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Kind oder Karriere?

Kay-Alexander Scholz7. Juli 2015

Die meisten Eltern in Deutschland denken noch in alten Leitbildern: Der Mann arbeitet, die Frau betreut die Kinder. Nur der Osten tickt anders, wie eine neue Allensbach-Studie zeigt.

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Familie mit Mutter, Vater und Kind (Foto: Fotolia/Werner Heiber)
Bild: Fotolia/Werner Heiber

Warum nur kriegen die Deutschen so wenige Kinder - in einem Land, dem es wirtschaftlich so gut geht ? Darüber zerbrechen sich Politiker seit Jahren den Kopf und versuchen mit einer Vielzahl von Maßnahmen gegenszusteuern: Eltern erhalten zum Beispiel Geld vom Staat für jedes Kind und Kindertagesstätten werden ausgebaut. Dennoch gehen die Geburtenraten zurück. Was bleibt, sind erschreckende Statistiken. Diese besagen, dass die Deutschen älter und älter werden. Das hat Folgen, die Politiker fürchten.

Es gibt weniger Arbeitskräfte für die Wirtschaft und höhere Kosten für die Sozialsysteme. "Wir machen es uns zu kompliziert", sagte Renate Köcher vom Institut für Demoskopie in Allensbach bei der Vorstellung einer neuen familienpolitischen Studie in Berlin. "Es gibt noch immer ein Schwarz-Weiß-Denken: Kind oder Karriere". Das Ergebnis dieses Denkens ist, dass es jede Menge kinderlose Frauen gibt. Andere Länder würden mit dem Kinder-Kriegen unkomplizierter umgehen. Beweise finden sich zum Beispiel in Frankreich.

Das Dilemma vieler Frauen in Deutschland bringt die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) auf den Punkt: "Egal, wie man es macht, man macht es immer verkehrt. Versäumt man ein Meeting im Büro, weil man zur Theateraufführung der Tochter will, hat man ein schlechtes Gewissen - und umgekehrt."

Wie kann man das ändern? Das Familienministerium hat zusammen mit dem Institut von Professorin Köcher in Allensbach eine Studie in Auftrag gegeben. Untersucht wurden unter anderen diese Fragen: "Wie teilen sich junge Eltern Familie und Beruf auf ?" - und "Wie läuft diese Entscheidungsfindung?"

Große Unterschiede in Ost- und Westdeutschland

Die repräsentative Befragung von 3000 Paaren mit Kindern unter sechs Jahren ergab, dass 87 Prozent der Väter und Mütter sich vor der Geburt des ersten Kindes über die zukünftige Arbeitsteilung rasch einig wurden. Doch der schnelle Frieden am Küchentisch hat Folgen. Vor allem im Westen der Republik sehe es so aus, dass "Mütter in die Teilzeitfalle und Väter in die Vollzeitfalle tappen", so die Ministerin.

Im Osten wirke dagegen ein anderes Leitbild, erklärt die Sozialforscherin Renate Köcher. In Ostdeutschland strebt eine Mehrheit die Berufstätigkeit beider Elternteile an und lebt dieses Modell auch. Eltern im Osten würden so denken wie Eltern in Frankreich oder Schweden, erklärte Köcher. Doch auch im Westen sei einiges in Bewegung gekommen, seitdem Deutschland - Ost und West - nach dem Mauerfall wiedervereinigt sind.

Viele Mütter stecken beruflich zurück

"Das Bild von der Rabenmutter muss weg", forderte SPD-Ministerin Schwesig, die selbst in Ostdeutschland (in der DDR) aufgewachsen ist. Es müsse Schluss damit sein, dass Müttern von konservativen Politikern ein schlechtes Gewissen eingeredet werde, wenn sie sich nicht Vollzeit um den Nachwuchs kümmerten.

Familienminister Schwesig: "Mit dem Bild der Rabenmutter muss Schluss sein!" (Foto: dpa)
Familienministerin Schwesig: "Mit dem Bild der Rabenmutter muss Schluss sein!"Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Zu beachten sei, betonte Renate Köcher vom Institut Allensbach, dass es diesen Ost-West-Unterschied im Denken der Eltern vor der Geburt ihres Kindes so nicht gebe. Die Interviews zeigten, dass noch zum Zeitpunkt vor der Geburt in beiden Teilen Deutschlands mehr als 90 Prozent aller Eltern berufliche Selbstverwirklichung als persönlich sehr bedeutsam einstufen. Doch dann steckten die Frauen zurück - vor allem im Westen. Eine Vollzeitbeschäftigung ist dann eher die Ausnahme. 17 Prozent der Frauen steigen sogar ganz aus dem Berufsleben aus. Jede Zweite aber möchte eigentlich zurück in den Beruf, wird in diesem Wunsch aber vom Vater nur selten unterstützt. "Es bleibt ein unterschwelliges Gefühl, dass es eigentlich anders gehen müsste", fasste Köcher zusammen.

Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Neben Leitbildern in den Köpfen der Eltern spiele Geld eine wichtige Rolle, sagt die Sozialforscherin Köcher weiter. Es gebe nun einmal in Deutschland einen beträchtlichen Steuervorteil, wenn der eine Partner weit weniger verdient als der andere. Im Steuerrecht nennt sich das juristisch "Ehegattensplitting". Der entscheidende Faktor für junge Familien sei noch immer die häufig fehlende Kinderbetreuung. Die Frage ist für viele Eltern: Gibt es einen Platz im Kindergarten oder nicht? Im Westen seien da noch immer Lücken, muss Familienministerin Manuela Schwesig zugeben.

Insgesamt entnehme sie der Studie, dass es eine große Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit gebe. Denn danach gefragt, was sich junge Familien von der Familienpolitik wünschten, antworteten 69 Prozent beider Elternteile, dass sie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wollen. 62 Prozent würden gern Vollzeit arbeiten.

Schwesig und Köcher appellierten an die jungen Familien, die langfristigen Folgen ihrer Arbeitsteilung zu bedenken. Frauen, die nur Teilzeit arbeiten, bekommen dann naturgemäß auch eine niedrigere Rente. In der gesamten Gesellschaft bleibe so das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern in Höhe von 22 Prozent bestehen.