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Chinas strahlende Zukunft

Frank Sieren15. Februar 2014

Die Atomkraft soll im Reich der Mitte in den nächsten Jahren stark ausgebaut werden. Nur so kann es China gelingen, schnellstmöglich weniger dreckige Kohle zu verbrennen - meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Chinesischer Reaktor-Neubau erhält Kuppel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es gehört nicht viel dazu, sich das Kopfschütteln deutscher Atomkraftgegner vorzustellen, wenn sie den folgenden Satz lesen: "China will seine Atomkraft rasant ausbauen - und das ist eine gute Nachricht für China und die Welt." Man kann diese Haltung wahrscheinlich nur nachvollziehen, wenn man selbst dort lebt und die andere Perspektive versteht, mit der die Menschen ihre Umwelt betrachten. Der Smog in Peking etwa wird nicht nur wegen des Straßenverkehrs immer schlimmer. Ein Großteil der dreckigen Luft kommt von den Kohlekraftwerken der Nachbarprovinzen.

Alarmierende Luftverschmutzung

Mittlerweile gibt es entlang der gesamten Ostküste und auch im stark industrialisierten Süden kaum eine Gegend, in der die Luftverschmutzung nicht mindestens für ein paar Tage im Monat alarmierende Werte erreicht. Zwar investiert Peking schon in erneuerbare Energien. Sowohl beim Ausbau von Windenergie als auch beim Bau von Solaranlagen ist das Reich der Mitte längst Weltspitze. Doch der Energiebedarf der 1,3 Milliarden Chinesen ist groß: die Wirtschaft wächst weiter und neue Städte und Industrien müssen mit immer mehr Strom versorgt werden. Noch immer stammt deshalb mehr als 70 Prozent der produzierten Elektrizität aus Kohlekraft. China allein verbraucht pro Jahr inzwischen fast so viel Kohle wie der gesamte Rest der Welt. Und jährlich sterben inzwischen rund 1400 Menschen beim Abbau der Kohle. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Diejenigen, die mittelbar an Atemwegserkrankungen sterben, lassen sich nur schwer erfassen. Die gegenwärtige Lage ist also verheerend.

Die chinesische Regierung hat gewissermaßen die Wahl zwischen Pest und Cholera. Genauer zwischen den allgegenwärtigen Risiken der Kohle und den potentiellen Risiken der Atomkraft. Vor diesem Hintergrund ist es verständlicher, dass die chinesische Regierung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Sachen Atomenergie nur für kurze Zeit die Notbremse zog. Wie auch der Rest der Welt verhängte die Regierung einen Baustopp für Atomkraftwerke im Land, um nach möglichen Sicherheitslücken zu forschen. Damals war Salz in vielen Supermärkten ausverkauft, weil die Chinesen dachten, sie könnten sich mit dem erhofften Jod im Salz vor radioaktiver Strahlung schützen. Doch sowohl die einfachen Leute, als auch die Politiker erholten sich schnell von ihrem Schock. Sie erkannten: wenn sie nicht eines Tages am Smog ersticken wollen, führt an der Atomkraft erst einmal kein Weg vorbei.

Frank Sieren (Foto: DW/Frank Sieren)
Frank Sieren, DW-Korrespondent in PekingBild: Frank Sieren

Zukunft Atomenergie

Deshalb baut China ein Kernkraftwerk nach dem anderen. Derzeit befinden sich 27 Reaktoren im Bau. Bis 2020 soll die Zahl der Kraftwerke von derzeit 15 auf 71 steigen. Die Menge des Atomstroms soll von derzeit 13 Gigawatt bis zum Jahr 2040 auf 160 Gigawatt steigen. Zum Vergleich: die USA gewinnt derzeit rund 101 Gigawatt aus der Atomenergie. Damit würde China binnen einer Generation zur größten Atomstrom-Nation der Welt aufsteigen.

China geht damit genau den entgegengesetzten Weg Deutschlands. Das sollte kein Grund sein, mit dem Finger auf China zeigen. Nur, weil wir inzwischen unsere Entscheidung gefällt haben und aus der Atomenergie ausgestiegen sind, können wir nicht andere Nationen dafür verurteilen, dass sie an der Technik festhalten. Es handelt sich übrigens nicht um eine Fehleinschätzung starrköpfiger kommunistischer Diktatoren: England, Frankreich und zahlreiche osteuropäische Länder kommen zu dem gleichen Schluss wie China. Günstiger für China und die Welt wäre allerdings, wenn die Chinesen noch deutsche Atomkraftwerke kaufen könnten, die als die sichersten der Welt gelten. Nun sind die Chinesen auf sich selbst angewiesen, um die einst deutsche Kugelhaufentechnologie weiterzuentwickeln. Auch das bereitet vielen im Westen große Sorgen.

Kooperation mit Europa

Immerhin sind die Chinesen so klug, sich mit den erfahrensten Atomkraftwerksbauern in Europa zusammenzutun. Beim jüngsten Besuch des französischen Präsidenten Francois Hollande im vergangenen April wurde eine entsprechende Vereinbarung getroffen.

Im Übrigen wissen auch die chinesischen Behörden, wann sie genau hinschauen müssen und wann nicht. Pfusch am Bau ist in China gang und gäbe, wenn es aber um empfindliche Bereiche geht, passt man auch in China besser auf. In den letzten sechs Jahren, in denen es Berlin nicht mal gelungen ist, einen einzigen Flughafen fertig zu stellen, wurden in China gleich über 200 neue eröffnet. Der Luftverkehr hat seitdem stark zugenommen, ein größeres Unglück gab es trotzdem nicht. Maschinen chinesischer Airlines stürzen äußerst selten ab. Und selbst die Lufthansa lässt ihre Maschinen in China warten.

Über etwas anderes können sich die Deutschen allerdings schon Sorgen machen. Seitdem Deutschland nun keine der sicheren Kraftwerke mehr baut, stehen auch die Chinesen parat, die Nachfrage zu bedienen. Sie sind bereits jetzt am Bau neuer Kraftwerke in England und Bulgarien beteiligt. Weitere Aufträge in Europa werden sicher folgen. Doch selbst China hat nicht unendlich viele gute Atom-Ingenieure. Wenn also Pekings Topleute mit Bauaufträgen im eigenen Land beschäftigt sind, bleibt womöglich nur noch die zweite Garde, um die Aufträge im Ausland zu bedienen. In jedem Fall kann man also die Frage, ob Europa nach der deutschen Energiewende sicherer geworden ist, schon heute mit einem klaren Nein beantworten.