklärte Selenskyj weiter. Zuvor hatte das Verteidigungsministerium in Kiew im Online-Dienst Telegram die Abwehr eines Einnahmeversuchs von Soledar gemeldet und erklärt, die Kämpfe hielten weiter an.

London: Russen machen Fortschritte nördlich von Bachmut

Das britische Verteidigungsministerium teilte in seinem täglichen Geheimdienst-Briefing mit, reguläre russische Truppen und Einheiten der Söldnergruppe Wagner hätten in den vergangenen vier Tagen taktische Vorstöße in Soledar unternommen und kontrollierten wahrscheinlich den größten Teil des Ortes. Die zehn Kilometer entfernte ostukrainische Stadt Bachmut bleibe das vorrangige Ziel der russischen Offensive.

Pro-russische Separatisten hatten am Montag die Einnahme des nahe Soledar gelegenen Dorfs Bachmutske gemeldet. Die russische Söldnergruppe Wagner erklärte hingegen, ihre Kämpfer hätten das Dorf schon im Dezember "befreit". Die Nachrichtenagentur AFP konnte die Angaben zunächst nicht unabhängig verifizieren.

Von der Leyen will weitere Sanktionen gegen Belarus

Gegen Belarus sollen wegen der Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine weitere europäische Strafmaßnahmen beschlossen werden. "Wir werden neue Sanktionen gegen Belarus verhängen, um der Rolle Belarus' in diesem russischen Krieg in der Ukraine Rechnung zu tragen", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. Die bereits gegen Russland verhängten Sanktionen würden auf alle Länder ausgeweitet, die den Krieg militärisch unterstützten. Als Beispiele nannte sie neben Belarus auch den Iran.

Schon im Vorjahr hat die EU als Reaktion auf die belarussische Unterstützung des russischen Kriegs Sanktionen gegen Belarus und den Iran verhängt. Darunter sind im Fall der Ex-Sowjetrepublik Handelsbeschränkungen sowie ein Verbot von Transaktionen mit der belarussischen Zentralbank. Im Iran sind vor allem Beteiligte am Export von Kampfdrohnen von Strafmaßnahmen betroffen. In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Spekulationen über einen erneuten russischen Angriff auf die Ukraine von belarussischem Gebiet aus. Schon zu Kriegsbeginn hatten die Truppen von Kremlchef Wladimir Putin Belarus als Aufmarschgebiet für die Invasion der Ukraine genutzt.

Armenien verzichtet auf Manöver mit russisch geführter Allianz

Der russische Verbündete Armenien erteilt Übungen des russisch-geführten Militärbündnisses OVKS auf seinem Territorium für dieses Jahr eine Absage. "Der armenische Verteidigungsminister hat den gemeinsamen Stab der OVKS informiert, dass wir es in der aktuellen Situation für unangemessen halten, OVKS-Übungen auf dem Territorium Armeniens abzuhalten. Zumindest werden solche Übungen in diesem Jahr nicht in Armenien stattfinden", sagte Ministerpräsident Nikol Paschinjan nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Interfax. Dazu erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, Armenien sei ein "sehr enger Verbündeter" Russlands. Der Dialog werde fortgeführt.

Dem Bündnis gehören neben Russland und Armenien die ehemaligen Sowjetrepubliken Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an. Daneben tritt Russland auch als Schutzmacht Armeniens auf. Das spielt insbesondere im jahrzehntelangen Streit Armeniens mit Aserbaidschan um die Kaukasusregion Bergkarabach eine wichtige Rolle. Allerdings waren in diesem Zusammenhang zuletzt unzufriedene Töne aus Armenien zu vernehmen, weil es russischen Friedenstruppen bisher nicht gelang, eine Blockade der einzigen Verbindungsstraße des Landes nach Bergkarabach zu räumen.

Timmermans sichert Ukraine Unterstützung zu

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, hat im DW-Interview die Europäischen Staaten dazu aufgerufen, das ukrainische Volk in seinem "mit Entschlossenheit und Leidenschaft" geführten "Kampf für seine Freiheit" auch weiterhin "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" zu unterstützen.

Frans Timmermans
EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans im DW-Interview in Kiew (09.01.2023)Bild: DW

Die jüngsten von Frankreich und Deutschland angekündigten Waffenlieferungen nannte der Niederländer einen "logischen Schritt". Russland dürfe diesen Konflikt nicht gewinnen, da es "um die Zukunft Europas" und die "Zukunft der Demokratie" gehe, so Timmermans.

Engere Zusammenarbeit von NATO und EU vereinbart

Die NATO und die EU haben eine engere Zusammenarbeit vereinbart. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterzeichnete im Hauptquartier der Militärallianz in Brüssel eine gemeinsame Erklärung mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel. Die neue Kooperationserklärung mit 14 Punkten ist die inzwischen dritte. Darin appellieren NATO und EU erneut an Russland, den Ukraine-Krieg "sofort" zu beenden. Zudem bekräftigen sie ihre Rückendeckung für die Führung in Kiew.

Belgien, Brüssel | Unterzeichnung der 3. NATO-EU Kooperationsvereinbarung
EU-Ratspräsident Michel (l.), NATO-Generalsekretär Stoltenberg und EU-Kommissionspräsidentin von der LeyenBild: Johanna Geron/REUTERS

Auch im "wachsenden geostrategischen Wettbewerb" mit Mächten wie Russland und China und beim "Schutz kritischer Infrastrukturen" wollen sich beide Seiten enger abstimmen, wie es in dem Text weiter heißt. Eine engere Kooperation sei aber auch im Weltraum sowie beim Kampf gegen den Klimawandel und bei der "Manipulation von Informationen und Einmischung aus dem Ausland" erforderlich.   

Putin-Vertrauter: Westen will Russland auseinanderreißen

Russland sieht sich nach Darstellung von Nikolai Patruschew, einem der engsten Vertrauten von Präsident Wladimir Putin, in der Ukraine jetzt im Kampf mit der NATO. Der Westen versuche, Russland auseinanderzureißen und von der politischen Weltkarte zu löschen, sagte Patruschew der Zeitung "Argumenti i Fakti". "Die Ereignisse in der Ukraine sind kein Zusammenstoß zwischen Moskau und Kiew - dies ist eine militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO und dabei vor allem den Vereinigten Staaten und Großbritannien."

Alte Seilschaften: Kremlchef Wladimir Putin begrüßt seinen Vertrauten Nikolai Patruschew, ganz rechts Ex-Präsident Dmitri Medwedew
Alte Seilschaften: Kremlchef Putin begrüßt seinen Vertrauten Patruschew, ganz rechts Ex-Präsident Dmitri MedwedewBild: Alexei Nikolsky/Russian Presidential Press and Information Office/ITAR-TASS/IMAGO

Patruschew ist der Sekretär des mächtigen nationalen Sicherheitsrates. Er war wie Putin früher Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB. Die beiden kennen sich seit den 1970er Jahren. Patruschew gilt als Hardliner und einer der wenigen, die den Präsidenten beeinflussen können. Putin ist Vorsitzender des Sicherheitsrats. Dem Gremium gehören weitere führende Vertreter aus Politik und Geheimdienst an, er entscheidet in Fragen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Bundeswehr-Verband befürwortet Leopard-Panzer-Lieferungen

Der Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr, Patrick Sensburg, hat sich für die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ausgesprochen. "Als Schützenpanzer bietet der Marder die Möglichkeit, Soldaten schnell von einem zum anderen Ort zu verlegen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit Blick auf die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von Mardern.

Patrick Sensburg
Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes der BundeswehrBild: DW

"Im Verbund entfaltet er seine größte Wirksamkeit - idealerweise natürlich mit dem Kampfpanzer Leopard. Darum ist die Unterstützung mit Kampfpanzern der nächste logische Schritt." 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte mit US-Präsident Joe Biden vereinbart, erstmals Schützenpanzer westlicher Bauart in die Ukraine zu liefern. Diese Panzer werden von der Ukraine seit Monaten gefordert. Die Bundesregierung erklärte sich bereit, der Ukraine 40 Schützenpanzer Marder zu überlassen.

Politiker von Grünen und FDP verlangen nun, dass Scholz nachlegt und der Ukraine auch die schlagkräftigeren Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 liefert. Ein Regierungssprecher bekräftigte am Montag jedoch, dass dies derzeit nicht geplant sei

Belgien verlängert AKW-Laufzeiten

Die beiden belgischen Atomkraftwerke Tihange 3 und Doel 4 werden zehn Jahre länger laufen dürfen als bisher geplant. Darauf einigte sich die Regierung von Premierminister Alexander De Croo mit dem französischen Betreiber Engie.

Die Verlängerung sei entscheidend, um angesichts des Ukraine-Krieges die Energieversorgungssicherheit in den nächsten zehn Jahren zu gewährleisten, sagte De Croo. An dem Vorhaben sollen sich seinen Angaben zufolge zur Hälfte der belgische Staat und zur Hälfte der Betreiber Engie beteiligen.

Kernkraftwerk Tihange
Das Kernkraftwerk Tihange 3 nahe der belgisch-deutschen Grenze darf zehn zusätzliche Jahre lang laufenBild: Jürgen Schwarz/IMAGO

Die belgische Regierung hatte bereits im März letzten Jahres beschlossen, dass der nahe der deutschen Grenze gelegene Reaktor Tihange 3 sowie der bei Antwerpen gelegene Meiler Doel 4 bis mindestens Ende 2035 weiterlaufen sollen. Ursprünglich war ein Atomausstieg für 2025 vorgesehen.

Die Stadt Aachen und die Bundesregierung haben in der Vergangenheit gefordert, die Kernkraftwerke wegen zu vieler Störfälle stillzulegen. In Belgien wurde der Atomausstieg eigentlich schon 2003 gesetzlich festgelegt, doch die Debatte zieht sich seit Jahren. Derzeit sind noch sechs Meiler am Netz, ein siebter wurde vergangenes Jahr abgeschaltet.

kle/jj/se/sti/mak/bru (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.