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"Soldatenmutter" Poljakowa

Roman Goncharenko17. Juli 2015

Ella Poljakowa kämpft mit den "Soldatenmüttern von Sankt Petersburg" für Rekrutenrechte in der russischen Armee. Die Organisation ist den Behörden ein Dorn im Auge. Nun bekommt sie den Hessischen Friedenspreis.

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St. Petersburg Ella Polyakovak Soldatenmütter von St. Petersburg 26.01.2015 (Foto:DW/Vladimir Izotov)
Bild: DW/Vladimir Izotov

Zum zweiten Mal seit seiner Gründung vor mehr als 20 Jahren geht der Hessische Friedenspreis nach Russland. An diesem Freitag bekommt in Wiesbaden Ella Poljakowa die von der Albert-Osswald-Stiftung vergebene Auszeichnung. Die Vorsitzende der "Soldatenmütter von Sankt Petersburg" habe aus "Sorge um die schlechte Behandlung junger Männer in den russischen Streitkräften" politisches Engagement für Frieden und Demokratie entwickelt, heißt es in der Begründung. Als erster Russe erhielt 1998 Alexander Lebed den mit 25.000 Euro dotierten Preis. Der Armeegeneral wurde für seine Rolle bei der Beendigung des ersten Tschetschenien-Krieges ausgezeichnet.

St. Petersburg Gerichtssaal Soldatenmütter von St. Petersburg 26.01.2015 (Foto:DW/Vladimir Izotov)
Im Gerichtssaal von St. Petersburg - eine Klage der "Soldatenmütter" wird erörtertBild: DW/Vladimir Izotov

Die 74-jährige Poljakowa leitet seit 1993 die Nichtregierungsorganisation (NGO) "Soldatenmütter von Sankt Petersburg" in Russlands zweitgrößter Stadt. Einfach war diese Arbeit nie. Immer wieder versuchten die Machthaber, Druck auf die kritische NGO auszuüben. Der Militärkommandant von Sankt Petersburg warf der Organisation 2012 "einen massiven und gut organisierten psychologischen" Einsatz gegen die Armee vor. Die "Soldatenmütter von Sankt Petersburg" wurden daraufhin mehrmals von diversen Behörden überprüft und müssen heute unter besonders schwierigen Bedingungen arbeiten. Gleichzeitig erhielt die NGO jedoch bis ins Jahr 2014 finanzielle Unterstützung aus dem Präsidialamt - ganz eindeutig war der Umgang der Behörden mit den "Soldatenmüttern" also nicht.

Auf der "Agenten-Liste"

Im August 2014 schließlich setzte das russische Justizministerium die "Soldatenmütter" auf die Liste sogenannter "ausländischer Agenten". So müssen sich in Russland seit 2012 alle Nichtregierungsorganisationen nennen, die Geld aus dem Ausland erhalten und sich politisch engagieren. Die meisten russischen NGOs sehen darin eine Diffamierung. Der Begriff ist seit Sowjetzeiten negativ besetzt und bedeutet so viel wie "ausländischer Spion". Deshalb weigerten sich die meisten NGOs, sich selbst so zu bezeichnen und verzichteten auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland.

Russische Soldaten - Foto: Alexander Demianchuk
Russische Soldaten: "Sorge um die schlechte Behandlung junger Männer in den russischen Streitkräften"Bild: Reuters

Auch die "Soldatenmütter" nehmen nach eigenen Angaben kein ausländisches Geld mehr an und sind allein auf russische Spenden angewiesen. Sie fordern deshalb, sie aus der "Agenten-Liste" zu streichen. Doch das russische Justizministerium weigert sich. Seit Januar klagt Poljakowas Organisation vor Gericht, doch Sitzungen werden immer wieder verschoben. Die NGO schließt inzwischen eine Selbstauflösung nicht aus, um nicht als "ausländischer Agent" gebrandmarkt zu sein. Außerdem gelten für die NGOs auf der "Agenten-Liste" besonders strenge Auflagen. Wer sich daran nicht hält, dem drohen hohe Strafen und die Schließung.

Hilfe bei Misshandlung und Korruption

Noch arbeiten die "Soldatenmütter" wie immer. "Wir haben elf feste Mitarbeiter", sagte Poljakowa der DW. Außerdem gebe es viele Freiwillige. Wenn sich Menschen an die "Soldatenmütter" wenden, gehe es meistens um den Wehrdienst. Oft werde gefragt, wie man als Student die Einberufung verschieben könne, sagt Poljakowa. Manche Eltern seien besorgt und wollten wissen, wie sie ihrem in der Armee misshandelten Sohn helfen können. Diese und ähnliche Fragen werden auf Seminaren im Büro der "Soldatenmütter" behandelt.

Diejenigen, die hierher kommen, wollen anonym bleiben. Eine Frau, die sich Natalia nennt, erzählt von ihrem Asthma-kranken Sohn. Eine medizinische Einberufungskommission habe ihn trotzdem als wehrtüchtig eingestellt. "In einem Krankenhaus hat man uns offen gegen Geld ein Zeugnis angeboten, um meinen Sohn vom Wehrdienst zu befreien", sagt die Frau. Sie habe sich entschieden, das Schmiergeld nicht zu zahlen und sei stattdessen zu Ella Poljakowa und ihren "Soldatenmüttern" gegangen.

Aktion Kontrollspaziergang der Opposition in St. Petersburg (Foto:DW/Vladimir Izotov)
Ella Poljakowa bei einer Aktion der Opposition in St. PetersburgBild: DW

Sensibles Thema: russische Soldaten in der Ukraine?

Seit rund Jahr einem gibt es ein neues Thema, mit dem die Organisation konfrontiert wird: den Krieg in der Ostukraine. Anfang Juli berichteten russische Medien über mehrere fahnenflüchtige Soldaten an der Grenze zu Ukraine. Sie sollen Angst gehabt haben, als Kämpfer auf der Seite der prorussischen Separatisten in die Ostukraine geschickt zu werden. Das russische Verteidigungsministerium dementierte diese Darstellung genauso wie jegliche militärische Einmischung in der Ukraine. Die Ukraine und der Westen werfen Russland vor, mit Kriegsgerät und Soldaten Separatisten zu unterstützen.

Die "Soldatenmütter von Sankt Petersburg" bekamen nach eigenen Angaben vor allem im vergangenen Jahr Anrufe von Eltern, die sich Sorgen um eine mögliche Abkommandierung ihrer Söhne in die Ostukraine machten. Diese Anrufe seien anonym gewesen und man habe sie nicht überprüfen können, teilte die NGO in einer Erklärung im Januar mit.

Offenbar aus Angst vor Schließung gehen die "Soldatenmütter" mit diesem Thema besonders sensibel um. Auf der Webseite der Organisation ist dem Krieg in der benachbarten Ukraine keine eigene Rubrik gewidmet. Und Poljakowa und ihre Mitarbeiter halten sich bei öffentlichen Auftritten auffällig zurück, wenn es um die Ukraine geht.