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Politik

Die Linke zwischen Traum und Albtraum

14. Januar 2017

Merkel ablösen und selber mitregieren - davon sind die Sozialisten weiter denn je entfernt. Stattdessen wandern Linken-Wähler zur AfD ab und Fraktionschefin Wagenknecht sorgt für Unruhe. Der Jahresauftakt ist misslungen.

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Bundestagswahl -  Die Linke - Wagenknecht Bartsch
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Nach der Bundestagswahl 2013 hätte ein lang gehegter Traum der Linken in Erfüllung gehen können: zusammen mit Sozialdemokraten und Grünen Deutschland zu regieren. Rechnerisch hätte es gereicht, um die seit 2005 amtierende Kanzlerin Angela Merkel abzuwählen. Doch die SPD entschied sich für eine Große Koalition mit Merkels Konservativen von CDU und CSU. Eine ganze andere Frage wäre es damals gewesen und ist es auch heute noch, ob sich das Trio Rot-Rot-Grün überhaupt auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen könnte.

Doch daran, so scheint es, müssen die drei Parteien aus dem linken Lager acht Monate vor der Bundestagswahl im September überhaupt keinen Gedanken verschwenden. Denn seit Monaten gibt es dafür auf der Basis von Umfragen nicht einmal den Hauch einer Chance. Im aktuellen Deutschlandtrend kommt Rot-Rot-Grün in der Summe gerade einmal für 38 Prozent und hat damit keine Mehrheit. So viel schafft das Unionslager fast allein (37 Prozent). Ein entscheidender Faktor für die aussichtslose Situation des Trios ist jedoch eine andere Partei: die Alternative für Deutschland. Die AfD wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den nächsten Bundestag einziehen.

Motto des Wahlprogramms: "Sozial. Gerecht. Für alle."

Und angesichts von Umfragewerten um die 15 Prozent hat die erst 2013 gegründete Partei beste Aussichten, die Linke sogar als größte Oppositionsfraktion abzulösen. Auch das ist eine absehbare Niederlage, mit der sich die Sozialisten wohl abfinden müssen.

Bundestagswahl -  Die Linke - Wagenknecht
Spitzenkandidatin Wagenknecht: "AfD-Wähler erreichen"Bild: picture alliance/dpa/G. Fischer

Trotz all dieser negativen Vorzeichen versucht die von Katja Kipping und Bernd Riexinger angeführte Partei, Optimismus zu verbreiten. Am Samstag stellte das Duo in Berlin gemeinsam mit den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, den Entwurf für das Wahlprogramm vor. Motto: "Sozial. Gerecht. Für alle".

Darunter versteht die Linke einen totalen Politikwechsel, für den sie aber - auch theoretisch - kaum Partner finden dürfte. Denn sie fordert eine Steuer in Höhe von fünf Prozent auf alle Vermögen über eine Million Euro. Einkommen unter 7100 Euro monatlich sollen hingegen entlastet werden. Trotzdem kommt die Linke nach ihren Berechnungen auf Mehreinnahmen von 80 Milliarden Euro. Dazu beitragen soll auch eine Steuer auf Finanztransaktionen an den Börsen. Mit dem erhofften Geldsegen will die Linke Projekte wie die Energiewende finanzieren und den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Der Militäretat soll nicht erhöht und Waffenexporte sollen verboten werden.

Streit über Sahra Wagenknechts Alleingänge

Für dieses Programm gibt es in anderen Parteien bestenfalls punktuelle Unterstützung, aber ganz überwiegend trifft die Linke auf Ablehnung. Trotzdem sagt sie, "weder reinen Oppositionswahlkampf noch Regierungswahlkampf" führen zu wollen. Als Ziel für die Bundestagswahl hat sich die Partei eine "gutes zweistelliges Ergebnis" vorgenommen.

Maßstab sei das Ergebnis von 2013, als man mit 8,6 Prozent erstmals stärkste Oppositionsfraktion im Bundestag wurde. Und obwohl die Linke bei den fünf Landtagswahlen im vergangenen Jahr sehr viele Stimmen an die rechtspopulistische AfD verloren hat, glaubt Spitzenkandidatin Wagenknecht an eine Trendwende.

Dietmar Bartsch
Spitzenkandidat Bartsch: "Ein Stück Hoffnung"Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

"Selbstverständlich" wolle sie AfD-Wähler erreichen, betonte sie bei der Vorstellung des Wahlprogramm-Entwurfs in einer Berliner Event-Location. Um das zu schaffen, kritisiert sie die Politik Angela Merkels zuweilen mit einer Rhetorik, die an AfD-Jargon erinnert. Anfang Januar sorgte Wagenknecht in einem Interview mit der Illustrierten "Stern" für Aufsehen, indem sie der Kanzlerin eine Mitverantwortung für den islamistischen Terroranschlag in Berlin gab, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen.

Parteichef Riexinger widersprach der Fraktionschefin im Bundestag. Es sei "in höchstem Maße falsch und in höchstem Maße gefährlich, einen Zusammenhang zwischen der Flüchtlingsfrage und dem Terrorismus herzustellen".

Und wieder hat die Linke ein Stasi-Problem

Trotz dieser offenkundigen Widersprüche innerhalb des Linken-Spitzenpersonals hält Wagenknechts Fraktionsvorsitz-Kollege Bartsch die Partei für "gut gerüstet". Für viele Menschen sei man "ein Stück Hoffnung", sagte er unter Verweis auf drei Regierungsbeteiligungen auf Länderebene. Wie schnell diese Hoffnung in ihr Gegenteil umschlagen kann, erlebt die Linke aber gerade im Stadtstaat Berlin. Die erst seit wenigen Wochen amtierende rot-rot-grüne Koalition leidet massiv unter einer Debatte über die Stasi-Vergangenheit eines Staatssekretärs, den die Linke nominiert hatte. Am Samstag kündigte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller an, den umstrittenen Experten für Wohnungspolitik und Stadtentwicklung zu entlassen.

Der Fall zeigt, wie schwer sich die aus der früheren DDR-Staatspartei SED hervorgegangene Linke auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung mit ihrer Vergangenheit tut. Zur Geschichte der Partei gehört auch die Teilnahme am Gedenkmarsch für die am 15. Januar 1919 von Freikorpssoldaten in Berlin ermordeten Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Zu DDR-Zeiten war das Gedenken eine Pflichtveranstaltung mit mehreren hunderttausend Teilnehmern. Seit 1990 setzt die neue Linke diese Tradition fort. Deshalb wird die Parteispitze auch an diesem Sonntag wieder geschlossen auf dem Friedhof der Sozialisten im Stadtteil Friedrichsfelde erwartet.