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Töten für den Naturschutz

Brigitte Osterath23. Mai 2014

Putzig sind sie beide, aber eine Art muss dennoch sterben. Schottische Naturschützer erschießen Grauhörnchen, um rote Eichhörnchen zu bewahren. Jetzt bekommen die Roten unerwartete Hilfe: von einem Marder.

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Amerikanisches Eichhörnchen (Foto: Picture alliance).
Das amerikanische Grauhörnchen: auf den britischen Inseln eine PlageBild: picture alliance / Hinrich Bäsemann

Laura McPherson hat noch nie in ihrem Leben ein echtes rotes Eichhörnchen gesehen, sagt sie, "vielleicht auf der Insel Skye, als ich klein war - aber ich kann mich nicht mehr erinnern."

Laura betreibt ein Bed & Breakfast in Stirling, im Südosten Schottlands. Anstelle von roten Eichhörnchen bevölkern nicht-einheimische Grauhörnchen ihren Garten. "Sie können ganz schön lästig sein", sagt Laura. "Sie beißen sich durch harte Plastikbehälter, sie durchwühlen den Mülleimer, sie machen viel kaputt."

Aber was viel schlimmer ist: Amerikanische Grauhörnchen haben die roten einheimischen Eichhörnchen an den Rande des Aussterbens gebracht. Die Grauen bekommen mehr Nachwuchs, sie sind größer, fressen mehr - und stehlen sogar das Futter, das die Roten regelmäßig für den kalten Winter zurücklegen.

Naturschützer der Organisation "Red Squirrels in South Scotland" schätzen, dass es im Vereinigten Königreich nur noch etwa 160.000 rote Eichhörnchen gibt, aber etwa drei Millionen Grauhörnchen.

Rotes Eichhörnchen (Foto: Florian Moellers).
Rote Eichhörnchen sind in England und Schottland selten gewordenBild: Florian Möllers

Erschießen ist die einzige Option

Erzählungen zufolge soll der Banker Thomas Brocklehurst im 19. Jahrhundert die ersten Grauhörnchen von den Vereinigten Staaten nach England eingeführt haben. Man sagt, die silbrigfarbenen Nager sollten seinen Garten verschönern. "Ich wünschte, wir hätten eine Zeitmaschine", sagt Naturschützer Ken Neil heute. "Dann könnte ich in die Vergangenheit reisen und sagen: 'Mr. Brocklehurst, das ist keine gute Idee!'" Ken Neil arbeitet für das Projekt Saving Scotland's Red Squirrels, das von der schottischen Regierung finanziert wird.

Drei Viertel aller roten Eichhörnchen, die es noch im Vereinigten Königreich gibt, kommen in Schottland vor. Naturschützer wie Neil haben es sich zum Ziel gemacht, Schottland von Grauhörnchen zu befreien - sodass die roten Eichhörnchen den Lebensraum wieder bevölkern können, aus dem die Grauen sie verdrängt haben. Sie stellen Lebendfallen in Schottlands Wäldern und auf Grundstücken aus. Wenn sie ein rotes Eichhörnchen fangen, lassen sie es wieder frei - die Grauen aber müssen sterben.

"Es gibt keine andere Option", sagt Neil. "Sie können nirgendwo anders hin. Schließlich können wir sie nicht nach Amerika zurückschiffen." Daher lehrt die Organisation ihre Mitarbeiter darin, die Grauen mit einem Schuss - kurz und schmerzlos - zu erschießen.

Eichhörnchen im Winter (Foto: Kay Nietfeld/dpa).
Achtung, Diebe! Rote Eichhörnchen haben es schwer im Winter, wenn Grauhörnchen ihnen das Futter stehlen.Bild: picture-alliance/dpa

"Menschen müssen es wieder in Ordnung bringen"

Auch wenn Neil es nicht zugeben will: Ich habe den Eindruck, ihm tun die unschuldigen Kreaturen schon etwas leid. Er möchte Grauhörnchen nicht verteufeln, sagt er, "aber es ist nun mal so: Menschen haben das Problem erschaffen, Menschen müssen es wieder in Ordnung bringen." Und der einzige Weg sei nun mal, die Grauen zu töten - "so einfach ist das."

Die Frage, ob die roten Eichhörnchen den Aufwand wert seien, stellt sich für Neil gar nicht: "Wir müssen unsere einheimischen Arten schützen, denn sie machen die Artenvielfalt eines Landes so besonders und einzigartig."

Virengefahr

Jeden Frühling sammelt Neil in Schottlands Wäldern Haarproben von Eichhörnchen. Er will herausfinden, welche Arten von Eichhörnchen wo leben. Dafür bringt er ein doppelseitiges Klebeband am Eingang der Futterboxen an, die die Organisation an bestimmten Stellen anbringt. Die Futterboxen sind mit Erdnüssen gefüllt. Wenn ein Eichhörnchen hineinklettert, bleiben Haare an dem Klebeband hängen. Abhängig davon wie die haarigen Ergebnisse ausfallen, entscheidet Neil, wo er in der kommenden Saison seine Fallen aufstellt.

Ken Neil an der Futterbox (Foto: DW/B. Osterath)
Ken Neil füllt Erdnüsse in eine FutterboxBild: DW/B. Osterath

Dem aktuellen Bericht der Organisation zufolge sind im Jahr 2013 weniger Grauhörnchen gesichtet worden als noch im Jahr 2011. Gleichzeitig kommen rote Eichhörnchen jetzt auch wieder in Gegenden vor, wo sie schon verschwunden waren. "Unsere Strategie scheint Erfolg zu haben", sagt Neil.

Allerdings könnte sich die Situation dramatisch verschlechtern, nämlich dann, wenn das Eichhörnchen-Pockenvirus Schottland erreichen sollte. Grauhörnchen tragen diesen Virus in sich, aber er schadet ihnen nicht. Für rote Eichhörnchen ist es tödlich. Bis jetzt hat das Virus die Grenze zwischen England und Schottland nicht überschritten. "Aber wir wollen nicht selbstzufrieden sein", sagt Neil. "Daher testen wir regelmäßig im Blut der Eichhörnchen nach dem Pockenvirus - zur Sicherheit."

Futterbox (Foto: DW/B. Osterath).
Das Klebeband sammelt EichhörnchenhaareBild: DW/B. Osterath

Die Grauen schmecken besser

Menschen sind nicht die Einzigen, die Grauhörnchen jagen: Für Baummarder sind sie ein gefundenes Fressen. Diese wieselartigen Fleischfresser waren einst weit verbreitet auf den britischen Inseln, aber sind in vielen Teilen inzwischen ausgestorben. In Schottland und Irland erholt sich die Population inzwischen wieder.

Schon lange haben Naturschützer spekuliert, dass Baummarder einen Einfluss darauf haben, wie viele rote und graue Eichhörnchen in einem Gebiet leben. Die Fleischfresser fressen zwar auch rote Eichhörnchen, aber die größeren Grauhörnchen mögen sie lieber.

Baummarder (Foto: Ronald Wittek).
Baummarder haben Grauhörnchen zum Fressen gernBild: picture-alliance/dpa

Emma Sheehy and Colin Lawton von der National University of Ireland in Galway bestätigen jetzt diese Theorie. Wie sie herausgefunden haben, vermehren sich rote Eichhörnchen in den Teilen Irlands gut, in denen auch Baummarder häufig vorkommen. Grauhörnchen hingegen sind dort selten.

"Das Vorkommen europäischer Baummarder ist ein kritischer Faktor darin, ob das amerikanische Grauhörnchen als invasive Art erfolgreich ist oder nicht", schreiben Sheehy und Lawton im Fachmagazin "Biodiversity and Conservation".

Die graue Gefahr

In Deutschland gibt es bisher keine Grauhörnchen, wohl aber in Norditalien. Naturschützer fürchten, die Grauen könnten demnächst in die Schweiz und nach Frankreich einwandern. Das Bundesamt für Naturschutz führt daher Grauhörnchen bereits auf seiner Vorwarnliste. Wenn es einmal so weit kommt, bleibt den Naturschützer in Deutschland auch nur der Griff zur Jagdwaffe - jedenfalls wenn die roten Eichhörnchen bleiben sollen.

B&B-Betreiberin Laura McPherson sagt, sie stehe voll hinter der Arbeit der Naturschützer wie Ken Neil - aber sie selbst möchte keine Grauhörnchen töten. Denn auch wenn sie nach nicht Schottland gehören, "sind sie sehr süß", sagt sie. "Vor allem meine australischen Gäste mögen sie sehr, denn in Australien gibt es überhaupt keine Eichhörnchen, weder rote noch graue." Aber ein putziges Aussehen reicht nicht immer aus, um ein willkommener Gast zu sein.