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"Alpen-Disneyland"

17. Dezember 2001

Der Massentourismus in den Alpen hat den einst abgelegenen Dörfern Wohlstand gebracht. Darüber sind sich alle Tourismusforscher in Österreich einig. Doch der Urlauberansturm führt auch zu sozialen Problemen.

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Der Berg ruft!Bild: AP

Der Wiener Sozialwissenschaftler Hans Högl befragte hierzu die Menschen im Montafon und in Tirol. Den Hilfeschrei eines Einheimischen: "Ich bin kein Tourist, ich wohne hier!" hat er zum Motto seiner Untersuchung über die "ökosozialen und kulturellen Kosten des modernen Intensivtourismus" gemacht.

Die Studie zeichnet ein katastrophales Bild der Tourismus-Industrie in den Bergen. Die alten Dorfgemeinschaften sind zerstört, die überbrachte Kultur zum Wohle des Tourismus kommerziell ausgehöhlt. Die heimischen Leute sind tief gespalten und durch den Dauerstress frustriert. Die Hoteliers erklärt Högl zu "kulturlosen Menschen, die mit ihren aberwitzigen Großveranstaltungen auf den Gletschern erlebnishungrige Massen in riesigen Abschluss-Sauferien abzocken."

Privatsphäre ade?

Ganz so negativ schätzt die Innsbrucker Psychologin Ursula Wilhelm die Situation nicht ein. Natürlich sitzen die Dorfbewohner nach dem Kirchgang nicht mehr zusammen, natürlich ist das gesamte Leben auf den Gast zugeschnitten. Doch der "rückt den Hoteliers und Vermietern heute nicht mehr so auf die Pelle wie früher". Während der Urlauber noch vor 10 bis 20 Jahren wie selbstverständlich die Privaträume der Gastgeber in Beschlag nahm, ist die Privatsphäre der Einheimischen für ihn heute tabu.

Auch wenn die sozialen Kosten im Gegensatz zu den Umweltsünden oft gar nicht auszumachen sind, in der Architektur sind sie mehr als gut zu erkennen. Landschaftsplaner schimpfen über die sogenannte "Alpine Lederhosen-Architektur". Dieser aus Teilen Tirols abgekupferte Baustil erstreckt sich heute von der Steiermark bis nach Bayern.

Fremdenverkehrsgemeinden im Stress

Schwieriger nachzuweisen ist die angebliche "soziale Verwahrlosung" von Hotelierkindern - ein Phänomen, auf das das Fachmagazin "Planet Alpen" aufmerksam macht. Die Kinder verstünden nicht, warum ihre gestressten Eltern keine Zeit für ihre Nachkommen haben. Und: Ihnen wird durch die großspurig auftretenden - oft deutschen – Touristen vorgemacht, mit Geld sei alles zu kaufen.

In den Tourismusgemeinden leben in der Hochsaison meist vier bis fünf Mal so viele Gäste wie Einheimische. Damit diese zufrieden sind, fühlen sich die Dorfbewohner verpflichtet, die Klischees der Touristen von den Alpen zu erfüllen. In Salzburg wurde wegen des großen Urlauberinteresses der Almabtrieb wiederholt - die Kühe wurden also wieder auf die Almen gebracht, um ein zweites Mal festlich ins Tal gleitet zu werden. Den Bürgern des Tiroler Städtchens Obergurgl geht das zu weit. Sie haben das alte Familientreffen "Gemat" kurzerhand verlegt, damit es nicht in die Saison fällt. Eine weiteres Indiz zeugt von ihrem "neuen Selbstbewusstsein": Auf den Speisekarten stehen wieder regionale Spezialitäten mit ihren heimischen Namen. So heißen die Quarkklöße wieder Topfenknödel und die Sahne Schlagobers.

Einen in Österreich einzigartigen Weg gehen die Gemeinden Gaschurn und Partenen im Vorarlberger Montafon. Von Mitte Oktober bis Anfang Dezember und im Mai bleiben nahezu alle Häuser und Restaurants geschlossen". Die Menschen sollen nach der jeweiligen Hauptsaison wieder zu sich selbst finden und Kraft für die neuen Gäste sammeln.