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Kündigung und Abfindung im Europavergleich

Thomas Kohlmann
22. September 2017

Das Arbeitsrecht ist die erste Reform, die Emmanuel Macron in Angriff nimmt. Doch was in Frankreich eine kleine Revolution ist, haben viele Länder der EU schon lange hinter sich. Frankreich und fünf Länder im Überblick.

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Italien Arbeitslose junge Frau in Mailand
Bild: picture alliance/Piaggesi/Fotogramma

Frankreich

Tarifvertragliche Abdeckung: 98 Prozent
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 8 Prozent
Hauptebene von Tarifverhandlungen: Branche und Unternehmen

In Frankreich finden die Tarifverhandlungen bislang auf nationaler, auf Branchen- und Unternehmensebene statt. Auf jeder Ebene ist genau festgelegt, wer verhandelt und unter welchen Bedingungen eine tarifliche Vereinbarung gültig ist. Für tarifvertraglich abgesicherte Arbeitnehmer ist die Branche bisher die wichtigste Verhandlungsebene. Die Reform stärkt die Rolle von Branchen-
und Betriebsvereinbarungen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen Details der Arbeitsbedingungen wie etwa Prämien häufiger direkt miteinander aushandeln können. Künftig sollen in kleinen und mittleren Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern - dort ist die Mehrheit der Franzosen beschäftigt - die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen außen vor bleiben können.

Kündigungsfristen

Bislang liegen die Kündigungsfristen zwischen 4 Wochen bei einer Beschäftigungsdauer unter 2 Jahren und bis zu 7 Monaten bei einer Beschäftigungsdauer von mehr als 20 Jahren. Künftig kann Arbeitnehmern - auch mit unbefristeten Verträgen - leichter betriebsbedingt gekündigt werden. Bislang mussten Unternehmen dafür betriebswirtschaftliche Gründe - wie etwa anhaltende Verluste - nachweisen.

Abfindungen

Bislang sind die von Arbeitsgerichten zugesprochenen Abfindungen in Frankreich rund doppelt so hoch wie in Deutschland. Künftig sollen Entschädigungen für ungerechtfertigte Kündigungen gedeckelt werden: Ein Arbeitsgericht kann einem Mitarbeiter, der zehn Jahre bei einer Firma tätig war, dann höchstens zehn Monatsgehälter zusprechen. Wer nach zwei Jahren geht, erhält höchstens drei Monate Lohn. Nach dreißig Jahren Mitarbeit gibt es höchstens noch 20 Monatslöhne. Dafür gibt es künftig festgeschriebene Mindestabfindungen: Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen werden um 25 Prozent erhöht.

Frankreich Käserei in den Savoyen
Mitarbeiter einer Käserei in den französischen AlpenBild: picture-alliance/blickwinkel/P. Royer

Italien

Tarifvertragliche Abdeckung: 80 Prozent
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 35 Prozent
Hauptebene von Tarifverhandlungen: Branche

In Italien finden Tarifverhandlungen in der Privatwirtschaft hauptsächlich auf Branchenebene und teilweise auf Unternehmensebene statt. Durch eine Neuregelung im Januar 2009 wurde das System jedoch geändert. Das Abkommen, das von einigen Gewerkschaftsbünden, aber nicht vom größten Gewerkschaftsverband unterzeichnet wurde, hat zu einer stärkeren Verlagerung auf die Unternehmensebene und zur Spaltung der Gewerkschaften geführt.

Kündigungsfristen

Die Kündigungsfristen sind in den einzelnen nationalen Tarifverträgen geregelt und richten sich nach der Betriebszugehörigkeit und der Qualifikation des Arbeitnehmers.

Abfindungen

Bei jeder Beendigung des Arbeitsverhältnisses, unabhängig vom Kündigungsgrund, wird eine Abfindung gezahlt. Höhe: ungefähr ein Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr plus Inflationsausgleich.

Deutschland Reichstag
Bild: picture-alliance/R. Goldmann

Deutschland

Tarifvertragliche Abdeckung: 59 Prozent
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 18 Prozent
Hauptebene von Tarifverhandlungen: Branche

Tarifverhandlungen werden nach wie vor hauptsächlich zwischen Einzelgewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf Branchenebene geführt. Allerdings ist dieses System unter Druck geraten, da viele Arbeitgeber aus den Arbeitgeberverbänden austreten oder erst gar nicht beitreten, um bei Tarifvertägen auf Unternehmensebene flexibler sein zu können.

Kündigungsfristen

Das Kündigungsschutzgesetz gilt nach sechsmonatiger Beschäftigungsdauer in einem Betrieb mit mehr als 10 Arbeitnehmern. Die Kündigungsfristen liegen zwischen 4 Wochen bei einer Beschäftigungsdauer unter 2 Jahren und 7 Monaten bei einer Beschäftigungsdauer von mehr als 20 Jahren.

Abfindungen

Kündigt der Arbeitgeber betriebsbedingt, kann der Arbeitnehmer zwischen Kündigungsschutzklage oder Abfindung wählen. Die Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Beschäftigungsjahr. Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschreiben die Kündigung auf betriebsbedingte Gründe stützen und den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass er die Abfindung beanspruchen kann, wenn er die dreiwöchige Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage verstreichen lässt.

Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und erklärt das Gericht die Kündigung für unwirksam, kann es auf Antrag des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis auflösen und eine Abfindung festlegen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist.

Die Höchstgrenze für Abfindungen liegt bei 12 Monatsbezügen. Ab dem 50. Lebensjahr erhöht sich die Abfindung bei 15 Jahren Beschäftigung auf 15 Monatsbezüge bzw. auf 18 Monatsbezüge ab dem 55. Lebensjahr bei 20 Jahren Beschäftigung.

Spanien Flagge
Bild: Fotolia/elxeneize

Spanien

Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 19 Prozent
Tarifvertragliche Abdeckung: 70 Prozent
Hauptebene von Tarifverhandlungen: Branche - aber ein neues Gesetz gibt betrieblichen Vereinbarungen Vorrang

In Spanien werden Verhandlungen auf nationaler, Branchen- und Unternehmensebene geführt. Mit Ausnahme des Jahres 2009 ist seit 2002 jährlich eine Vereinbarung auf nationaler Ebene ausgehandelt worden, die den Rahmen für Verhandlungen auf nachgeordneter Ebene vorgibt. Der Prozentsatz der insgesamt durch Tarifverträge abgesicherten Arbeitnehmer ist mit rund 70 Prozent recht hoch.

Seit der Finanzkrise 2008 gab es zwei tiefgreifende Arbeitsmarktreformen: die Lockerung des Kündigungsschutzes (2011) und die Neugestaltung der Lohnfindung (2013), die Vereinbarungen auf Betriebsebene den Vorrang vor Branchenabschlüssen einräumt.

Kündigungsfristen

Innerhalb der ersten zwei Jahre des Arbeitsverhältnisses dürfen Arbeitgeber ohne Begründung kündigen, erst nach zwei Jahren ununterbrochener Beschäftigung hat ein Arbeitnehmer Kündigungsschutz. Zuvor sind sie nur gegen unfaire Kündigungen und Diskriminierung geschützt.

Seit Mitte 2014 müssen sich Arbeitnehmer, die eine Kündigungsschutzklage bei einem Arbeitsgericht erheben wollen, zuvor an eine Schlichtungsinstanz wenden, die eine einvernehmliche Lösung im Kündigungsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer suchen soll.

Abfindungen

Bei einer Kündigung aus betriebsbedingten Gründen steht dem Arbeitnehmer eine gesetzliche Mindestabfindung zu. Darüber hinaus wird eventuell eine freiwillige Abfindung vertraglich vereinbart, deren Höhe aus dem Wochenentgelt, der Beschäftigungsdauer und dem Alter des Arbeitnehmers ermittelt wird. Die Abfindung bei betriebsbedingten Entlassungen beträgt zurzeit zwischen 676 und maximal 20.280 Euro.

Symbolbild Großbritannien Patriotismus Union Jack Einkaufstüte
Bild: Reuters/K. Coombs

Großbritannien

Tarifvertragliche Abdeckung: 29 Prozent
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 26 Prozent
Hauptebene von Tarifverhandlungen: Unternehmen

Weniger als ein Drittel (33 Prozent) der Arbeitsverhältnisse aller britischen Beschäftigten sind durch Tarifabkommen geregelt. In der Privatwirtschaft liegt dieser Anteil nur bei knapp einem Sechstel (16,66 Prozent) und die wichtigste Verhandlungsebene ist hier das Unternehmen. Im öffentlichen Sektor, wo es für fast zwei Drittel (66,66 Prozent) der Beschäftigten Tarifabkommen gibt, ist die Branchenebene für die Verhandlungen am wichtigsten.

Kündigungsfristen

Bei einer Beschäftigungsdauer von 1 Monat bis zu 2 Jahren beträgt die Kündigungsfrist lediglich 1 Woche. Bei einer Beschäftigungsdauer von 2 bis 12 Jahren beträgt sie 1 Woche je Beschäftigungsjahr (höchstens 12 Wochen). Nach 12 Jahren beträgt die Kündigungsfrist mindestens 12 Wochen.

Abfindungen

Bei befristeten Arbeitsverträgen - mit Ausnahme von Aushilfs- und Ausbildungsverträgen - hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 12 Tagessätzen pro Jahr der Betriebszugehörigkeit. Bei unbefristeten Arbeitsverträgen gilt ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 20 Tagen pro Arbeitsjahr. Abfindungen sind auf maximal 12 Monatsgehälter gedeckelt.

Schweden Stokholm Flagge
Bild: Fotolia/Christophe Papke

Schweden

Tarifvertragliche Abdeckung: 88 Prozent
Gewerkschaftlicher Organisationsgrad: 70 Prozent
Hauptebene von Tarifverhandlungen: Branche, aber viel wird den Verhandlungen auf Unternehmensebene überlassen

Obwohl der Lohn für rund 90 Prozent der Beschäftigten zumindest teilweise durch Verhandlungen auf lokaler Ebene festgesetzt wird und für weitere 11 Prozent der Lohn ausschließlich lokal ausgehandelt wird, ist in Schweden die Branchenebene für die Tarifverhandlungen entscheidend. Insgesamt wird die große Mehrheit der Beschäftigungsverhältnisse (88 Prozent) durch Tarifverträge gedeckt.

Kündigungsfristen

Die Mindestkündigungsfrist beträgt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Monat.
Bei einem Beschäftigungsverhältnis von 2 bis 4 Jahren erhöht sich die Kündigungsfrist auf 2 Monate, nach 10 Jahren auf lediglich 6 Monate. Kündigungsfristen können durch Tarifvertrag verkürzt oder verlängert werden.

Abfindungen

Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Weiterzahlung der Bezüge bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Einen Entschädigungsanspruch gibt es nur, wenn ein Gericht den Kündigungsgrund ablehnt und einen Entschädigungsanspruch festsetzt. Auch ein Arbeitnehmer kann unter bestimmten Umständen zur Zahlung einer Entschädigung an seinen Arbeitgeber verpflichtet werden.

Quellen: Sozialkompass Europa, Bundesministerium für Arbeit und Soziales; European Trade Union Institute, European Trade Union Confederation (ETUC)