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Wenn aus Helfern Geiseln werden

Najima El Moussaoui6. September 2013

Am 111. Tag seiner Geiselhaft in Syrien schaffte es ein Helfer der Organisation Grünhelme zu entkommen. Die Risiken sind groß bei der Arbeit im Bürgerkriegsland. Vorbereitungsseminare sollen helfen, damit umzugehen.

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Ein Bild, das einem Video von syrischen Entführern entstammt. Im Vordergrund sieht man einen Mann namens Abdul Nasser al-Shumeir, der wie ein Offizier der Freien Syrischen Armee gekleidet ist. Im Hintergrund sitzt eine Gruppe entführter Iraner (Foto: dpa)
Syrische Entführer mit einer Gruppe von iranischen GeiselnBild: picture alliance / dpa

In Deutschland gibt es mehrere Organisationen und Firmen, die Mitarbeiter von Entwicklungshilfeorganisationen auf ihre Auslandseinsätze in Krisenregionen vorbereiten. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat beispielsweise im Jahr 2004 die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) eingerichtet.

Gefahr auf Probe

Karl Kähler ist dort Dozent und bringt Mitarbeitern des Welternährungsprogramms der UN und anderer Hilfsorganisationen bei, wie sie sich in Extremsituationen verhalten sollen.

Der Screenshot eines von angeblichen syrischen Rebellen am 07.03.2013 ins Internet gestellten Videos zeigt bewaffnete Kämpfer, die nach ihren Angaben vor UN-Fahrzeugen, darunter einem Wassertransporter auf den Golanhöhen posieren. Die Rebellen hatten am 06.03 21 philippinischen UN-Blauhelm-Soldaten an der Grenze zu Israel als Geiseln genommen (Foto: dpa)
Am 6. März 2013 entführten Syrer 21 UN-Blauhelmsoldaten auf den Golan-HöhenBild: picture-alliance/dpa

Die humanitären Helfer reisen in den Landkreis Ahrweiler im Westen Deutschlands und werden mit einem Bus auf ein Übungsgelände gebracht, das ein fiktives Krisengebiet darstellt: Mit Gebäuden mit Einschusslöchern und bewaffneten Personen. Dort verbringen sie mehrere Tage, erleben mehrere gefährliche Situationen: Zum Beispiel wird der Bus des Helfertrupps entführt, die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen finden sich plötzlich in Geiselhaft wieder. "In den Gesprächen hinterher berichten die 'Übungsgeiseln', sie hätten nach etwa einer halben Stunde nicht mehr gewusst, ob sie Kursteilnehmer oder Geiseln sind", so realistisch sei die Simulation, berichtet Kähler.

Wie wichtig Übungen für den Ernstfall sind, haben Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation Grünhelme am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Drei deutsche Mitarbeiter des Vereins, die in Syrien unter anderem ein Krankenhaus aufbauten, wurden am 15. Mai nachts aus ihrer Wohnung in dem Ort Harem an der Grenze zur Türkei entführt. Die Täter waren offenbar radikale Dschihadisten.

Entführungen von Ausländern nehmen zu

Im syrischen Chaos gibt es derzeit keine Macht, die für Sicherheit und Ordnung sorgen kann. Das Internationale Rote Kreuz beklagte im Juni dieses Jahres in einem Bericht, die Arbeit für Entwicklungshelfer sei in Syrien seit 2012 durch Geiselnahmen und Mordanschläge besonders gefährlich geworden. Auch das Auswärtige Amt, das für Syrien eine Reisewarnung verhängt hat, mahnt auf seiner Internetseite: "Entführungen auch von Ausländern nehmen zu".

Offizielle Zahlen zu den Geiselnahmen gibt es nicht, aber die Beispiele sind zahlreich: Allein in diesem Jahr wurden mehrere deutsche Entwicklungshelfer, ausländische Fotografen, syrische Kinder, christliche Geistliche und mehr als 20 UN-Blauhelmsoldaten entführt.

Um möglichst nicht in eine Situation zu kommen, in der Entführer zuschlagen könnten, beachtet Florian Sander, ein Mitarbeiter von Misereor, bei seinen Reisen in Krisengebiete einige Verhaltensregeln. Er mache keine Abendtermine, weil er im Dunkeln nicht mit dem Auto unterwegs sein wolle. Und er verlässt sich auf die Einschätzungen seiner einheimischen Kollegen: "Wir bewegen uns vor Ort zusammen mit Partnerorganisationen, weil die sich in den Regionen auskennen."

Dazu rät auch der AKNZ-Dozent Karl Kähler: "Jeder Helfer, der im Ausland ist, muss aufmerksamer sein als jemand, der vielleicht in seinem kleinen Dorf in der Eifel ist", fasst er die grundlegende Verhaltensregel zusammen. Der englische Fachbegriff lautet "situation awareness".

"Eine tote Geisel ist nichts wert"

Entführer und Entführerbanden haben unterschiedliche Motive: Es gibt Entführer, für die Geiseln ein lukratives Geschäft sind. Sie erpressen Lösegeld von den Angehörigen oder den Firmen, für die die Opfer tätig waren. Und es gibt Entführer mit politischen Motiven. Sie fordern im Tausch gegen Geiseln die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und ideologischen Brüder.

Sicher ist, dass solange die Verhandlungen laufen, Grund zur Hoffnung besteht. "Eine tote Geisel ist nichts wert. Das heißt, die Entführer werden es nicht darauf anlegen, die Menschen umzubringen", so beschreibt es Dozent Kähler.

Im Falle des 72-jährigen syrischstämmigen Grünhelme-Mitarbeiters Ziad Nouri ging es um Lösegeld. Seine Entführer hatten 25 Millionen Euro für seine Freilassung gefordert. An den monatelangen Verhandlungen nach der Geiselnahme war auch die Bundesregierung beteiligt.

Krisenstab verhandelt

Das Auswärtige Amt berief nach der Entführung der drei Grünhelme den Krisenstab ein. Das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts, kurz: Referat 040, schaltet sich unter anderem ein, wenn deutsche Staatsbürger Opfer von Entführern werden. Die Experten arbeiten 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche im Keller des Altbaus des Außenamts. Im Falle von Entführungen verhandeln sie mit den Geiselnehmern oder betreuen befreite Geiseln.

Eine Mitarbeiterin des Krisenstabs des Auswärtigen Amts bei der Arbeit (Foto: dpa)
Krisenstab im Auswärtigen AmtBild: picture-alliance/dpa

Im Fall des Grünhelme-Helfers ist kein Geld geflossen. Dem syrischstämmigen Ingenieur gelang die Flucht, als seine Bewacher schliefen. Seine beiden deutschen Kollegen konnten bereits Anfang Juli fliehen. Er habe Glück gehabt, sagt Kähler.