1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Nouripour: "Spannungen nicht unterschätzen"

1. Januar 2017

Russland werde sich langfristig von Assad trennen, erwartet der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour. Nun komme es darauf an, den IS zu bekämpfen. Dafür brauche es eine umfassende Strategie.

https://p.dw.com/p/2V6t7
Syrien syrische Soldaten nach der Zurückeroberung  von Aleppo
Bild: Getty Images/AFP/G. Ourfalian

DW: Russland und die Türkei haben einen Waffenstillstand zwischen dem Assad-Regime und den Rebellen vermittelt. Wie bewerten Sie diese Vereinbarung?

Omid Nouripour: Es gibt zwei positive Aspekte. Erstens: Jede Minute, in der nicht geschossen wird, ist eine gute Minute für Syrien. Zweitens: Bei vorherigen Waffenstillstandsvereinbarungen war oft unklar, auf welche Gruppen sie sich erstreckten und auf welche nicht. Jetzt hingegen sind die Ausnahmen benannt: Gegen die dschihadistischen Gruppen Dschabhat Fatah al-Scham und den "Islamischen Staat" (IS) wird weiter gekämpft. Das macht es einfacher, die Dauer und Haltbarkeit des Abkommens einzuschätzen. Aber bei aller Freude über diese Atempause: Das ist noch lange nicht der Beginn von Friedensverhandlungen oder gar einer nationalen Aussöhnung. Darum sollte man jetzt keine Illusionen wecken, auch wenn man die Entwicklung nur begrüßen kann.

Was wäre nötig, dass der Waffenstillstand hält?

Die Vereinten Nationen müssen federführend bei den Verhandlungen werden. Der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura ist der Einzige, der dabei eine neutrale Rolle spielen kann. Darum sollte man die Leitung der Verhandlungen auch ihm anvertrauen. Wenn der Waffenstillstand länger als einige Tage hält - was ein Riesenerfolg wäre - dann wäre es von zentraler Bedeutung, dass es zu einem politischen Prozess kommt, der tatsächlich zu so etwas wie Friedensgesprächen führt. Natürlich stellt sich dann auch die Frage, wie es um eine nationale Übergangsregierung stünde, wie Machtübergabe-Mechanismen wie etwa Wahlen und die wie nationale Aussöhnung aussehen könnten. All das könnten nur die UN leisten, nicht aber die Iraner und die Russen.

Die Frage wäre auch, ob die beiden Staaten das überhaupt wollen.

Deutschland Berlin Portrait MdB Omid Nouripour B90 Grüne
Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90 / DIE GRÜNENBild: Imago/C. Thiel

Man sollte die Spannungen innerhalb des Assad-Lagers nicht unterschätzen. Es gab viele Situationen, in denen aus dem Umfeld der beiden Regierungen ganz unterschiedliche, ja teils gegensätzliche Erklärungen kamen. Auch die Russen und Iraner stimmen in vielem offenbar nicht überein. Die Weltgemeinschaft hat in Syrien ein Vakuum hinterlassen, das von der Allianz um Assad mit Bomben gefüllt wurde.

Fakt ist aber auch, dass das Problem des Dschihadismus in Russland eine starke innenpolitische Wirkung hat. Ich glaube nicht, dass Russland Interesse daran hat, durch ein verkrampftes Festhalten an Assad - er ist ja das zentrale Symbol für Fassbomben, Chemiewaffen und ruinierte Städte - das Dschihadismus-Problem im Kaukasus zu vergrößern. Darum gehe ich davon aus, dass die Russen sich mittelfristig von Assad trennen müssen.

Neben dem Assad-Regime besteht in Syrien - und nicht nur dort - das Dschihadismus-Problem. Wie geht man damit um?

Wir müssen begreifen, dass wir es mit einer Idee zu tun haben. Der IS ist die Speerspitze dieser Idee. Wenn wir den IS in Syrien und im Irak besiegen, ist das Problem noch nicht beseitigt. Es muss darum gehen, auch den Sunniten eine Perspektive zu geben, so dass sie Hoffnung haben können, in den beiden Ländern zu überleben. Im Irak etwa sieht man den Unterschied der politischen Ansätze an den Beispielen von Tikrit und Falludscha. Nach der Eroberung von Tikrit hat man als erstes die Wasser- und Stromversorgung wieder instand zu setzen versucht. Zwar gibt es dort weiterhin gewaltige Probleme, aber dennoch sind viele Menschen wieder dorthin zurückgekehrt. Dort ist es halbwegs ruhig.

Falludscha hingegen ist durch die Eroberungsschlacht - und durch die schiitischen Milizen - zu 85 Prozent zerstört worden. Wenn Falludscha also das Modell sein soll, wie man den IS besiegt, dann vergrößern wir das dschihadistische Problem. So haben wir es ja auch in Aleppo gesehen: Die einzigen, die in Aleppo in die Kamera grinsend den Leuten in Ost-Aleppo helfen, waren die Dschihadisten. Andere Helfer waren kaum zu sehen.

Wie geht man unter solchen Umständen gegen den "Islamischen Staat" vor?

Der IS ist für sehr viele Menschen eine attraktive Organisation. Sie verfügt über viel Geld und logistische Unterstützung - viel mehr, als Al-Kaida je hatte. Zudem ist ihre Ideologie deutlich nihilistischer. Die Dschihadisten werden sich dann auf asymmetrische Auseinandersetzungen mit und in unseren Gesellschaften beschäftigen. Wir müssen darum begreifen, dass es hier nicht nur um die Auseinandersetzung mit einer einzelnen Organisation geht. Vielmehr müssen wir alles tun, um die Kinder unserer Gesellschaften gegen eine solche Ideologie zu immunisieren.

Sie sollen nicht zu der Überzeugung kommen, dass allein die finsteren Dschihadisten sich für ihre Leute einsetzen. Dazu gehört auch, dass Bundeskanzlerin Merkel nach dem schlimmen Anschlag in Berlin nicht nur mit dem tunesischen Präsidenten telefoniert, damit er seine Kriminellen zurücknimmt. Sondern dazu gehört auch, mit dem König von Saudi-Arabien zu sprechen, damit aus seinem Land heraus nicht weiterhin salafistische Gruppen finanziert werden. Denn die Salafisten sind das Nadelöhr hin zum Dschihadismus.

Omid Nouripour ist Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN und außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Das Interview führte Kersten Knipp

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika