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So hungert die Welt

Helle Jeppesen12. Oktober 2015

Kriege sind heute anders als früher, doch immer noch folgen auf bewaffnete Konflikte wie Bürgerkriege und Bandenherrschaft Hunger und Flucht, so der neue Welthungerindex 2015.

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Infografik Welthunger-Index 2015 nach Schweregrad DEU

Die EU-Kommission bekommt sie jedes Jahr aktuell, ebenfalls die Bundesregierung und selbstverständlich hängt sie groß und an prominenter Steller im Eingangsbereich der Welthungerhilfe in Bonn: Die aktuelle Weltkarte über den globalen Hunger. Auf internationalen und regionalen Konferenzen gehört sie regelmäßig zur Powerpoint-Präsentation, auch viele NGOs nutzen die Karte, um die globale Hungersituation im Auge zu behalten.

Die Weltkarte über den globalen Hunger ist das Kernstück des jährlichen Welthungerindex, der seit nunmehr zehn Jahren von der deutschen Welthungerhilfe, dem Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik, IFPRI und dem irischen Hilfsorganisation Concern Worldwide veröffentlicht wird.

Schwerpunkt des diesjährigen Berichts sind ausgerechnet die grauen Flecken, die in der Kartensprache des Welthungerindex "keine Angaben" markieren. Fast alle Herkunftsländer der Millionen Menschen, die aktuell vor Kriegen und Konflikten auf der Flucht sind, sind grau eingefärbt, weil es aus Ländern wie Syrien oder Libyen keine verlässlichen Daten gibt. Man könne jedoch davon ausgehen, dass die Ernährungssituation als sehr ernst bis gravierend zu bezeichnen wäre, meint Andrea Sonntag, Referentin für Ernährungspolitik bei der Welthungerhilfe. Das gelte zum Beispiel auch für Länder wie der Demokratischen Republik Kongo, für Sudan/Süd-Sudan oder für Somalia. Dabei rede man heute meist nicht von Kriegen im klassischen Sinne:

Äthiopien Flüchtlinge aus Südsudan
Ein Kind im Flüchtlingslager Bentiu im Süd-Sudan. Sudan gehört zu den grauen Flecken der neuen Welthungerkarte.Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Abbott

"Neben nationalen Armeen haben wir Rebellen, paramilitärische Verbände, kriminelle Banden. Diese Kriege fordern zwar insgesamt weniger Opfer als die sogenannten alten Kriege, verwischen jedoch die Grenzen zwischen militärischen und zivilen Akteuren", so Andrea Sonntag. "Die Regierungen haben häufig die Kontrolle über große Teile ihres Staatsgebiets verloren, und sie können dort auch die Ernährungssicherheit nicht mehr gewährleisten."

Extremer Hunger zurückgegangen

Im aktuellen Index werden nicht nur die Auswirkungen von Konflikten auf die weltweite Ernährungssituation analysiert, sondern auch die Entwicklung zwischen dem Jahr 2000 und 2015. Die zugrundeliegenden Zahlen stammen aus Statistiken mehrerer UN-Organisationen, allen voran der Welternährungsorganisation FAO. Das Ergebnis des Vergleichs sei durchaus positiv:

"In den letzten fünfzehn Jahren ist das Ausmaß des Hungers in Entwicklungsländern, die wir im Welthungerindex messen, um mehr als ein Viertel zurückgegangen, nämlich um 27 Prozent", so Andrea Sonntag. 17 Länder habe sogar ihre Hungerwerte um 50 Prozent oder mehr verbessern können, obwohl die Lage auch weiterhin in 52 von den insgesamt 117 Ländern ernst bis sehr ernst sei.

Lohnt also der Rückblick, um eine längere Perspektive des weltweiten Hungers zu geben? Roman Herre von der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN ist eher skeptisch und zieht lieber die absoluten Zahlen der Welternährungsorganisation heran:

"In zwanzig Jahren hat man es gerade einmal geschafft, die Zahl der Hungernden von knapp eine Milliarde Menschen auf etwa 800 Millionen zu senken", gibt er zu bedenken und führt an, dass weitere zwei Milliarden Menschen unter Mangelernährung leiden.

Zwei Milliarden mangelernährt

Laut Definition seien in den 800 Millionen nur Menschen erfasst, die jeden Tag hungern, jedoch nicht diejenige, die mangelernährt seien oder nur drei Monate im Jahr hungerten. Die Zahl von zwei Milliarden Menschen, die mangelernährt seien, komme da dem allgemeine Verständnis von Hunger sehr viel näher, so Herre von der deutschen Sektion der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN, deren Arbeit sich vor allem auf das Thema Nahrung als Menschenrecht konzentriert.

"Wir finden es nicht unproblematisch sich nur auf diesen Zahlen zu beziehen, sondern man muss auch einen weiteren Blick bei diesen ganzen Fragen von Hunger und Mangelernährung haben," meint Roman Herre, der dennoch den jährlichen Welthungerindex zu den relevantesten Referenzdokumenten zählt, wenn es um die globalen Fortschritte im Kampf gegen Hunger und Mangelernährung geht.

Jemen Kinder Hunger
Eine Frau in Jemen mit ihrer Tochter. Die Ernährungssituation im Land wird als "ernst" eingestuft. Der Konflikt im Land verschärft die Hungersituation.Bild: Reuters/K. Abdullah

Ein Blick in die weltweite Berichterstattung bestätigt den Status des Welthungerindex: Im letzten Jahr berichteten Medien in fast fünfzig Ländern weltweit über den verborgenen Hunger, der Schwerpunkt des Berichts war.

Parlamentsdebatten angestoßen

Auch politisch zeigt die schlichte Weltkarte mit den Einfärbungen für die Schweregrad des Hungers in 117 Entwicklungsländern immer wieder Wirkung.

Jedes Jahr sei der Welthungerindex und die Bewertung Indiens Thema im indischen Parlament, erzählt Andrea Sonntag, die bei der Welthungerhilfe für den Bericht zuständig ist. Die indischen Medien gehören zu den fleißigsten Abnehmern des Berichts und auch die Regierung Modi wird sich wohl darauf einstellen müssen, dass es anhand der neuen Karte scharfe Nachfragen zur Hungerbekämpfung in Indien geben werden. Die Ernährungssituation in Indien wird mit einem Indexwert von 29 immer noch als "ernst" eingestuft, afrikanische Länder wie Kamerun, Kenia oder Uganda schneiden besser ab. Eine solche Einstufung ist wenig schmeichelhaft für eine Regierung.

"Wir hatten im letzten Jahr zum Beispiel eine Beschwerde der Regierung in Ost-Timor, wo die Hungersituation sehr ernst ist," erzählt Andrea Sonntag und weist darauf hin, dass der jährlich erscheinende Welthungerindex in vielen Ländern als Instrument genutzt wird, um einerseits Bilanz über Erfolge oder Misserfolge in der Hungerbekämpfung zu ziehen aber acuh von der Zivilgesellschaft um Druck zu machen. Sie werde jedoch auch benutzt, wenn Geberländer ihre Entscheidungen über die Mittelzuteilung zur Hungerbekämpfung entscheide, so Sonntag.