1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wachsende Sorgen vor schwerem Pandemie-Winter

27. November 2021

Eine doppelte Angst geht um in Deutschland: Steht das Land durch den rasanten Anstieg der Corona-Infektionen und die neue Virusvariante im südlichen Afrika vor einem heftigen Pandemieverlauf in diesem Winter?

https://p.dw.com/p/43YxD
Deutschland Coronavirus Lockdown
Ein menschenleeres Dresden im Februar 2021: Droht wieder ein bundesweiter Lockdown?Bild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Mit Blick auf die sich zuspitzende Pandemie-Lage fordern Städte und Gemeinden schärfere Maßnahmen gegen das Coronavirus. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Unser Gesundheitssystem kommt an seine Grenzen, die Infektionszahlen steigen ungebremst." Volle Fußballstadien und Großveranstaltungen setzten ein vollkommen falsches Signal, meinte er. Die bisher von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen reichten zur wirksamen Bekämpfung der Pandemie erkennbar nicht aus.

"In Teilgebieten Deutschlands mit extrem hohen Inzidenzzahlen wird es ohne einen Lockdown nicht gehen", sagte Landsberg. "Mit dem Auslaufen der epidemischen Notlage fehlt dafür allerdings die notwendige Rechtsgrundlage." Hier sei die künftige Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP gefordert, im Bundestag noch vor der Weihnachtspause erneut die "epidemische Notlage" festzustellen, um so die notwendigen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Die epidemische Lage war am 25. November ausgelaufen. Zugleich wurde eine Rechtsgrundlage für weitere Auflagen im Kampf gegen die Pandemie geschaffen.

Weihnachtsmärkte vor dem Corona-Aus

Auch der Deutsche Städtetag hält im Kampf gegen die Pandemie eine Verschärfung von Maßnahmen für unausweichlich. "Wenn die Situation weiter außer Kontrolle gerät, führt kein Weg an erneuten Kontaktbeschränkungen vorbei", sagte Städtetagspräsident Markus Lewe der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Wir müssen die Corona-Pandemie wieder eindämmen. Wir dürfen nicht warten, bis die Intensivstationen im ganzen Land überfüllt sind. Jeder Tag zählt."

WHO: Variante "besorgniserregend"

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte die neue Coronavirus-Variante B.1.1.529 am Freitag als "besorgniserregend" ein. Experten befürchten, dass die vielen Mutationen der Variante dazu führen, dass sich der Erreger schneller ausbreitet oder die Impfstoffe ihre Schutzwirkung verlieren. Wegen der Variante stuft die Bundesregierung Südafrika, Namibia, Simbabwe, Botsuana, Mosambik, Eswatini, Malawi und Lesotho ab Sonntag als Virusvariantengebiete ein, wie das Robert Koch-Institut (RKI) mitteilte. Fluggesellschaften dürfen damit im Wesentlichen nur noch deutsche Staatsbürger oder in Deutschland lebende Personen von dort nach Deutschland befördern. Es handelt sich aber nicht um ein Flugverbot. Für Einreisende gilt eine zweiwöchige Quarantänepflicht - auch für Geimpfte und Genesene.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnte vor der Entstehung noch gefährlicherer Varianten des Coronavirus. "Meine große Sorge ist, dass es zu einer Variante kommen könnte, die so infektiös ist wie Delta und so gefährlich wie Ebola", sagte Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die neue südafrikanische Variante B.1.1.529 sei ein gutes Beispiel dafür, dass man dem Virus keine Chance zur Mutation geben dürfe. Eine Ebola-Infektion führt meist zu hohem Fieber und inneren Blutungen und endet sehr oft tödlich.

Deutschland Berlin | Bundespressekonferenz Jens Spahn und Karl Lauterbach
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl LauterbachBild: Stefanie Loos/REUTERS

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte im ARD-Fernsehen, wenn die möglicherweise gefährliche Variante auch Deutschland erreichen würde, dann wäre das ein riesiges Problem. "Denn es ist nichts schlimmer, als eine besonders gefährliche Variante in eine laufende Welle hineinzubekommen." Die Variante scheine für Geimpfte und Ungeimpfte gefährlich zu sein. "Daher müssen wir mit Reisebegrenzungen hier arbeiten, hier zählt wirklich jeder Tag, der gewonnen werden kann, bis diese Variante kommt."

Inzidenz wieder auf Rekordhöhe

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist unterdessen erneut gestiegen und hat einen Höchststand erreicht. Das Robert Koch-Institut gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche mit 444,3 an. Am Vortag hatte der Wert bei 438,2 gelegen, vor einer Woche bei 362,2. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten 67.125 Corona-Neuinfektionen. Das ist ein leichter Rückgang gegenüber Freitag, als 76.414 Ansteckungen festgestellt wurden. Vor genau einer Woche waren es allerdings erst 63.924 Ansteckungen. Deutschlandweit wurden binnen 24 Stunden 303 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 248 Todesfälle.

100.000 COVID-Tote in Deutschland

Derweil sprach sich der deutsche Einzelhandel für eine Impfpflicht aus. "Geboten sei eine „zeitnahe Einführung einer verfassungskonform ausgestalteten allgemeinen Impfpflicht mit klar definierten Ausnahmen", schreibt der Handelsverband HDE in einem Brief an die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel. Oberstes Ziel müsse es sein, die Impfquote in Deutschland zu erhöhen und Drittimpfungen konsequent voranzutreiben, teilt der HDE weiter mit. Denn derzeit reiche die Impfquote nicht aus, um eine vierte Welle ausreichend einzudämmen.

Bereits seit Monaten appelliert der Einzelhandel an seine Kunden, sich impfen zu lassen. Für eine Impfpflicht hatte er sich bisher allerdings nicht stark gemacht. Viele Bereiche des Einzelhandels waren wegen der angeordneten Geschäftsschließungen während der Lockdowns besonders hart von der Corona-Pandemie betroffen.

Gravierender Mangel an Pflegekräften

Bundesweit fehlen offenbar mindestens 35.000 Fachkräfte in der Pflege. Das zeigen neue Berechnungen, die das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) am Institut der deutschen Wirtschaft im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt hat. Die Daten liegen der Zeitung "Welt am Sonntag" vor. "In keinem anderen Beruf sind die Engpässe so groß wie bei Kranken- und Altenpflegern", sagte Kofa-Forscherin Susanne Seyda. Die Knappheit hat sich demnach verschärft. Seit 2011 wuchs die Zahl der offenen Stellen um knapp 40 Prozent. Tatsächlich dürfte der Mangel noch dramatischer sein, so der Bericht.

kle/sti (dpa, rtr, afp, kna)