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Warum wird Gas immer teurer?

Thomas Kohlmann mit afp
21. September 2021

Seit Monaten spielen die globalen Gaspreise verrückt: Die boomende Nachfrage in Asien und knapper gefüllte Gas-Speicher in Europa treiben die Preise weiter in die Höhe. Und wieder steht Nordstream 2 im Fokus.

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Russland China Gas-Pipeline Kraft Sibiriens - Sila Sibiri
Bild: Reuters/M. Shemetov

Die Preise schießen nach oben, seit die Volkswirtschaften der wichtigsten Industrienationen nach dem Corona-Absturz 2020 wieder durchstarten. Der globale Hunger nach Waren und Gütern treibt seit Monaten die Erzeugerpreise nach oben und mit Verzögerung steigen auch die Verbraucherpreise deutlich an. Die internationalen Lieferketten sind angespannt, Schiffe und Transportcontainer auf den globalen Handelsrouten Mangelware. In vielen Ländern - und das nicht nur im Post-Brexit-Britannien des Boris Johnson - fehlen außerdem Hunderttausende Lastwagen-Fahrer.

Aber es sind vor allem die steigenden Energiepreise, die die Preise für Produzenten und Verbraucher in schwindelerregende Höhen katapultieren. Besonders steil verläuft der Anstieg beim Preis für Erdgas. Allein seit Januar 2020 hat sich der Preis an den Terminmärkten stark verteuert. An einem der wichtigsten Gasterminmärkte, dem virtuellen Handelsplatz Title Transfer Facility (TTF) in den Niederlanden, schoss der Preis für Erdgas pro Megawattstunde (MWh) von knapp 17 Euro am 4. Januar 2021 auf zuletzt mehr als 72 Euro. Das war ein Rekord-Anstieg von mehr als 320 Prozent. Zum Vergleich: Normalerweise bewegt sich der Preis für eine MWh im langjährigen Mittel zwischen 15 und 20 Euro.

Infografik Erdgasbezugsquellen in Deutschland 2019

Viele Berechnungsgrundlagen

Vergleiche sind allerdings beim Erdgas ziemlich knifflig. Denn an den Spotmärkten, wo kurzfristig Erdgas den Besitzer wechselt, wirkt der Preisanstieg schon weniger dramatisch: Hier hat sich der Preis für Erdgas zwischen Januar und August zwar mehr als verdoppelt. Das Plus klingt aber schon weniger besorgniserregend als der Anstieg beim Börsenpreis, der innerhalb eines Jahres um etwa 450 Prozent nach oben schoss.

Doch ganz gleich, auf welcher Basis Erdgas gehandelt, sein Wert berechnet und Preisentwicklungen verglichen werden: Es wird eindeutig teurer für Industrie- und Privatkunden - und jeder weitere Anstieg bricht neue Rekordmarken.

"So stark steigende Gaspreise über einen so langen Zeitraum gab es noch nie", wird der Energiemarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool vom Handelsblatt zitiert. Für private Haushalte drohen nach Angaben von Verbraucherschützern Mehrkosten von 150 bis 200 Euro, wenn sie im kommenden Winter ihre Wohnung mit Erdgas heizen müssen.

Energiehunger der Industrie und steigende CO2-Preise

Das größere Problem haben aber Industriekunden, die auf Erdgas angewiesen sind. Allein die chemische Industrie verbraucht den fossilen Energieträger im rauen Mengen. Ein Großteil des industriellen Verbrauchs geht auf das Konto der Branche. Dazu kommen Stahlproduzenten, die auf Gas bei der Erzeugung von Spezialstahl angewiesen sind.

"Auch langfristig müssen sich Verbraucher darauf einstellen, dass das Heizen mit Öl und Gas in Deutschland teurer werden wird, denn der nationale CO2-Preis auf fossile Brennstoffe wird sich in den kommenden Jahren mehr als verdoppeln", warnt der Energieexperte Thorsten Storck vom Vergleichsportal Verivox. "Diese Kosten geben Gasversorger an ihre Kunden weiter."

Verbraucher leiden, Putin profitiert

Ein zentraler Grund für die galoppierenden Gaspreise ist die starke Nachfrage aus Asien, wo nicht nur die Wirtschaft Chinas nach der Pandemie wieder deutlich Fahrt aufgenommen hat. Mittlerweile nehmen auch Schiffe mit US-Flüssiggas (LNG) lieber Kurs auf Shanghai oder Osaka. Dort wird nämlich mehr für das von Ex-Präsident Donald Trump so stark beworbene Freedom Gas gezahlt als in Europa.

Infografik Bruttostromerzeugung in Deutschland 2020

Dem russischen Gas-Giganten Gazprom und seinen politischen Verbündeten im Kreml kommt die Entwicklung gerade recht. Kaum ein Land profitiert so stark von steigenden Gaspreisen wie das Riesenreich Wladimir Putins. Und in Moskau sieht Grünen-Politiker Oliver Krischer auch einen der zentralen Gründe für die hohen Gaspreise. Russland exportiere in diesem Jahr 20 Prozent weniger Gas als 2019 nach Deutschland, kritisiert er. Es habe den Anschein, dass das eine "künstliche Knappheit" sei, denn den geringen Exporten nach Deutschland stünden Rekordlieferungen in die Türkei und nach China gegenüber. Hinzu komme die hohe Nachfrage aus Deutschland vor allem seitens der Industrie und der Gaskraftwerke.

"Mindestens die Hälfte des gestiegenen Gaspreises geht auf das Konto von Gazprom und Wladimir Putin. Das ist auch das taktische Begleitspiel, um die Genehmigung der Nord Stream 2 Pipeline durchzudrücken", erklärt Krischer.

Speicher weniger als sonst gefüllt

Deutschland rutsche bei den ausstehenden Genehmigungen für die Pipeline in eine Situation mit Erpressungspotenzial. Normalerweise sei die Versorgungssicherheit im Winter mit den bestehenden Pipelines gewährleistet, wenn auch die Gasspeicher voll sind. Dieses Jahr seien die Speicher aber nicht voll.

Brennende Gasflamme an einem Küchenherd
Da kommt was zu auf die Endverbraucher: Die Kosten für die Nutzung von Gas dürften deutlich steigen.Bild: picture alliance/dpa/B. Von Jut

Besonders die von Gazprom kontrollierten deutschen Speicher, die 25 Prozent der Kapazitäten ausmachen, seien so gut wie leer - "und es gibt keine Anzeichen, dass das in den nächsten Monaten anders wird", erklärt Krischer weiter. "Wenn es richtig kalt wird im Februar, wichtige Speicher leer sind und die Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wurde, können regional Engpässe auftreten. Dann bleiben Wohnungen kalt und Gaskraftwerke müssen abgeschaltet werden", warnt er.

Die Energie-Expertin Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht die Rolle Moskaus differenzierter: "Die Lage ist durchaus kritisch. Allerdings warne ich davor, die Verantwortung dafür allein in Richtung Russland zu schieben. Vielmehr funktioniert der Markt jetzt genau so, wie sich die EU-Kommission das immer gewünscht hat", sagte Westphal dem Handelsblatt.

Aktuell sind die Gasspeicher in der EU zu rund 71 Prozent befüllt, wie aus Daten der Dachorganisation Gas Infrastructure Europe (GIE) hervorgeht. In Deutschland liegt die Auslastung der Gas-Silos bei rund 64 Prozent. Der Gasverbrauch wird mit weiter zunehmender wirtschaftlicher Aktivität und kühleren Temperaturen im Winter weiter zunehmen. Doch um auf den sonst üblichen Füllstand von mehr als 90 Prozent zu kommen, müssen die Betreiber der Gasspeicher in den kommenden Wochen - rechtzeitig vor der Heizsaison - teures Gas nachkaufen. Und damit treiben sie weiter die Fieberkurve des global begehrten Energieträgers nach oben.