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Der Frauen kurze Kleider

Najima El Moussaoui 7. Juli 2015

Ein Rock wird zum Politikum: In Marokko müssen zwei junge Frauen fürchten, wegen zu kurzer Kleidung bis zu zwei Jahre ins Gefängnis zu müssen. Was in Marokko der Rock, ist in Deutschland manchmal die Hotpants.

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Frauen protestieren gegen die Anklage zweier Frauen mit enger Kleidung (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Senna

Eine Studentin und eine Friseurin schlendern über einen Markt in der Nähe der marokkanischen Küstenstadt Agadir. Nichts Besonderes soweit. Besonders an ihnen ist - das finden zumindest zwei junge Männer -, dass sie kurze, körperbetonte Kleider tragen.

Die Männer sprechen die Frauen auf ihre "unanständige" Kleidung an. Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung, berichtet ein Vertreter der Nationalen Sicherheitsbehörde. Auch andere Passanten hätten sich von dem Auftreten der beiden Frauen provoziert gefühlt, heißt es. Kurz darauf schaltet sich die Polizei ein und nimmt die beiden Frauen fest.

"Grobe Unanständigkeit"

Das war am 16. Juni, zwei Tage vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan - vielleicht ein Mitgrund dafür, dass die beiden Frauen, 19 und 23 Jahre alt, sich nun wegen ihrer Kleidung vor Gericht verantworten müssen.

In der Anklageschrift heißt es, die Kleider seien "zu eng" und deshalb als "grobe Unanständigkeit" zu werten. Laut Strafgesetzbuch des konservativen muslimischen Königreichs kommen für "obszöne Handlungen in der Öffentlichkeit" Haftstrafen zwischen einem Monat und zwei Jahren infrage.

Demonstrationen gegen Justiz

Zum Prozessauftakt am Montag gingen hunderte Marokkaner - Männer wie Frauen - in der Hauptstadt Rabat auf die Straße. Sie empörten sich über die marokkanische Justiz. Auch in den nächsten Tagen sind in Agadir und Casablanca Protestkundgebungen geplant.

Ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "Liebe ist kein Verbrechen" hoch (Foto: EPA)
Am ersten Prozesstag: Demonstrationen in RabatBild: picture-alliance/dpa/A. Senna

Per Verfassung sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Das nordafrikanische Land rühmt sich gerne seiner - nicht nur geografischen - Nähe zum Westen.

Doch Sexualität ist auch in Marokko ein Tabu. Und es beginnt schon bei nackter Haut. Über Themen wie Homosexualität, Sex vor der Ehe und Abtreibung wird in der Öffentlichkeit geschwiegen.

Ein Tabuthema wird öffentlich

Bis jetzt. Und es sind nicht nur Frauen- und Menschenrechtsaktivisten, die sich äußern. Hunderte Menschen empören sich auf den Straßen Marokkos und machen das Tabuthema in sozialen Netzwerken öffentlich.

"Ein Kleid zu tragen ist keine Straftat" - "#mettre_une_robe_nest_pas_un_crime" - ist das Motto des Aufruhrs bei Twitter. Einer Online-Petition unter demselben Titel haben sich tausende Marokkaner angeschlossen. In sozialen Netzwerken veröffentlichen Marokkanerinnen Fotos von sich in kurzen Röcken.

500 Verteidiger für zwei Frauen

Das Ausmaß der Minirock-Debatte zeigt sich auch daran, dass fast 500 Anwältinnen und Anwälte die beiden Frauen verteidigen wollen. Einer der Anwälte, so berichtet es die marokkanische Feministin Fouzia Assouli von der Frauenrechtsorganisation LDDF, soll während der Anhörung gesagt haben, dieser Prozess sei "eine Chance für unser Land, die Gesetze den Verpflichtungen gegenüber den individuellen Freiheiten anzupassen."

Deutschland: #Hotpantsverbot

Knappe Frauenkleidung hat allerdings nicht nur in muslimischen Ländern das Potential, Gemüter zu erregen, sondern auch im freiheitlich-demokratischen Deutschland. Seit eine Realschule im baden-württembergischen Horb ihren Schülerinnen per Elternbrief das Tragen von Hotpants verboten hat, geht es in sozialen Netzwerken heiß her. Unter anderem meldete sich die Netzfeministin Anne Wizorek, die 2013 bei Twitter mit dem Hashtag "#Aufschrei" eine bundesweite Debatte über Sexismus ausgelöst hatte.

Auch die Feministin Teresa Bücker, Chefredakteurin des digitalen Frauenmagazins Edition F, ärgert sich im Gespräch mit der DW: "Ich habe gedacht, wir seien seit der Aufschrei-Debatte weiter gekommen. Mädchen ziehen sich kurze Kleidung an, weil es heiß ist und weil sie ihre Kleidung selbst aussuchen möchten." Seit Jahrzehnten, so Bücker, werde in Deutschland gefordert, dass Frauen sich selbstbestimmt anziehen können sollen.

Großes T-Shirt für die Moral

Das sieht die Lehrerschaft der Realschule in Baden-Württemberg anders: "Wer zu aufreizend gekleidet ist (zum Beispiel bauchfreies Shirt, Hotpants...), der bekommt von der Schule ein großes T-Shirt gestellt, das er/sie sich bis zum Schultagsende anziehen muss", heißt es in dem Brief an die Eltern. Das sei keine Maßnahme gegen die Individualität der Schülerinnen und Schüler, sondern eine für die "gesellschaftlichen und sozialen Werte", so die Schulleiterin Bianca Brissaud in dem Brief.

Auch andere Schulen in Deutschland haben ihren Schülerinnen und Schülern einen Dresscode vorgeschrieben: Bauchfreie Tops und Hotpants sind beispielsweise auch am Würzburger Deutschhaus-Gymnasium verboten.