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Sierens China: Rückenwind

Frank Sieren
18. April 2018

Chinas Wirtschaftswachstum übertrifft abermals die Erwartungen - trotz des drohenden Handelskrieges mit den USA. Das schafft den Spielraum, einige Probleme im Land selbst zu lösen, meint Frank Sieren.

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Wanderarbeiter in China
Bild: picture alliance/dpa

Die Nachricht wird Donald Trump sauer aufgestoßen sein, gut möglich, dass er sogar geschäumt hat: Chinas Wirtschaft ist immer weniger von Exporten abhängig und läuft runder als erwartet. Laut den neuesten Zahlen aus Peking legte Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Januar bis März um 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu. Damit toppen die Chinesen abermals die Voraussagen der Wirtschaftsexperten, die nur mit einer Zunahme von 6,7 Prozent rechneten. Der Wert liegt sogar über dem Jahresziel der Regierung, das mit rund 6,5 Prozent angegeben wurde. Dabei mussten in China zuletzt viele Fabriken schließen, die die Umwelt zu sehr belastet haben, Peking hat die Kreditvergabe gebremst, Schattenbanken ausgehoben, die Spekulation mit Versicherungen gestoppt und den Immobilienboom ausgebremst. Die Botschaft lautet jetzt also: Auch mit selbstauferlegten Einschränkungen kann China sein robustes Wachstum halten.

Natürlich kann man wie immer über die Exaktheit offizieller Zahlen aus China streiten. Ob es nun wirklich 6,7 oder nur 6,6 Prozent sind weiß nicht einmal der Staatspräsident. Auf den Trend, das haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, kann man sich aber schon verlassen. Und der Trend lautet: Es läuft besser als gedacht. Klar ist außerdem: Die Exporte werden in Zukunft eine immer geringere Rolle für die Wirtschaft Chinas spielen. Ihr Anteil an Chinas BIP ist in den vergangenen zehn Jahren von 35 auf 18 Prozent geschrumpft.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Wachstum vor allem im Inland

Der Konsum im Land selbst macht inzwischen mit 77,8 Prozent mehr als zwei Drittel des Wirtschaftswachstums aus. Damit ist er im Vergleich zum vergangenen Jahr um mehr als zwanzig Prozent gestiegen. Das ist nicht unwahrscheinlich. Der Konsum-Anteil am BIP betrug schon im vergangenen Jahr über 50 Prozent. Und im Vergleich zu den USA, wo der Anteil bei knapp 70 Prozent liegt, ist noch viel Luft nach oben. Dabei hat China gut vier Mal so viele Einwohner wie die USA und heute erst ungefähr das Pro-Kopf-Einkommen von Mazedonien erreicht. Dass Zeiten kommen könnten, in denen China sagt, "Sorry liebe Amerikaner, wir können nicht liefern, weil wir erst einmal den Bedarf unserer Bevölkerung decken müssen", ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Der Trend geht jedenfalls in diese Richtung.

China produziert also schon heute immer mehr für den eigenen Markt. Von Kosmetik über Kleidung bis hin zu technischen Geräten kaufen die lange als Sparer geltenden Chinesen mehr denn je. Besonders in den stetig weiterwachsenden urbanen Zentren hat sich der Markt für Dienstleistungen und Binnenkonsum zum Wirtschaftsmotor entwickelt. Die Chinesen kaufen auch immer mehr chinesische Produkte. Gab es vor zehn Jahren noch keine Alternative zum iPhone ist das Apple-Gerät heute nur eine Alternative unter vielen und erreichte im Verkaufsranking im vergangenen Jahr auch nur Platz vier. Die ersten drei Plätze gingen an chinesische Marken.

China Pharmabranche Gesundheitsmarkt Gesundheitssystem Symbolbild
Immer mehr Chinesen arbeiten im DienstleistungssektorBild: picture-alliance/Imaginechina

Aufschwung durch Innovation

Dass Peking verstärkt in zukunftsträchtige Schlüsselindustrien wie IT und Künstliche Intelligenz investiert, zahlt sich bereits aus. Die Online-Händler wissen immer besser, was die Kunden wollen. Die Smartphone-Bezahlapps von Alibaba und WeChat machen es kinderleicht zu konsumieren. Man kann sich Gemüse bestellen, Kinokarten und Zugtickets bezahlen, die Miete abbuchen, Fahrräder leihen und vieles mehr. Gleichzeitig kann China immer effizienter produzieren. China hat im ersten Quartal dieses Jahres 30 Prozent mehr Industrieroboter hergestellt als im Vorjahr. Die überschüssigen Arbeitskräfte wandern in den Dienstleistungssektor. Hinzu kommen neue Segmente wie zum Beispiel Elektroautos. 139 Prozent mehr wurden im gleichen Zeitraum gebaut. Die strengeren Regeln für den Immobilienkauf haben die Investoren offensichtlich nicht abgeschreckt, sondern das Vertrauen in die Stabilität des Marktes erhöht. Mit 10,4 Prozent erzielte der Immobiliensektor das größte Wachstum seit drei Jahren. Die große Wanderbewegung vom Land in die Städte hält die Nachfrage hoch. 13 bis 15 Millionen Menschen sind das jährlich. Darunter sind nicht nur Wanderarbeiter, sondern eben auch die, die es auf dem Land bereits geschafft haben und nun auch in der Großstadt leben und erfolgreich sein wollen.

Das Verbrauchervertrauen ist auf dem höchsten Stand seit drei Jahren. Das wird wohl erst einmal so weitergehen. Denn die Haushalte in China sind nicht hoch verschuldet und haben hohe Reserven. Das gleiche gilt auch für den Staat. Die Binnenverschuldung ist zwar hoch, aber das macht nichts, solange China nicht im Ausland verschuldet ist und über riesige Devisenreserven verfügt. Schlechte Nachrichten für Donald Trump also.

Die USA spielen nur noch eine marginale Rolle für China

Selbst ein kompletter Handelsstopp mit den Vereinigten Staaten würde Chinas Wachstum nur zwischen 0,3 und 0,6 Prozentpunkte reduzieren, schätzt der Pekinger Wirtschaftsprofessor Hu Xingdou. Und dass dieser Fall eintritt, ist fast ausgeschlossen. Gleichzeitig erschließt China über die "Neue Seidenstraße" neue Absatzmärkte, etwa in Südasien, Lateinamerika und Afrika. Vor diesem Hintergrund spielt auch der derzeitige Streit mit der EU um transparentere Investitionsbedingungen entlang der Seidenstraße nur eine marginale Rolle. Allein mit den ASEAN-Staaten wuchs Chinas Warenaustausch im vergangenen Jahr um neun Prozent auf 279,1 Milliarden Dollar. Wenn die Seidenstraße fertig ist, soll sie mehr als 65 Länder miteinander verbinden, die bis zu 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich vereinen. Dass ein großes Stück vom Kuchen dann jeweils an China geht, liegt in der Natur des Projekts. Dass sich die USA als Handelspartner damit vollends marginalisiert haben werden, ebenfalls.

Natürlich hat auch China Schwachstellen. Das Gefälle zwischen Stadt- und Landentwicklung bleibt eine Herausforderung für Peking, was sich in den Quartalszahlen in einem verlangsamten Konsum im Einzelhandel der ländlichen Regionen widerspiegelt. Auch die Schulden der Staatsunternehmen und öffentlichen Haushalte steigen weiter. Hochverschuldete und ineffiziente Staatsunternehmen müssten reformiert oder geschlossen, die Überkapazitäten in der Stahl-, Zement- und Aluminiumproduktion ausgeglichen werden. Doch mit dem Rückenwind eines robusten Wachstums hat Peking den Spielraum, diese Probleme Schritt für Schritt zu lösen.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.