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100 Berliner Gotteshäuser öffnen ihre Türe

Thomas Klatt20. August 2013

Was im letzten Jahr als interreligiöses Experiment begann, scheint sich als festes Kulturevent in Berlin zu etablieren. Mehr als 100 Religionsgemeinschaften öffneten am 17. August ihre Kirchentüren und Tempeltore.

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Bild: Fotolia/Marco2811

Die St. Marienkirche unweit des Alexanderplatzes widmet sich an diesem Abend explizit der Jugend. Mit Graffiti-Aktionen auf Leinwand an der Südseite der Kirche will man Jugendliche locken. Doch das gelingt nur bedingt. Stark alkoholisierte Punks liegen genau entgegengesetzt auf der Nordseite der Kirche zu Füßen des mächtigen Luther-Denkmales und lassen Kirche Kirche sein. Da gebe es noch viele Berührungsängste, sagt Pfarrerin Cordula Machoni, aber man wolle im Laufe des Abends mit Brotkörben herumgehen und so versuchen ins Gespräch zu kommen, verspricht sie.Mit dabei ist Gabriele Rohmann, Leiterin des Archiv der Jugendkulturen. Sie wirbt bei den evangelischen Christen um Verständnis für die unterschiedlichen Cliquen und Strömungen: "Gerade der Alexanderplatz ist ein Spannungsfeld zwischen Jugendlichen und Älteren", weiß sie. Hier kommen völlig unterschiedliche Jugendkulturen zusammen, die sich teilweise untereinander nicht gut verstehen und von denen einige auf den ersten Blick gefährlich wirken. "Es ist wichtig, mit der Jugend im Gespräch zu bleiben", erklärt Gabriele Rohmann.

Autor: Thomas Klatt, Berlin. Pfarrerin Cordula Machoni vor der St. Marienkirche in Berlin-Mitte. Foto: Thomas Klatt
Pfarrerin Cordula MachoniBild: Thomas Klatt

Suche nach Spiritualität

Geistige und körperliche Entspannung winkt im nahen Lotos Vihara Zentrum. Deutsche Buddhisten haben hier inmitten Plattenbauten in einer ehemals sozialistischen Kindertagesstätte ihr gelb-rotes Meditationsparadies aufgebaut. Sie lehren Achtsamkeit – etwa, indem sie vor der Stupa barfuss langsam durch das Gras gehen, aufmerksam jeden einzelnen Schritt und die Atmung beachten. Ihr Glaubensleben mit allem, was dazu gehört, wird durch Spenden finanziert. So etwas wie Kirchensteuer gibt es nicht. Basis ist allein das bürgerliche Engagement.

Meditationsraum im Lotus Vihara Zentrum Foto: Lotos Vihara Autor: Lotus Vihara
Meditationsraum im Lotus Vihara ZentrumBild: Lotos-Vihara

"Der Bedarf und das Interesse sind riesig. Die Lange Nacht der Religionen hat sich in Berlin durchgesetzt", meint die praktizierende Buddhistin und studierte Theaterwissenschaftlerin Karin Löwenhag. Auch hier, bei Lotos Vihara, ist man davon überzeugt, dass die teilnehmenden 100 Kirchen, Religionsgemeinschaften und interreligiöse Vereinigungen aktiv dazu beitragen, dass Menschen Schwellenängste überwinden können. "Die Menschen suchen einen spirituellen Ort, etwas, was sie innerlich unterstützt", ist Karin Löwenhag überzeugt.

Abstecher zu den Baha'i

Diesen Eindruck hat auch der Rechtsanwalt Rudolf Gridl vom Geistigen Rat der Baha'i in Berlin Mitte. Im letzten Jahr hätten viele Religionslehrer mit ihren Klassen vorbeigeschaut. Das sei diesmal anders, denn vor allem junge Erwachsene wollten sich einfach informieren. Sie seien auf Sinnsuche, vermutet Gridl. Er selbst hat seinen Frieden in der ursprünglich persischen Religion gefunden.Die Baha'i haben keine Pfarrer oder Bischöfe. Eine Gemeinde wird jeweils von neun gewählten Vertretern, dem sogenannten "Geistigen Rat" verwaltet. Eine Taufe gibt es genau so wenig wie andere Sakramente. Sie benötigen keine Kirchen, sondern treffen sich in privaten Räumen wie dem Lesecafé Alex-Treff in Berlin-Mitte, das ihnen zur Verfügung gestellt wird. Hier gibt es in dieser Nacht Vorträge über den Glauben der Baha'i, der zahlreiche Element anderer Weltreligionen beinhaltet. Manches sei jedoch einzigartig, so Rudolf Gridl, "das ist die Gleichheit von Mann und Frau als religiöses Prinzip. Wir haben das absolute Verbot, im Namen von Religion Kriege zu führen und die Aussöhnung von Wissenschaft und Religion", schwärmt der Rechtsanwalt.

Autor: Thomas Klatt, Berlin. Baha'i-Vortrags-Screen: Symbole der Weltreligionen, die in der Baha'i-Religion zusammengefasst sind Foto: Thomas Klatt
Vortrags-Screen: Symbole der Weltreligionen innerhalb der Baha'i-ReligionBild: Thomas Klatt

Religion ist Kultur

Doch längst nicht alle Besucher der Langen Religionsnacht sind Sinnsucher. In der unweit gelegenen katholischen Herz-Jesu-Kirche flanieren mehrere ältere Menschen. Ein Ehepaar wurde über die Medien auf die Lange Nacht aufmerksam. Sie nennen sich beide ungläubig, aber das prächtig ausgemalte Gotteshaus hat es ihnen an diesem Abend dennoch angetan: "Wenn man sich mal so einen Ort anguckt. Wie würde die Stadt aussehen, wenn da keine Kirchtürme wären? Mit der Einstellung gehen wir da ran. Wir gucken uns das an, wir freuen uns daran, so ist das schön."

Letzte Station in dieser Nacht, die Synagoge Rykestraße. Da sie zwischen Wohnhäusern steht, wagten es die Nazis nicht, das jüdische Gotteshaus in der Pogromnacht 1938 nieder zu brennen. Anders als bei der Neue Synagoge in der Oranienburger Straße fielen hier während des Zweiten Weltkriegs keine Bomben. Allerdings ließen die Mächtigen in der DDR die Synagoge verkommen. Nach der Wende wurde sie mit gesamtdeutschen Mitteln in ganzer Pracht wieder hergestellt. Ein religiöses, ein kulturelles Highlight im Bezirk Prenzlauer Berg. Im Innenhof raucht eine ältere Dame vor der nächsten Musikeinlage eine Zigarette. Zu später Stunde gibt es noch eine Einführung in die Synagogalmusik. Sie habe sich erst ab einem bestimmten Alter für Religionen interessiert, gesteht sie. "Mir bleibt dann mehr im Gedächtnis, wenn ich auch noch die Häuser dazu sehe."

Autor: Thomas Klatt, Berlin. Innenraum der Synagoge Rykestraße. Foto: Thomas Klatt
Innenraum der Synagoge RykestraßeBild: Thomas Klatt

Erstes Resümee

Am Tag darauf vermelden die Organisatoren mehr als 10.000 Besucher, ein enormer Zuwachs, vor allem auch, weil die beliebte Lange Nacht der Synagogen erstmals auch im Rahmen der Langen Nacht der Religionen stattfand. Ob es beim nächsten Mal endlich den von vielen gewünschten Bus-Shuttle geben wird, ist bei dem gestiegenen Andrang eine Überlegung wert. Aber dann müssten die beteiligten Religionsgemeinschaften vermutlich erstmals Eintritt erheben. Ob sich dann noch so viele Menschen für Religion interessieren würden, bleibt offen.