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26. September 2011

DW-Korrespondentin Bettina Kolb reiste nach Arbil und begleitete das National Youth Orchestra of Iraq während seiner Proben vor dem Auftritt beim Beethovenfest. Hier der vierte Beitrag mit ihren Eindrücken vor Ort.

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Das NYOI beim Konzert
Bild: Amir Malek

Im Frühstücksraum herrscht ungewöhnliche Stille, wo sich sonst Lachen mit fröhlichen Guten Morgen-Rufen und Scherzen über drei Tische hinweg mischt . Heute abend ist das Konzert im Saad Palace von Arbil. Die Proben am Tag zuvor liefen nicht gut. Die Musiker sind nervös und kauen schweigend Käse, Oliven und Brot. Dann ruft Majid, der Orchestermanager, der normalerweise gemütlich und barock daher kommt: "To the bus!"

Das Signal zum Aufbruch. Zurück bleiben Teller mit halb gegessenen Fladenbroten. Wenn es zum Bus geht, kennt Majid keine Gnade. Zwei kräftige Jungs tragen die große Basstrommel über ihrem Kopf. Auch sie kommt mit in den Bus. Genauso wie 43 Musiker, 12 Tutoren und ein Dirigent. Die Instrumente stapeln sich, wir  quetschen uns dazwischen.

Sicherheitskontrollen und Warmlaufen

Das NYOI beim Proben
Ein letzter Tag zum Proben...Bild: DW/Kolb

Zum ersten Mal ertönt keine kurdische Musik, keiner hüpft und tanzt und bringt den Bus zum Schwanken Die Generalprobe steht an. Aber erstmal müssen alle durch die Sicherheitskontrolle. Metalldetektor. In Tarnfarben Uniformierte mit roten Berets, kugelsicheren Westen und Maschinengewehren öffnen Geigenkoffer und schauen dabei sehr ernst. So ernst, dass klar ist: Damit können sie nichts anfangen.

Bevor Musik gespielt wird, lässt Dirigent Paul MacAlindin sein Orchester üben, wie man perfekt auf die Bühne geht. Es kommt zu kleinen Kollisionen. Die Geigen laufen irregeleitet gleich mit den Solisten hinaus. MacAlindin dirigiert nicht, er choreografiert. Das ist nur ein Warmlaufen.

Denn nicht nur Beethovens Violinkonzert in D-Dur erfordert ganzen Einsatz: Insgesamt stehen fünf Stücke auf dem Programm. Darunter die beiden Auftragskompositionen irakischer Komponisten, die von der Deutschen Welle kommissioniert wurden. "Desert Camel" des Bagdaders Mohammed Amin Ezzat genauso wie "Invocation" aus der Feder des Kurden Ali Authman. Der wirkt heute gelassener als in den Tagen zuvor. Er tigert nicht auf und ab, sondern sitzt in der siebten Reihe und hört zu, macht sich Notizen, schaut wieder hoch.

Desert Camel und Haydn

Dafür macht Oboist Murat ein sehr unglückliches Gesicht. "Ich habe seit gestern Abend Halsschmerzen, ich weiß nicht, wie ich spielen soll. Aber ich will unbedingt", sagt er. Zur Probe sitzt er auf seinem Stuhl in der letzten Reihe und hält durch. Doch die Tempi machen dem Dirigent auch heute wieder Sorgen, und wieder sind es die Geigen. Mal schleppen sie, dann rasen sie voraus. Vor der Bühne stehen die Tutoren und stechen mit den Fingern Löcher in die Luft. Sie geben den Takt vor. Zu viele Dirigenten, das irritiert.

Das Tamburin erklingt zu "Desert Camel", dann schwebt Haydns Sinfonie Nr. 104 in den großen Saal, die grünen und lila Ränge hinauf. Ein letztes Mal klingen die Hörner, donnern die Pauken, streicht der Bogen übers Cello, dann ist die Probe zu Ende. "To the bus!", ruft Majid. Zeit für's Mittagessen.

Kurz vor der Premiere

Szenen von Proben mit dem National Youth Orchestra Iraq (Copyright: Bettina Kolb / DW)
Cellistin TukaBild: DW/Kolb

Drei Stunden später ist das Orchester verwandelt. Die jungen Damen präsentieren sich in elegantem Schwarz, die Haare aufgetürmt, die Lippen rot; Cellistin Tuka aus Bagdad trägt als einzige im Orchester ein Hijab-Kopftuch - heute mit silbernen Perlen bestickt. Die jungen Herren stecken in weißen Hemden mit Fliege. In der Hotellobby arrangieren sie sich zu immer neuen Gruppen. Die Kamerablitze leuchten im Sekundentakt: Fotos fürs Album oder Facebook. Auch die Scherze und das Lachen sind zurück. Drei Kilometer entfernt leuchtet der Saad Palast in tiefem Orangerot, die Sonne geht langsam unter. Und die Uniformierten warten schon und haben zur Instrumentenkoffer-Kontrolle eine Menge Verstärkung bekommen. Der Premierminister ist noch nicht da.

Hinter der Bühne, in den weiten Fluren stehen die Geigen und Klarinetten und spielen sich warm. Ganz am Ende eines besonders langen Ganges steht Waleed, der Flötist, ganz allein. Er spielt eine Melodie mit geschlossenen Augen. Geht drei Schritte nach vorn, macht eine kleine Drehung und spielt weiter, ganz in der Musik versunken.

"Toi toi toi"

Das Konzert soll um 19:00 Uhr beginnen. Um 19:30 Uhr sind dann endlich auch die VIP-Gäste eingetroffen. Sie sitzen in der ersten Reihe, vor sich kleine Beistelltische mit kühlen Getränken. Nur der Premierminister wird dann doch anderweitig aufgehalten. Aber es geht immer noch nicht los. Erstmal werden Reden gehalten. Neben dem Pult die irakische und die kurdische Flagge.

Und das Orchester tritt ungeduldig auf der Stelle. Nur Dirigent Paul MacAlindin steht kerzengerade und still. "Bei Musikern ist es so, sie wollen raus und spielen. Nichts weiter. Einfach spielen", sagt er. Geiger Alan strahlt: "Ich bin so glücklich." Ich bringe ihm bei, "toi toi toi" zu sagen. In Deutschland wünschen wir Künstlern so viel Glück vor dem Auftritt. Immer wieder murmelt er es vor sich hin. Und dann gehen sie auf die Bühne, entschlossen und mit stolzer Haltung. Und ganz ohne Kollisionen.

Eine lange glückliche Nacht

Das NYOI beim Konzert
Und endlich ist es soweit - das Konzert vor VIPs und natürlich auch den ElternBild: Amir Malek

Der Maestro hebt die Arme: Auftakt. "A Reel of Spindrift" von Peter Maxwell Davies erklingt. Das Orchester spielt sich in die Herzen des Publikums. Die Mutter von Geiger Alan und Bratschist Darwn ist gekommen und hat Tränen in den Augen. Am Ende Standing Ovations und Jubel. Noch nie hat der kleine Bus so gefährlich geschwankt wie auf dem Weg zurück ins Hotel. Und das wilde Tanzen während der Fahrt ist erst der Anfang einer langen Nacht, in der gefeiert wird.

Vom Trompeter zum DJ: Frand aus Bagdad mit punkiger, hochgegelter Frisur legt arabische Klänge auf, und der nicht gerade schlanke Bassist Sahar bringt seinen Körper wie eine Kontrabasssaite zum Vibrieren. Mutadar fordert ihn zum Tanz-Duell: Bagdad gegen Suleimaniya. Zu kurdischer Musik wird im Kreis der traditionelle Dabke getanzt: linker Fuss nach vorne, springen, nachfedern, rechter Fuss nach hinten und weiter über Kreuz. Immer wieder löst sich einer aus der Kette, springt in die Mitte des Kreises, Frauen wie Männer, und wirbelt herum. Angefeuert von außen. Morgens um halb drei muss ich erschöpft aufgeben. Die Feier geht weiter.

Autorin: Bettina Kolb
Redaktion: Suzanne Cords