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Wunder oder Irrsinn?

28. Juli 2015

Griechenland verhandelt mit seinen internationalen Gläubigern über ein drittes Hilfsprogramm. DW-Redakteur Christoph Hasselbach zweifelt am Sinn der Gespräche, aber staunt, dass sie überhaupt stattfinden.

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Alexis Tsipras Foto: Reuters/C. Hartmann
Bild: Reuters/C. Hartmann

Die Zeit drängt, heißt es. Bis Ende August muss Griechenland gut drei Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank zurückzahlen, im September weitere 1,5 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds. Deshalb müssten die Verhandlungen vorher abgeschlossen sein.

So ähnlich haben wir es schon öfter gehört. Auch beim turbulenten EU-Gipfel Ende Juni ging es um Kredite für Griechenland, um andere Kredite zurückzuzahlen. Mit anderen Worten, das Land soll sich, um Schulden zu bedienen, noch weiter verschulden.

Dieses System wird früher oder später zusammenbrechen. Das heißt, die Gläubiger werden um einen teilweisen Forderungsverzicht nicht herumkommen.

Erdrückende Last

Griechenland hat nach zwei Hilfsprogrammen mehr als 300 Milliarden Euro Verbindlichkeiten. Das sind nach jüngsten Angaben von Eurostat rund 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit nimmt Athen eine traurige Spitzenposition in der EU ein.

Den wachsenden Schulden steht eine schrumpfende Wirtschaftskraft gegenüber. Die griechische Wirtschaft soll erst 2017 wieder wachsen. Der IWF glaubt, ohne einen weiteren Schuldenschnitt werde Griechenland selbst unter günstigsten Umständen von seinen Schulden stranguliert - was die Links-Rechts-Regierung in Athen genauso sieht.

Die EU weist darauf hin, dass Griechenland beim Großteil seiner Kredite erst von 2023 an mit den Zins- und Rückzahlungen beginnen muss. Doch festzuhalten bleibt: Die Last ist erdrückend, und das bei einer stark alternden Bevölkerung, deren beste Köpfe das Land verlassen.

Christoph Hasselbach Foto: DW/M.Müller
DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Zeichen und Wunder

Es grenzt an ein politisches Wunder, dass die Verhandlungen jetzt überhaupt stattfinden. Das gilt einmal für Griechenland selbst. Die Regierung Tsipras hat bis vor kurzem nicht nur die Gläubigerforderungen brüsk zurückgewiesen, sondern auch das Volk dazu befragt, nicht ohne ihm ein Nein nahezulegen - was dann ja auch wunschgemäß mit über 60 Prozent Ablehnung geschah.

Der zweite Teil des politischen Wunders ist in den anderen Euro-Ländern zu bestaunen. Tsipras und seine Leute haben diese Länder, allen voran Deutschland, als Erpresser beschimpft; der inzwischen zurückgetretene Finanzminister Gianis Varoufakis hat seine Amtskollegen sogar als Terroristen bezeichnet.

Es sind diese Länder, die jetzt erneut zahlen sollen - und offenbar, so das Wunder, auch dazu bereit sind. Ob alle Parlamente am Ende mitspielen, steht auf einem anderen Blatt. Aber dass zum Beispiel das notorisch kritische finnische Parlament der Aufnahme der Verhandlungen zugestimmt hat, gehört mit zur erstaunlichen Großzügigkeit der nervlich strapazierten Euroländer.

Zerstörtes Vertrauen

Auf wichtige Gegenleistungen warten sie allerdings immer noch. Nach allem, was die Tsipras-Regierung an Hinhalten, leeren Versprechungen und Tricksereien geliefert hat, wäre es eine Überraschung, wenn sie diesmal mit den nötigen Strukturreformen wirklich Ernst machte. Und auch dann stünde das Problem der Schuldentragfähigkeit noch im Raum.

Grundlage der laufenden Verhandlungen ist auf griechischer Seite, dass Athen letztlich keine andere Wahl hat. Und die europäischen Partner haben am Ende politisch entschieden. Ihr Kalkül: Ein Bruch der Eurozone hätte wirtschaftlich und politisch so unabsehbare Folgen, dass es besser ist, es mit dem schwierigen Partner noch einmal zu versuchen. Doch auf dem gemeinsamen Weg ist viel Vertrauen zerstört worden. Europapolitiker haben inflationär von einer letzten Chance gesprochen. Aber irgendwann ist die letzte Chance wirklich verspielt.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik