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Schwarmintelligenz und Mini-Burger

Manuela Kasper-Claridge 25. April 2016

Berlin gilt noch immer als heißes Pflaster für Startups. Das zieht nicht nur Investoren an, sondern auch immer mehr gestandene Unternehmen. Manuela Kasper-Claridge über einen Ort, wo alt und neu aufeinander treffen.

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Deutschland Digitaler Hub Spielfeld
Bild: Roland Berger

Der Burgerladen am Schlesischen Tor ist ein paar hundert Meter entfernt, ein koreanisches Restaurant in Laufweite. Mittendrin das alte Postgebäude. Roter Backstein, der unter Denkmalschutz steht. Die Hochbahn rattert im 5-Minuten Takt Richtung Oberbaumbrücke. Willkommen im hippen Berlin.

Ein perfekter Ort für einen digitalen Hub, gestaltet wie aus einem Designkatalog für die Startup-Szene. In den Arbeitsräumen ist der Bedeutungsverlust der Krawatte sichtbar. Stattdessen tragen die Jungunternehmer Hoodies und Jeans. "Inspiration, Kreation und Interaktion", soll hier gelebt werden. Die jungen Kreativen sitzen vor ihren Laptops und schreiben. Die Firmen heißen Innosabi oder Kreait und entwickeln Infrastruktur für eine vernetzte Welt oder programmieren Apps. Betriebssprache ist Englisch.

New Economy trifft Old Economy

Björn Bloching macht sich ernsthafte Sorgen um die deutsche und europäische Wirtschaft. Er leitet den Digitalbereich bei der Unternehmensberatung Roland Berger. "Unter den weltweiten Top 20 der Digitalunternehmen ist kein europäisches", erklärt er ernst. "Es ist Zeit für einen Kulturwandel." Den probiert das Beratungsunternehmen gerade im Berliner Bezirk Kreuzberg aus. 1000 Quadratmeter Industriearchitektur wurden zu einer Wohlfühl-Arbeitsfläche umgebaut. Mit "Cubes", "Break-out rooms" und "Scrumboards". Eigentlich geht es um profane Rückzugsorte zum Telefonieren, kleine Sitzungsräume und um Tafeln, die beim Planen helfen. Das fast schon Revolutionäre hier in Kreuzberg aber ist, dass etablierte große Unternehmen gemeinsam mit Start-ups Unternehmenskonzepte entwickeln. Es wird geduzt, Hierarchien zählen nicht.

Deutschland Digitaler Hub Spielfeld
Kreative Atmosphäre im Digitalen Hub "Spielfeld" in Berlin-KreuzbergBild: Roland Berger

Seine Jeans sind ausgeblichen, der Sweater sitzt locker. Tobias Rappers sieht nicht aus wie der klassische Unternehmensberater. Er leitet den digitalen Hub, der den schlichten Namen "Spielfeld" trägt. "Strategie und Planung auf Basis des Bekannten, das kann nicht funktionieren", sagt er. "Wir müssen über den Tellerrand schauen, uns vernetzen." Also, weg mit den alten Konzepten und den Kunden in den Mittelpunkt stellen. Das Kreditkartenunternehmen Visa hat das erlebt. Beeindruckende 500 Millionen Kunden hat das Unternehmen, aber Innovationen konnten nur langsam durchgesetzt werden, die betriebseigenen Prozesse waren zu schwerfällig. Es musste etwas passieren. Visa setzte auf besondere Kreativräume und lagerte Kollegen aus, die unabhängig und frei denken sollten. Michael Hoffmann ist Chef von Visa Collab und gemeinsam mit Roland Berger am "Spielfeld" in Kreuzberg beteiligt.

Das Auto und die Sharing Economy

Wie die Herausforderungen heute aussehen, erklärt er am Beispiel des Autos. Zunächst wolle der Kunde gar kein eigenes Auto mehr. Stattdessen will er sich ein Auto teilen. Stichwort: "Sharing Economy". Deshalb müssen nicht mehr nur die Automobilhersteller Autos entwickeln, sondern viele Bereiche mit in den Entwicklungsprozess einbezogen werden. Kreditkartenunternehmen zum Bespiel, die den Bezahlvorgang ermöglichen, Energieunternehmen, die den umweltfreundlichen Strom fürs Auto bereitstellen oder Versicherer. "Wenn wir nur mit unseren eigenen Kollegen reden, kommt doch nur das raus, was sowieso drin war. Das bringt nichts", sagt er kategorisch und schwärmt von grenzenloser Zusammenarbeit. In der digitalen Welt entwickeln auch Konkurrenten gemeinsam Produkte. Im Kleinen funktioniere das.

Johannes Comeau Milke vom Startup "Journey 2 Creation" sieht das ähnlich. Er hat den etablierten Unternehmen einiges Voraus. Er ist schon mehrfach gescheitert und hat immer wieder etwas Neues probiert. Er lebt "Entrepreneural Leadership“, will heißen, er ist neugierig, scheut sich nicht, Fehler zu machen, entwickelt Ideen und kann sie im Team umsetzten. Das ist ideal in der digitalen Welt, die eine Art Schwarmintelligenz erfordert, die sich findet, formt und dann wieder auseinander geht. "Die Perspektive der Nutzer ist entscheidend", betont er. "Die Technik steht erst an zweiter Stelle."

US-Investor steigt ein

Über eine Million Euro haben er und seine vier Mitgründer bereits im vergangen Jahr umgesetzt. Sie entwickeln neue Geschäftsmodelle oder führen Workshops für Unternehmen durch. Konzernvorstände erfahren in Kreuzberg oder an anderen Orten, dass es wichtig ist, das Alte hinter sich zu lassen. Strukturen und Prozesse waren gestern. Heute zählen Ideen und die schnelle Umsetzung in ständig neu zu bildenden Teams. "Journey to Creation" hat auch einige Projekte mit der Unternehmensberatung Roland Berger durchgeführt. Junge und Alte arbeiten in Netzwerken zusammen. "Das funktioniert, wenn jeder den anderen ernst nimmt."

Während Johannes Comeau Milke erzählt, isst er mit großer Hingabe Fingerfood. Kleine Salate, Wraps und Mini-Burger. Dazu den frisch aufgebrühten Biotee aus fairem Handel. Das leckere Essen kommt von einem Startup. " Eating with the Chefs", nennt es sich und wurde erst Anfang 2016 gegründet. Der bekannte US- Investor Peter Thiel - er gehört zu den Erstinvestoren von PayPal - ist bereits eingestiegen und hat sich über seinen Founders Fonds am Unternehmen beteiligt. "Wir mögen gutes Essen und kennen uns in der Restaurantszene aus", erklärt Clemens Riedl, der Unternehmensgründer.

Wie viel Geld Thiel investiert hat, will er nicht verraten, aber "vielleicht hat ihm einfach das Essen geschmeckt", sagt Riedl verschmitzt. Sechs Köche fertigen frische regionale Gerichte. Die Rezepte wurden von Spitzenköchen entworfen. Das Essen wird bei Niedrigtemperatur gegart. Die luftdichte Verpackung hält die Gerichte frisch. Clemens Riedl wollte in Restaurants mit deren starren Regeln und Strukturen nicht mehr arbeiten und lieber sein eigenes Unternehmen gründen. Jetzt schaut er öfter im Kreuzberger "Spielfeld" vorbei, zum Netzwerken. Der Brückenbau zwischen Old Economy und New Economy gefällt ihm.