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Die Kunst im Plural

Sabine Oelze15. Februar 2014

Wandteppiche und Fotografien - dafür ist Gerhard Richter weniger bekannt. Dabei ist der Künstler ein wahres Allroundgenie. Das beweist eine Ausstellung in Düsseldorf, die sein Auflagenwerk zeigt.

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Wandteppich von Gerhard Richter (Foto: DW)
Bild: DW/S. Oelze

Gerhard Richter (82) ist der König Midas des Kunstbetriebs: Alles, was er anfasst, wird buchstäblich zu Gold. Auf Auktionen erzielen seine Werke Höchstpreise. In London wechselte gerade sein Gemälde "Wand" für 21,4 Millionen Euro den Besitzer. Die besten Museen der Welt stellen ihn aus. Wenngleich sein Werk hinlänglich bekannt ist, so gibt es immer noch neue Facetten zu entdecken. Viele Kunstinteressierte wissen nicht, dass Gerhard Richter seit fast fünfzig Jahren auch ein fotografisches und druckgrafisches Werk geschaffen hat. Seit 1965 arbeitet er unter anderen mit Verfahren wie Sieb, Tintenstrahl- oder Offsetdruck, um seine Editionen herzustellen. Anders als bei seinen Gemälden entstehen keine Unikate, sondern Bilder oder Objekte in kleinen Auflagen.

Demokratisierung der Kunst

Zwei Editionen: "Vorhang" und "Mirror" (Foto: DW)
"Vorhang" (2012) und "Mirror" (2008)Bild: DW/S. Oelze

Eine Auswahl dieser Editionen, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, zeigt die aktuelle Ausstellung "Die Kunst im Plural" in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Sie basiert auf dem Fundus des Sammlers Thomas Olbricht, der bis auf eine alle der insgesamt 160 Editionen besitzt. Der Sammler, der in Berlin den me-Collectors Room betreibt. In diesem Privatmuseum macht er seit 2010 seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich. Ein wichtiger Baustein sind die Editionen, denen er seit mehr als 20 Jahren hinterherjage, wie er erzählt. Für Olbricht ist der Kölner Künstler der "Picasso des 21. Jahrhunderts". Jeder Sammler, der ernst genommen werden wolle, brauche einen Richter in seinem Besitz, sagt er.

Die Originale werden inzwischen zu astronomischen Preisen gehandelt. Die Editionen dagegen sollen für jedermann erschwinglich sein. Die Edition "Fuji" hat Richter im Jahr 1996 eigens produziert, um die Städtische Galerie im Lenbachhaus in München beim Ankauf seiner Bildersammlung "Atlas" finanziell unter die Arme zu greifen. Glücklich, wer damals eine der 110 Editionen ergatterte. 6000 Euro waren für "Fuij" gut investiert. Sammler geben auf Auktionen heute mehr als 300.000 Euro dafür aus.

Thomas Olbricht (Foto: DW)
Glücklicher Sammler: Thomas Olbricht besitzt nahezu alle EditionenBild: DW/S. Oelze

Diese Preisexplosionen konterkarieren allerdings Richters Intention, den Zugang zur Kunst zu demokratisieren. 1998 schrieb der Künstler über das Produzieren von Editionen in einem Brief an das Museum of Modern Art (MoMa) in New York: "Es ist eine großartige Möglichkeit, meine Arbeit einer größeren Öffentlichkeit zu vermitteln."

Einer der vielseitigsten Künstler des 21. Jahrhunderts

Dass Gerhard Richter bei seinen sowohl abstrakten als auch figurativen Editionen mit allen Wassern der Bildbearbeitung gewaschen ist, zeigt das Beispiel "Betty", ein Offsetdruck aus dem Jahr 1991. "Betty" ist ein Anti-Porträt: Zu sehen ist Richters Tochter in geblümter, roter Kapuzenjacke, die ihren Kopf vom Betrachter abwendet. Laut einer Umfrage der Kunstzeitung "Frieze" zählt das Bild zu den fünf beliebtesten Motiven der Kunstgeschichte überhaupt. Der Offsetdruck, der den gleichen Titel wie das berühmte Gemälde trägt, basiert auf einer Fotografie, die auf ein Ölgemälde zurückgeht, welches wiederum auf einer Fotografie basiert.

Gerhard Richter "Betty" (Foto: DW)
"Betty" als OffsetdruckBild: DW/S. Oelze

Auch die vier Wandteppiche, die von weitem aussehen wie gigantische Gemälde, spielen mit einer optischen Täuschung. "Die Teppiche sind in der alten Art der Gobelins gewebt, die früher in den Schlössern hingen", sagt Olbricht. Allerdings hat Richter dafür modernste Druckprogramme verwendet. Als Vorlage dienten ihm Ausschnitte aus einem Ölbild, das er aufgeklappt und doppelt gespiegelt hat. So entsteht der Eindruck von Symmetrie. Diesen vier Teppichen hat Richter arabische Männervornamen gegeben: "Musa", "Yusuf", "Ibian", "Abdu". "So denkt man an Gebetsteppiche", sagt Olbricht.

Kunst über Kunst

Nicht zuletzt die Wahl der Titel habe dazu geführt, dass auch arabische Sammler ein Auge auf diese besondere Edition geworfen hätten: "Die Abstraktion, das Material, die Farbigkeit und die Namen spielen eine bedeutende Rolle. Das weckt auch Begehrlichkeiten bei arabischen Sammlern, denen sehr viel Geld zur Verfügung steht", sagt Olbricht, der bereits fürchtet, in Zukunft die Editionen nicht mehr bezahlen zu können. Hinzu kommt, dass Gerhard Richter die Auflageobjekte so variiert oder mit Farbe nachbearbeitet, dass aus ihnen wiederum Unikate werden, was ihren Wert in den Augen der Sammler erhöht.

Vier Wandteppiche (Foto: DW)
Anbetungswürdig: Die vier Wandteppiche haben arabische MännervornamenBild: DW/S. Oelze

Solche Art von "Kunst über Kunst" scheint zwar eine kopflastige Angelegenheit. Sie verrät aber viel über Richters souveränen Umgang mit einer medial bestens erfassten Welt. Er ist ein Methoden- und Motivspringer. Ohne jedoch dabei sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Die Suche nach einer möglichst wahrhaftigen Darstellung der Welt - mit den Augen des Künstlers.