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Politik

Mohammed Zammar, Dschihadist erster Stunde

19. April 2018

Der deutsch-syrische Islamist ist von kurdischen Sicherheitskräften verhaftet worden. Er gilt als einer der frühen Propagandisten des Dschihad. Männer wie er hinterlassen in Nahost und Europa ein gefährliches Erbe.

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Mohammed Haydar Zammar
Bild: AP

Das Bundeskriminalamt (BKA) reagierte zügig. Nachdrücklich hatte der amerikanische Geheimdienst CIA die deutsche Behörde im Oktober 2001 um Informationen zu Mohammed Haydar Zammar gebeten. Was wusste man im BKA über den deutschen Staatsbürger syrischer Herkunft, einen der mutmaßlichen Hintermänner der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und  Washington? Das BKA antwortete, Zammar halte sich gerade in Marokko auf. Am 8. Dezember um 06: 45 Uhr fliege er von Casablanca zurück nach Deutschland.

Den Flug trat Zammar nie an. Am Morgen des 8. Dezember, kurz vor dem Flug, nahm ihn ein marokkanisches Sonderkommando fest, mutmaßlich auf Betreiben der USA. Kurz darauf wurde Zammar nach Syrien ausgeflogen. Dort wurde er 2007 wegen angeblicher Mitgliedschaft in der in Syrien verbotenen Muslimbruderschaft zunächst zum Tode verurteilt. Später wurde das Urteil in eine zwölfjährige Haftstrafe umgewandelt.

Hatte die damalige Bundesregierung die Verschleppung in Kauf genommen, als sie der CIA den Tipp zu Zammar gab? Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier wies diesen Verdacht 2008 in einem Untersuchungsausschuss zurück. Als "völligen Unsinn" bezeichnete er den Vorwurf, die Bundesregierung habe "augenzwinkernd zugelassen", dass die USA den deutschen Staatsbürger Zammar hätten kidnappen lassen. Aus "humanitären Gründen" bemühe sich das Auswärtige Amt aber um die Freilassung Zammars. Auf die Bemühungen ging die Regierung Assad nicht ein - Zammar blieb im Gefängnis. Frei kam er erst Ende 2013 im Zuge eines Gefangenenaustausches zwischen der syrischen Regierung und der dschihadistischen Miliz Ahrar al-Scham, die im Gegenzug einige entführte syrische Soldaten freiließ.

Großformatiges Plakat in der Altstadt von Damaskus
Zynische Strategen der Macht: Hafiz (l.) und Baschar al-Assad, hier auf einem Plakat in der Altstadt von DamaskusBild: DW

Die Chance, nach Deutschland zurückzukehren, nutzte Zammar nicht. Er zog es vor, in Syrien zu bleiben. Im Norden des Landes wurde er nun von kurdischen Sicherheitskräften verhaftet.

Das Assad-Regime und die Dschihadisten

Zammar, Jahrgang 1961, ist ein Dschihadist der ersten Stunde. Nur zu vertraut dürfte ihm das bizarre Verhalten sein, den das Regime von Hafiz al-Assad (1930-2000) und nach ihm seines Sohnes Baschar al-Assad im Umgang mit Dschihadisten an den Tag gelegt hat. Nachdem Assad, der Ältere, die Dschihadisten bis in die 90er Jahre rigoros bekämpft hatte, entsann er sich gegen Mitte des Jahrzehnts eines Besseren: er versuchte, sie seinen Zwecken dienlich zu machen.

"Das Regime in Damaskus sah die Islamisten als das vielleicht einzige Instrument, durch das es seine Position in der Region verbessern, Einfluss gegenüber seinen Nachbarn gewinnen und Ruhe ins Landesinnere bringen könnte", schreiben die Nahost-Experten Michael Weiss und Hassan Hassan in ihrem Buch "ISIS. Inside the Army of Terror". Das Kalkül war einfach: Wer Herr über Terroristen ist, die vor dem Einsatz auch massivster Gewalt nicht zurückschrecken, hat ein Werkzeug in der Hand, mit dem er eigene Interessen effektiv durchsetzen kann.

Wie der Vater, so der Sohn

In großem Stil setzte das Regime den dschihadistischen Joker zu Beginn des neuen Jahrtausends ein. Nach den Anschlägen vom September 2001 zeichnete sich die amerikanische Invasion in den Irak ab. Baschar al-Assad, damals gut zweieinhalb Jahre im Amt, hatte angesichts des von George W. Bush propagierten "Regimewechsels" im Irak allen Anlass, auch seine eigene Regierung bedroht zu sehen.

"Für Assad bestand das Problem längst nicht darin, dass Amerika in arabische Länder einmarschiert, um einen Regierungswechsel durchzuführen", schreiben Weiss und Hassan. Darum habe Assad sich entschlossen, verstärkt auf die Dschihadisten zu setzen. Damit habe er die Amerikaner warnen wollen. Die Botschaft war klar: "Lasst mich in Ruhe - sonst schicke ich euch noch mehr Terroristen auf den Hals, die eure Soldaten töten werden", zitieren Weiss und Hassan den ehemaligen syrischen Diplomaten Bassam Barandi.

Salafist - Deutschland
Romantik des Kampfes: eine Webseite der Dschihadorganisation "Islamischer Staat" (IS)Bild: Imago/Reporters/M. Meuris

Mit Dschihadisten gegen die Opposition

Auch in Reaktion auf die Protestbewegung des Jahres 2011 setzte Assad auf die Dschihadisten. Als die Auseinandersetzung zwischen den Demonstranten und den Regime in offene Gewalt umschlug, ließ Assad einen Teil der in syrischen Gefängnissen inhaftierten Dschihadisten frei. Das Kalkül: Sie würden sich den Aufständischen anschließen oder aber eigene Oppositionsgruppen gründen. Dass sie vor Gewalt nicht zurückschrecken würden, kam ihm entgegen: Auf diese Weise könnte er die gesamte Opposition als dschihadistisch diffamieren. "Der Konfessionalismus wurde von Assad von Anfang an sorgfältig als Unterdrückungsinstrument in Szene gesetzt", zitieren Weiss und Hassan den Analysten Shiraz Maher zur Strategie des Regimes.

Alles weitere besorgten die Dschihadisten selbst. In romantisierenden, im Internet publizierten Videos priesen sie den Kampf gegen das Regime. Es gelte, die Muslime zu verteidigen und eine neue, gerechte und gottesfürchtige Gesellschaft zu begründen. Dergleichen zog viele Jugendliche an. "Hier sind die Herzen wirklich offen. Man lächelt und hat Mitgefühl", erklärte der Franzose Nicolas Bons alias Abu Abd al-Rahman in einer Videobotschaft kurz vor seinem Selbstmordanschlag 2013 in Syrien. "Ich danke Allah, dass er mich hierher gebracht hat."

Wie Nicolas Bons machten sich seit Ausbruch der Gewalt in Syrien zahllose junge Männer - und einige Frauen - auf den Weg nach Syrien, um dort in den Reihen der Dschiahdisten zu kämpfen. Wie viele es genau waren und sind, lässt sich eindeutig nicht ermitteln, es dürften aber mehrere tausend sein. Sie alle lieferten, ob bewusst oder nicht, Assad und seinen Unterstützern Russland und Iran, den Vorwand, gegen die Opposition mit aller Härte vorzugehen.

Lose Netzwerke

Inzwischen ist der IS in Syrien wie auch im Irak militärisch weitestgehend besiegt. Losere Netzwerke dürften allerdings weiter bestehen. Vor allem sie bereiten den europäischen Sicherheitsbehörden große Sorgen. Einige Staaten greifen offenbar zu drastischen, den Rahmen des Rechtsstaates überschreitenden Mitteln.

Es sollte alles getan werden, um ihre Rückkehr zu verhindern, erklärte etwa im Dezember vergangenen Jahres der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson. Darum, deutete er an, würden britische Dschihadisten in Syrien und im Irak auch gezielt ins Visier genommen. "Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich über Syrien und Irak und andere Regionen verteilen. Wir jagen sie dort weiter", so Williamson. "Ein toter Terrorist kann Großbritannien keinen Schaden mehr zufügen."

Die meisten der derzeitigen IS-Kämpfer dürften erheblich jünger sein als der 57-jährige Mohammed Haydar Zammar. Er entstammt einer anderen Dschihadisten-Generation als seine Nachfolger, die zugleich romantischer und zugleich brutaler und zynischer sind.

Zammar selbst wird vorgeworfen, nach der Jahrtausendwende zahlreiche junge Männer für den Dschihad begeistert zu haben. Er selbst befindet sich nun ein weiteres Mal in Gefangenschaft, dieses Mal in der der syrischen Kurden.

Viele derer aber, die seinem Ruf und dem anderer Propagandisten gefolgt sind, bewegen sich irgendwo zwischen dem Nahen Osten und Europa. Das Werk der Propagandisten ist aufgegangen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika