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Unter zwei Diktaturen

Sven Kästner14. August 2012

Ein Volksschriftsteller enttäuscht posthum seine Leser. Erst nach dem Tod Erwin Strittmatters kam seine zweifelhafte Rolle unter den Nazis und in der DDR ans Licht. Am 14. August wäre er 100 Jahre alt geworden.

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Schwarz-Weiß-Porträt von Erwin Strittmatter (Foto: picture alliance/dpa)
Erwin StrittmatterBild: picture-alliance/dpa

Er war ein Großschriftsteller, zumindest in Ostdeutschland. Seine Bücher gehörten zur Schulliteratur in der DDR. Seine Leser sahen ihn auch als moralische Autorität. Am 14. August wäre Erwin Strittmatter hundert Jahre alt geworden, aber kaum jemand will ihn posthum feiern. Zu groß ist die Verstörung über die Rollen, die er in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts spielte. Er selbst hat sich bis zu seinem Tod 1994 nicht dazu geäußert. Stattdessen war er bis zuletzt um seinen Ruf als bodenständiger, dem Landleben verbundener Schriftsteller bemüht.

Geboren 1912 in Spremberg, einer Kleinstadt gut 150 Kilometer südöstlich von Berlin, zog er schon bald mit seinen Eltern ins nahe Bohsdorf um. Dort, im neuen Kramladen seiner Mutter, verbrachte er seine Kindheit. Erinnerungen an diese Zeit verarbeitete er Jahrzehnte später in seinem berühmtesten Roman "Der Laden". Die Trilogie erschien ab Anfang der 1980er Jahre und beschrieb das ländliche Leben in der Gegend, die damals noch von der slawischen Minderheit der Sorben geprägt war.

Außenansicht des ehemaligen Ladens der Familie Strittmatter in Bohsdorf (Foto: Sven Kästner)
Im Buch verewigt: der ehemalige Laden der Familie StrittmatterBild: DW/S. Kästner

Ruhm auch im Westen

Die Verfilmung für das deutsche Fernsehen brachte ihm nach der Wiedervereinigung in den 90er Jahren auch Ruhm in Westdeutschland, wo er bis dahin kaum bekannt war. Diese Nichtbeachtung hatte ihren Grund: Auch wenn sich Strittmatter im Laufe der Jahrzehnte immer weiter aufs Land zurückgezogen hatte, galt er doch als DDR-Staatskünstler. So trat er schon 1947 in die Staatspartei SED ein, amtierte viele Jahre als Sekretär des ostdeutschen Schriftstellerverbandes und erhielt mehrfach den Nationalpreis.

Die Leser mochten Strittmatter trotzdem. Vom Roman "Ochsenkutscher" aus dem Jahr 1950 über "Tinko" bis hin zum "Laden" wurden seine Bücher viel gekauft. Strittmatters genaue Beobachtungen des Landlebens sowie seine einfache, aber genau beschreibende Sprache kamen an. "Ole Bienkopp" von 1963 wurde eines der erfolgreichsten Bücher der DDR, auch weil die Leute die darin eingewobene, vorsichtige Kritik an manchen Zuständen schätzten. Aus heutiger Sicht harmlos, musste Strittmatter diese doch in einem monatelangen Kampf gegen die DDR-Kulturbürokraten durchfechten.

Erwin Strittmatter (Foto: picture alliance/dpa)
Erwin Strittmatter 1992, zwei Jahre vor seinem TodBild: picture-alliance/dpa

Berichte an die Stasi

Nach Strittmatters Tod wurde zunächst bekannt, dass er in den 1960er Jahren einige Berichte an den DDR-Geheimdienst, die "Stasi", geliefert hatte. Für größere Enttäuschung unter seinen Anhängern sorgte allerdings 2008 die Entdeckung des Berliner Literaturwissenschaftlers Werner Liersch, dass der Schriftsteller sich als junger Mann freiwillig für den Einsatz in einer Einheit der Ordnungspolizei gemeldet hatte, die in Griechenland an Kriegsverbrechen beteiligt war.

Viele Leser waren enttäuscht, weil sich Strittmatter immer als Sozialist und NS-Gegner dargestellt hatte. In der autobiografisch geprägten Trilogie "Der Wundertäter" schrieb er, keine Kugel habe während des Zweiten Weltkrieges den Lauf seines Gewehrs verlassen.

Neue Biographie vorgelegt

Plakat im Schaufenster (Foto: Sven Kästner)
Kritik gefragt: Ein Plakat im ehemaligen Strittmatter-Laden ruft Schüler zur Auseinandersetzung mit dem Autor aufBild: DW/S. Kästner

Anlässlich des 100. Geburtstages hat gerade die Historikerin Annette Leo eine neue Biographie vorgelegt, in der sie die Zerrissenheit und Widersprüche des Schriftstellers schildert. Erstmals konnte sie dafür auch Aufzeichnungen aus Strittmatters persönlichem Archiv einsehen. Leo bestätigt, dass Strittmatter sich 1939 freiwillig zur Wehrmacht und zur Schutzpolizei sowie im Folgejahr zur Waffen-SS gemeldet hatte. Sein damaliger Arbeitgeber wollte ihn allerdings zunächst nicht ziehen lassen, weil die Produktion als kriegswichtig eingestuft war.

Stattdessen ging Strittmatter mit Ende Zwanzig zu einem Polizeigebirgsjägerregiment, das in Slowenien und Griechenland gegen Partisanen vorging. Zwar kann Historikerin Leo keine direkte Beteiligung Strittmatters an so genannten "Säuberungsaktionen" gegen die Zivilbevölkerung nachweisen. Dass er als Kompanieschreiber davon wusste, daran lässt sie aber keinen Zweifel.

Anders als Günter Grass, der sich im hohen Alter noch dazu bekannte, mit 17 Jahren der Waffen-SS beigetreten zu sein, thematisierte Strittmatter seine wahre Rolle unter den Nationalsozialisten nie. Auch aus diesem Grund wird Strittmatters Geburtsstadt Spremberg ihren bekannten Sohn am 100. Geburtstag nicht offiziell ehren.