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Schock mit Ansage

Marcel Fürstenau4. September 2016

Alle wussten, in welche Richtung das Pendel ausschlagen würde. Die Wucht des AfD-Erfolgs war so absehbar wie es die Verluste der Etablierten waren. Die Verlierer sollten souverän reagieren, meint Marcel Fürstenau.

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Brust mit Deutschlandfarbener Krawatte und AfD-Anstecker (Foto: Reuters/S. Loos)
Bild: Reuters/S. Loos

Im Zeitalter permanenter Meinungsumfragen bleibt kaum Spielraum für große Überraschungen oder gar Sensationen. Seit Monaten war absehbar, dass die erst 2013 gegründete Protestpartei namens Alternative für Deutschland (AfD) auch in Mecklenburg-Vorpommern abräumen würde. Dort, wo die rechtsextreme NPD seit 2006 im Landtag saß. Und jetzt endlich rausgeflogen ist. Das ist doch mal eine gute Nachricht, denn nun sind alle deutschen Parlamente frei von richtigen Nazis.

Dass statt ihrer nun sehr, sehr viele Rechtspopulisten als Volksvertreter auf der Oppositionsbank Platz nehmen, mag Vielen nur ein schwacher Trost sein - oder gar keiner. Doch so berechtigt Kritik an den Angstmachern von der AfD ist, sie pauschal in einen Topf mit der NPD zu werfen, ist unfair und Ausdruck weit verbreiteter Hilflosigkeit. Zwischen Populismus und Extremismus gibt es doch noch ein paar Unterschiede.

Scheindebatten und Symbolpolitik nützen nur der AfD

Dass sich die neuen Rechten rhetorisch oft haarscharf am Rand zum Rassismus bewegen oder diese Schwelle gelegentlich überschreiten, ist zutreffend. Dafür müssen sie und dafür werden sie in die Schranken gewiesen. Zuweilen führt das sogar in den eigenen Reihen zu Häutungen. So geschehen in Baden-Württemberg, wo sich die Fraktion nach antisemitischen Ausfällen eines Abgeordneten spaltete.

Marcel Fürstenau (Foto: DW)
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Aber dass die AfD trotz interner Querelen und erbittert geführter Machtkämpfe weiter auf der Erfolgswoge segelt, beunruhigt die etablierten Parteien am meisten. Sie sollten daraus jedoch nicht die falschen Schlüsse ziehen und der AfD bei den Megathemen Flüchtlinge und Islam weiter auf den Leim gehen. Genau das aber ist der Fall, wenn insbesondere die Unionsparteien das Ende der doppelten Staatsbürgerschaft oder ein Burka-Verbot fordern. Solche durchsichtigen Manöver kurz vor Wahlen nützen nur dem politischen Gegner. Der frohlockt, durchaus berechtigt, die Anderen würden AfD-Positionen übernehmen.

Das Chaos in Berlin hat Spuren hinterlassen

Es ist ja wahr, dass CDU und SPD, Grüne, Linke und FDP in Mecklenburg-Vorpommern so oder so auf verlorenem Posten gestanden haben. Die Stimmung ist ein Jahr nach dem Beginn der Flüchtlingskrise, die auch eine Chance ist, noch immer zu aufgeheizt für einen besonnen geführten gesellschaftlichen Diskurs. Dafür sind nicht zuletzt die in Berlin regierenden Protagonisten und der Quälgeist aus München verantwortlich: Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ihr Vize Sigmar Gabriel (SPD) und Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU). Ihr Dauerstreit über den vermeintlich richtigen Weg in einer historisch beispiellosen Situation wird in der Bevölkerung zu Recht als verantwortungslose Führungsschwäche wahrgenommen.

Wozu das führt, ist sattsam bekannt: Wahlmüdigkeit oder Protestwahl. In Mecklenburg-Vorpommern lag die Beteiligung 2011 nur knapp über 50 Prozent. Diesmal gaben rund 60 Prozent ihre Stimme ab. Es liegt auf der Hand, dass die AfD das Reservoir der Unzufriedenen optimal ausgeschöpft hat. Wenn die anderen Parteien den Höhenflug des Emporkömmlings stoppen wollen, müssen sie spätestens jetzt ihre Strategie ändern. Die Schwächen und Zumutungen der AfD klar benennen - keine Frage. Aber bitte auch die eigenen Stärken betonen - selbstbewusst und offensiv.

In einem Jahr kann viel passieren

Bis zur Bundestagswahl 2017 dauert es noch ein Jahr. Was in einer solchen Zeitspanne möglich ist, zeigt sich am Aufstieg der AfD. Dass sie genauso schnell in der Versenkung verschwindet, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sie nun in neun von 16 Landesparlamenten vertreten ist. Die anderen Parteien sollten sich also auf eine hartnäckige, unbequeme und sicherlich auch immer wieder unappetitliche Opposition einstellen. Totale Ausgrenzung wäre der falsche Weg. Mit glaubwürdiger Politik, die auf lange Sicht überzeugender ist als die reine Anti-Haltung der Rechtspopulisten, lässt sich Vertrauen durchaus zurückgewinnen.

Darauf setzt zwei Wochen vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus auch der evangelische Bischof Markus Dröge. Er plädierte in einem "Tagesspiegel"-Interview für eine sachliche Auseinandersetzung, "auch wenn das schwer fällt mit Politikern, die stark auf Emotionen setzen". Der Umgang mit der AfD ist eben weit mehr, als eine Frage von Glaube und Hoffnung. Man muss auch Geduld haben.

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