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DW-Chor zu Gast in Kalavryta

Andrea Kasiske
3. Oktober 2016

Ein schmerzhafter Teil der deutsch-griechischen Geschichte: das Massaker in dem griechischen Dorf Kalavryta, 1943 von der deutschen Wehrmacht verübt. Der DW-Chor ist dort auf bewegender Spurensuche unterwegs.

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Griechenland Holocaust-Museum in der Stadt Kalavryta
Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Giannakouris

Kalavryta, eine idyllische Landschaft, bekannt als Skigebiet in den Bergen der griechischen Peleponnes. Doch es gibt eine Geschichte, die bis heute nachwirkt. Am 12. Dezember 1943 geschah hier eines der größten Kriegsverbrechen. Die deutsche Wehrmacht erschoss über 700 Menschen, Männer und Jungen ab vierzehn Jahren. Übrig blieben die Frauen und Kinder. Seitdem heißt der Ort "das Dorf der Witwen".

Wer als Deutscher dort hinkommt, wird unweigerlich mit der Geschichte konfrontiert. So auch der DW-Chor, der Kalavryta als erste Station seiner einwöchigen Griechenland-Tour gewählt hat. Irene Anastassopoulos, Redakteurin der griechischen Redaktion hat die Reise, die vom Auswärtigen Amt unterstützt wurde, geplant - als Beitrag zur Aussöhnung und zum besseren Verständnis zwischen Griechen und Deutschen. "Das war der schwerste Auftritt, den wir je hatten", sagt Evelyn Bartsch, noch sichtlich erschüttert. Nicht nur sie hatte Schwierigkeiten, an diesem Abend zu singen.

Auch einige andere des 45-köpfigen Chors hatten das Gefühl, ihre Kehle sei zugeschnürt, angesichts des Erlebten. "Ich hatte vor der Reise nichts von Kalavryta gehört. Natürlich haben wir Informationen bekommen, aber hier zu sein, ist schon anders", erzählt Grant Sanderson aus der englischen Redaktion. Er stammt aus Südafrika, ist unter der Apartheid aufgewachsen. Unrecht kennt er, aber Vergleiche ziehen will er nicht, die Situation hier sei nicht vergleichbar. Was die Geschichte des Ortes noch heute für die Griechen bedeutet, war den meisten Sängern und Sängerinnen vorher nicht klar.

Griechenland | Der DW Chor in Kalavryta
Der DW-Chor auf einer Reise in die VergangenheitBild: DW/M. Braun

Ein Museum hält die Erinnerung wach

Kalavryta steht für Kriegsverbrechen, Widerstand, Schuld und Wiedergutmachung. Im sogenannten Holocaustmuseum vor Ort wird die Geschichte lebendig gehalten, die vor dem Krieg und die unter der italienischen und deutschen Besatzung. Dokumente der Wehrmacht zeigen, dass das "Unternehmen Kalvryta" eine lang geplante Großoffensive gegen den organisierten Widerstand in der ganzen Region war. Nachdem griechische Partisanen achtzig deutsche Soldaten, die sie als Geiseln festgehielten, getötet hatten, wurde das Massaker an den Zivilisten als Vergeltungsmaßnahme befohlen. Fast zehnmal soviel Unbeteiligte starben dabei

Im Museum sieht man heute deutsche Maschinengewehre, aber auch eine Vitrine mit einer Decke und Hacken. Die 91 jährige Alexandra Restemi erinnert sich, wie sie als junge Frau mit den anderen Dorfbewohnern die toten Männer und Jungen vom Berg zum Friedhof gezogen hat. Wie sie versucht hat, ihren Vater und Bruder mitten im Winter notdürftig zu begraben. Der alten Dame kommen jetzt noch die Tränen, als sie das erzählt. Und sie hat lange gebraucht, bis sie davon überhaupt erzählen konnte. Da war sie über siebzig.

Bis heute keine Wiedergutmachung 

"Furchtbar, wenn man sich das vorstellt, was da alles passiert ist", sagt Elisabeth Schüßler, früher Nachrichtenredakteurin bei der Deutschen Welle und mit 82 Jahren die Älteste im DW-Chor. Sie hat Krieg, Vertreibung und Leid selbst erlebt, kann sich deshalb beim gemeinsamen Museumsrundgang besonders gut einfühlen in die geschilderten Grausamkeiten. Sie versteht die wiederholte Forderung nach Wiedergutmachung. "Es muss etwas geschehen. Als es Ost und West gab wollte kein Teil Deutschlands für den anderen gerade stehen. Und jetzt, wo sie wieder vereinigt sind, drückt sich die Bundesregierung immer noch", empört sie sich.

Griechenland | Der DW Chor in Kalavryta
Erlebte Geschichte: im Holocaust-Museum von KalavrytaBild: DW/M. Braun

115 Millionen DM hat die Bundesregierung Anfang der 60er Jahre gezahlt, damit waren offiziell alle individuellen Ansprüche von Überlebenden und deren Nachkommen abgegolten. In Kalavryta hat man von diesem Geld nie etwas gesehen. Für Filipas Sardelakis, einer der Direktoren des Holocaustmuseums, ist die Geschichte längst nicht erledigt. Er zeigt  Unterlagen, die seine Mutter geschrieben hat. Akribisch hat sie alles aufgelistet, was ihre Familie damals verloren hat.

Die deutschen Soldaten haben mitgenommen, was sie brauchen konnten, Ziegen geraubt, das Haus niedergebrannt. Kein Einzelschicksal, die Frauen in Kalavryta hatten nicht nur das Trauma des Massakers zu verkraften, sondern mussten auch ums Überleben kämpfen. "Ich erwarte eine ethische Wiedergutmachung, Anerkennung dieser schlimmen Verbrechen, und natürlich sollen die Deutschen für die Zerstörung und Plünderung zahlen", sagt Filipas Sardelakis bestimmt.

Doch die Sache ist schwierig. Individuelle Klagen zur Wiedergutmachung sind sowohl vom Europäischen Gerichtshof als auch in Den Haag abgewiesen worden. Trotzdem sehen viele Bewohner von Kalavryta die Bundesregierung zumindest in moralischer Hinsicht zum Ausgleich verpflichtet. 

Musik als Brücke der Verständigung

Griechenland | DW Chor in Kalavryta
DW-Programmdirektorin GerdaMeuer im Gespräch mit ZeitzeugenBild: DW

Wie stark die Emotionen von griechischer Seite noch sind, damit hatte wohl keiner der Mitglieder des DW-Chores gerechnet. Bei der Diskussionsveranstaltung vor dem eigentlichen Auftritt  kam dann alles noch mal geballt zur Sprache: Die bewegenden Erzählungen der Zeitzeugen, die Erläuterungen von Panos Tsaparas, dem Herausgeber der Kalvrytas News, zur unrühmlichen Rolle der griechischen Nachkriegsregierung in Sachen Witwenrente, die Frage nach der Verantwortung der Medien hinsichtlich der wechselseitigen stereotypen Bilder von Deutschen und Griechen und natürlich die Frage der Reparationen.

"Wenn wir es schaffen auch nur ein paar Wenige mit unseren Liedern zu berühren, dann haben wir schon etwas erreicht", hatte Chorleiterin Maja Braun kurz vor dem Auftritt gesagt. Und tatsächlich, trotz des emotionalen Wechselbads – der Funke sprang über auf die rund fünfzig Besucher. Gekleidet in ihre traditionellen Gewänder holten die Sänger und Sängerinnen aus zwanzig Ländern die Welt in die kleine Veranstaltungshalle von Kalavryta. Lieder zu Frieden und Freiheit, von Mikis Theodorakis bis zum "Gefangenenchor" aus Nabucco. Am Ende klatschten alle: die Zeitzeugen, der Bürgermeister, die Programmdirektorin der Deutschen Welle - und selbst die politischen "Hardliner".