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Corona: Intensivmediziner schlagen Alarm

Kay-Alexander Scholz
10. April 2021

Die Intensivmediziner in Deutschland machen Druck: In der dritten Welle der Corona-Pandemie füllen sich die Intensivstationen. Kommt das Gesundheitssystem an seine Grenzen?

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Deutschland | Coronavirus | Intensivstationen
Bild: Fabian Strauch/dpa/picture alliance

Es sind Schreckensmeldungen, wie die aus Portugal im Februar, die viele auch in Deutschland fürchten: Schlangen von Ambulanzen vor Krankenhäusern, Auslastungen von Intensivstationen zu 300 Prozent, Triagen in Zelten vor den Hospitalen. So dramatisch ist die Corona-Lage in Deutschland nicht, aber die warnenden Stimmen werden lauter. 

Regierungspressekonferenz in Berlin. Corona ist wie immer ein oder das Topthema. Über die Osterfeiertage ist die Inzidenz zwar zurückgegangen. Das könnte an den Feiertagen liegen, heißt es. Eine sehr deutliche Sprache dagegen spräche die Zahl der belegten Intensivbetten im Land. Diese steige "sehr stark und viel zu schnell" an.

Während der ersten Pandemie-Welle hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Deutschland einzentrales Register aufgebaut, in dem tagesaktuell die Lage in den Krankenhäusern, genauer auf den Intensivstationen, erfasst und veröffentlicht wird.

Ein aktueller Blick auf die Karte zeigt: In einigen Landkreisen und Städten ist die Lage inzwischen wieder brenzlig. Das heißt: Es gibt weniger als zehn Prozent freie Betten oder auch gar keine mehr. DIVI-Präsident Gernot Marx machte auf einer Pressekonferenz eine klare Ansage: "Jeder Tag zählt, wir brauchen schnell einen harten Lockdown von zwei bis drei Wochen, um die Zahlen runterzukriegen und dadurch mehr Zeit fürs Impfen zu bekommen."

Infografik: Anteil der freien Betten an der Gesamtzahl der Intensivbetten

In absoluten Zahlen liegen inzwischen laut DIVI-Register fast 4500 Menschen wegen COVID-19 auf der Intensivstation. Mehr als jeder Zweite davon wird beatmet. Vor einem Monat waren es knapp 3000. Anfang des Jahres auf dem Höhepunkt der zweiten Welle über 5700. 

Klinik wieder in den Notbetrieb

Laut DIVI-Register gibt es insgesamt aktuell knapp 24.000 Intensivbetten in Deutschland. Im vergangenen Jahr waren es rund 30.000. Dazu kommt noch eine Notfallreserve. Das sind rund 10.000 Betten, die innerhalb von sieben Tagen bereit gestellt werden könnten - allerdings auf Kosten der normalen Versorgung in den Krankenhäusern. Aktuell stehen noch rund 3000 Betten zur Verfügung.

Auf den Intensivstationen liegen jedoch nicht nur COVID-19-Fälle. Wie die folgende Grafik zeigt, schwankt der Anteil zwischen null und mehr als 50 Prozent. Das ändert natürlich nichts daran, dass die Betten knapp sind - wie derzeit vor allem in den Stadtstaaten Bremen und Berlin.

Infografik: So hoch sind die Covid-Fallzahlen in den Krankenhäusern

In Berlin nähert sich die Auslastung der Intensivstationen mit COVID-19-Patienten der vom Senat definierten kritischen Marke von 25 Prozent an. Die Berliner Charité, Europas größte Uniklinik, hat deshalb Konsequenzen gezogen und wird laut Medienberichten künftig wieder den übrigen Klinikbetrieb stark einschränken. Ab kommender Woche werde das Personal wieder vermehrt in COVID-19-Bereichen eingesetzt und planbare Eingriffe zurückgefahren, gab die Klinik bekannt. Mit einer erneut starken Arbeitsbelastung sei zu rechnen. 

Berlin: Charite-Gebäude
Wieder im Notmodus: Berliner Charité, wichtiges Corona-Zentrum in DeutschlandBild: Imago Images/D. Sattler

Damit geht das Krankenhaus ähnlich wie vor einem Jahr wieder in einen Krisenmodus über. Jede Operation, die nicht dringend erforderlich ist, wird verschoben - damit Betten und Personal für die Versorgung der COVID-19-Patienten zur Verfügung stehen, von denen viele künstlich beatmet werden müssen.

Der Chefvirologe der Charité und zeitweise Berater der Bundesregierung Christian Drosten hatte zuvor via Twitter einen "Notruf" rausgeschickt.

Drosten bezieht sich auf einen Tweet des wissenschaftlichen Leiters des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis. Darin wird sein Unmut über die aktuelle Corona-Politik deutlich: "Liebe Entscheidungsträger, wie hoch sollen die Zahlen denn noch steigen, bevor ihr reagieren wollt??? Wir verpassen jede Ausfahrt zur Senkung der Zahlen", kommentiert er ein Prognosemodell des Intensivregisters.

Personalmangel unter Pflegekräften

"Die Welle der Intensivpatienten schwappt jeweils noch weitere 14 Tage mindestens weiter, lässt sich also nicht aufhalten", erklärt eine Pressesprecherin der DIVI der DW. "Entsprechend glauben wir, in zwei Wochen deutlich über die Marke von 6000 der zweiten Welle zu kommen."

Und die Lage auf den Intensivstationen hat sich noch aus einem weiteren Grund verändert: Seit Jahresbeginn gibt es einen veränderten sogenannten Pflege-Schlüssel. Der besagt, für wie viele Betten eine Pflegekraft zuständig sein darf. Der Grenzwert wurde von 2,5 Betten tagsüber und 3,5 Betten nachts auf zwei beziehungsweise drei Betten abgesenkt. Da jedoch Pflegepersonal knapp ist, müssen Betten gesperrt werden, für die keine Pflegekraft da ist.

"Wir haben durch Personalmangel weniger Betten auf den Intensivstationen zur Verfügung, als noch im Oktober oder November", heißt es von die DIVI gegenüber der DW. Zudem sei das Pflegepersonal nach mehr als einem Jahr Pandemie einfach fix und fertig: "Wir machen uns sehr große Sorgen, dass sehr viele ihren Job bald aufgeben werden."

Auf einer Pressekonferenz am Freitag hat die DIVI die Lage präzisiert. Bereits 9000 Pflegekräfte hätten demnach ihren Job während der Pandemie aufgegeben.

Intensivbetten werden knapp

Wir schaffen das!?

Es gibt allerdings auch anders lautende Stimmen. Es werde trotz der durchaus ernsten Lage "in den kommenden Wochen nicht zu einer kompletten bundesweiten Überlastung der Kliniken kommen," sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der DW. Sein Verein vertritt die Interessen vieler Krankenhausbetreiber. Gaß hat sich schon in mehreren Interviews gegen allzu düstere Szenarien ausgesprochen. Es werde nicht dazu kommen, so Gaß zur DW, "dass Patienten keine Beatmung mehr erhalten können oder wir möglicherweise sogar das benachbarte Ausland um Unterstützung bitten müssen".

Auf mögliche Engpässe könnten die Kliniken mit Verlegungen und Zusammenarbeit reagieren, erklärt Gaß. "In allen Bundesländern existieren Notfallpläne der einzelnen Regionen, wie die Patienten umgesteuert werden, wenn einzelne Intensivstationen keine weiteren Aufnahmen mehr möglich machen können." Diese regionale Koordinierung habe bereits auf dem Höhepunkt der zweiten Welle funktioniert.

Die DIVI wollte sich zu den Äußerungen von Gerald Gaß nicht äußern. Mit einer Situation, in der eine Triage durchgeführt werden muss, rechnet allerdings auch die DIVI nicht.