1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Was hilft gegen Judenfeindlichkeit?

Daniel Derya Bellut
26. Januar 2018

Brennende Israel-Flaggen mitten in Berlin. Die Bilder bleiben. Der sichtbare Antisemitismus wird seitdem heftig diskutiert. Helfen verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten? Daniel Bellut begleitete eine Schulklasse.

https://p.dw.com/p/2ra4B
Deutschland Demonstranten verbrennen Fahne mit Davidstern in Berlin
Bild: picture alliance/dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.

Schulklassen besuchen KZ

Die Klasse Nummer 10C der Don-Bosco-Schule aus Rostock handelt heute einen Pflichttermin ab, genau wie es im Lehrbuch steht: einen Besuch im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen, nur ein paar Kilometer nördlich von Berlin. Die Schüler steigen nach einer langen Anfahrt aus den Bussen, sie wirken gelöst und gut gelaunt - der ein oder andere Teenager ist wohl zufrieden, diesen Vormittag nicht im Klassenraum sitzen zu müssen. Der Geschichtslehrer der Klasse wiederum wirkt ein wenig angespannt - offensichtlich wünscht er sich, dass seine Schüler den Ernst dieses Ortes erkennen. Immerhin: Während Fremdenführer Karl Kröhnke zur Begrüßung vor die Klasse tritt, vergräbt sich keiner der Schüler in seinem Smartphone, wie sonst üblich.

Der Guide führt die Klasse durch das Außenlager und erzählt dabei engagiert zur Geschichte des KZ. Dann nähert sich die Schülergruppe dem Eingangstor. Je näher sie dem Tor kommen, desto betrübter wirkt die Stimmung - kein Gelächter mehr, keine Neckereien. Voller Ehrfurcht stehen die Schüler vor dem Tor und lauschen Karl Kröhnke konzentriert: "Jeder, der dieses Tor passierte, war kein freier Mensch mehr. Auf der anderen Seite begann dann ein Leben im Terror, ein Leben in totaler Unberechenbarkeit." Eine Schülerin zeigt sich ein wenig unbeeindruckt. Sie fragt sich, wie das Leben im KZ denn unberechenbar sein konnte, wenn man durch harte Arbeit die Freiheit erlangte. Kröhnke scheint diese Frage schon öfters gehört zu haben. Ihm ist klar, dass sich hier ein Generationenproblem und mangelhafte Geschichtskenntnisse offenbaren. Ruhig antwortet Kröhnke: "Das war purer Zynismus! Wer bei der Arbeit rangeklotzt hat, war noch lange kein freier Mensch. Eine Garantie gab es so gut wie gar nicht." 

Die Schrecken des Nationalsozialismus erleben

Über 200.000 Häftlinge wurden zur Zeit des Nationalsozialismus in das Konzentrationslager in Oranienburg verschleppt. Homosexuelle, Juden, Sinti und Roma; allgemein Menschen, die nicht als Teil der von den Nazis so genannten "arischen Volksgemeinschaft" betrachtet wurden, kamen ganz ohne Gerichtsprozess hierher. Tausende sind hier umgekommen, durch Überarbeitung, medizinische Experimente oder durch gezielte Erschießungen.

Gedenkveranstaltung für ermordete Sinti und Roma im früheren Konzentrationslager Sachsenhausen
Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers Sachsenhausen bei BerlinBild: picture-alliance/ZB/B. Settnik

Es geht weiter durch die Gedenkstätte. Die Schüler sehen noch einige der engen Baracken, in die die Häftlinge eingepfercht wurden. Erzählt wird von der totalen Überwachung durch die SS-Wächter, die sich lauernd mit Maschinengewehren auf den Wachtürmen verschanzten. Zu sehen ist die Schießanlage, an der über zehntausend sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden. Dann die Öfen, in denen die Leichen anschließend verbrannt wurden. Viele schreckliche Eindrücke prasseln auf die Schüler ein. "Ich bin vollkommen geschockt und kann es kaum glauben, was hier passiert ist.", sagt ein betrübt dreinblickendes Mädchen, nachdem sie aus einer Baracke steigt. Ein anderer Junge fügt hinzu: "Das muss man gesehen haben, schließlich gehört das ja zur deutschen Geschichte."

Antisemitismus wieder salonfähig in Deutschland?

Der Besuch von Schülern im Konzentrationslager (KZ) soll sensibilisieren für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Eine Lektion in Zeiten, in denen antisemitische Einstellungen wieder sichtbarer werden. Im Dezember 2017 hatten Demonstranten bei einer Pro-Palästina-Demonstration in der Nähe des Brandenburger Tors israelische Flaggen verbrannt. Antisemitische Parolen sollen die Männer gebrüllt haben. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt. Szenen, die an ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte erinnern. In der jüdischen Gemeinde gibt es Befürchtungen, dass mit den muslimischen Flüchtlingen auch der Antisemitismus wieder nach Deutschland kommt.

Das American Jewish Committee (AJC) kam bei einer Studie zum Thema Antisemitismus zu der Einschätzung, dass Antisemitismus unter Flüchtlingen sehr stark verbreitet sei. Daher forderte der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster einen verpflichtenden KZ-Besuch für alle Schulklassen und Asylbewerber.

Mitgefühl kann man nicht erzwingen

Auch für die Klasse 10C aus Rostock ist der Besuch im KZ ein Pflichttermin. Der Lehrer der Klasse, Robert  Arndt, findet dennoch, dass das nicht unbedingt ein Fall von "Zwangspädagogik" ist. "Klar, Erinnerungskultur sollte nicht zu sehr erzwungen sein, denn dann verschließen sich die Schüler. Sie müssen schon natürlich einen Zugang zu dieser schwierigen Thematik finden."

Vor der Abfahrt legen seine Schüler einen Kranz und gelbe Rosen nieder, um den hier Ermordeten zu gedenken. Für die Klasse hat der Besuch zwar zum Lehrplan gehört, das Mitgefühl der Teenager wirkt dennoch vollkommen ungezwungen und echt.