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Lieber Telearzt als Dr. Google

Uta Steinwehr
10. Mai 2018

Was in anderen Ländern längst gang und gäbe ist, diskutiert aktuell der Deutsche Ärztetag: Dürfen Mediziner bald auch neue Patienten per Video und Telefon behandeln? Ein Gesundheitsökonom sieht mehr Vor- als Nachteile.

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Symbolfoto zur Telemedizin Ärztin in einer Praxis kommuniziert mit dem Patienten über eine Webcam
Bild: Imago/Jochen Tack

Deutsche Welle: Welche Regeln gelten für die Telemedizin bisher in Deutschland?

Boris Augurzky: Aktuell kann ich mich wegen des Fernbehandlungsverbots nicht als Patient telefonisch an einen Arzt wenden, bei dem ich noch nicht war, um meine Symptome zu schildern und eine Diagnose zu bekommen. Falls der Patient schon von einem Arzt betreut wird, dann darf er für ein Behandlungsgespräch mit ihm auch telefonisch oder online in Kontakt treten. In der Schweiz gibt es die Fernbehandlung schon seit über zehn oder sogar 15 Jahren. Da können die Menschen zum Beispiel abends oder am Wochenende bei einer Telefonnummer anrufen, bekommen Diagnosen gestellt und bei Bedarf elektronische Rezepte.

Wann ist eine Ferndiagnose sinnvoll?

Wenn ich außerhalb der normalen Sprechzeiten bin, es allerdings nicht so akut ist, dass man direkt ins Krankenhaus gehen muss. Reichen Kleinigkeiten, die ich zu Hause erledigen kann? Oder soll ich doch möglichst schnell den nächsten Arzt oder das Krankenhaus aufsuchen? Gerade vor dem Hintergrund, dass die Notfallambulanzen oftmals überlaufen sind, könnte man so auch einen Teil der Patienten besser steuern.

Prof. Dr. Boris Augurzky
Boris Augurzky, Leibniz Institut für WirtschaftsforschungBild: RWI/Sven Loren

Aus Patientensicht ist es außerdem bequem: Ich kann Zeit sparen und zu Hause relativ schnell, wenn erforderlich, Gegenmaßnahmen einleiten. Lange Wartezeiten in einem überfüllten Wartezimmer bleiben erspart, die negative Effekte haben können, bis dahin, dass man sich vielleicht bei anderen Patienten ansteckt. Das habe ich zu Hause alles nicht. Und ich bekomme eine gut fundierte Aussage, die besser ist, als wenn ich selbst bei Google und Co. recherchiere. Das Internet bietet zwar auch gute Informationen, aber ungefiltert. Als Laie weiß man nicht genau: Ist es jetzt das Richtige oder nicht?

Wie groß ist das Risiko einer Fehldiagnose, wenn der Arzt nur auf das Gespräch und das Optische angewiesen ist, aber den Patienten nicht abtasten kann? Je nach Kamera oder Lichtverhältnissen kann die Hautfarbe im Video auch verfälscht werden.

Völlig korrekt. Bei manchen Behandlungen oder Diagnosestellungen brauche ich den Patienten vor Ort oder zumindest gute Bilder. Da sehe ich dann den Arzt in der Verantwortung einzuschätzen: Reicht diese Ferndiagnose oder reicht sie nicht? In der Schweiz gibt es Überlegungen, dass der Patient zusätzlich in eine Apotheke um die Ecke geht, wo man Leistungen wie Blutentnahmen anbietet. Dezentral und vor allem wohnortnah. Das Thema Fehldiagnose steht aber immer im Raum. Das kann auch heute passieren, wenn ich gar keine Leistung in Anspruch nehme und im Internet recherchiere. Dann lieber eine professionelle Unterstützung per Telefon. Also wie immer: Es gibt Vor- und Nachteile. Ich glaube, die Vorteile überwiegen für die Patienten, wenn wir Fernbehandlung zulassen.

Wo bleibt in der digitalen Patient-Arzt-Beziehung die menschliche Nähe und Vertrautheit?

Ich denke, da müssen wir größer denken. Wenn es uns gelingt, die - ich nenne mal diesen Begriff - Bagatellanfragen im Wartezimmer zu reduzieren, sie aber trotzdem sinnvoll über telefonische Kontakte oder online zu beantworten, dann bleibt am Ende mehr Zeit für die Menschen, die es bitter nötig haben, einen Arzt zu sehen. Momentan gehen wir in eine unheimliche Breite und jeder bekommt nur ein bisschen Zuwendung ab.

Medizin im Internet - Worauf muss man achten?

Ich bin auch überzeugt davon, dass viele Menschen einfach nur jemanden sprechen müssen, der ihnen sagt, es ist jetzt gar nicht so schlimm, warte das Wochenende ab und komme bei Bedarf nächste Woche in die Praxis. Damit kriegen wir eine Menge Anfragen vielleicht raus aus dem System.

Ich möchte hinzufügen: Es ist für die Patienten grundsätzlich eine freiwillige Sache. Man muss Fernbehandlung ja nicht in Anspruch nehmen. In der Schweiz zum Beispiel rufen bei dem Angebot ungefähr 5000 Menschen pro Tag an. Ich würde aber tippen, die Mehrzahl der Schweizer geht trotzdem in die Arztpraxis.

Ein Argument der Befürworter ist, dass ländliche Regionen medizinisch besser abgedeckt werden könnten. Könnte es umgekehrt auch dazu führen, dass sich gar kein Arzt mehr auf dem Land niederlässt und alte Menschen keinen Arzt mehr finden, der Hausbesuche macht?

Ich glaube, auch ohne die Telemedizin laufen wir in diese Richtung. Ich würde andersherum argumentieren: Wir werden es nicht vermeiden können, dass im Ländlichen die hausärztliche und fachärztliche Versorgung schlechter wird. Deshalb müssen wir unbedingt mit anderen Methoden gegensteuern, wie zum Beispiel mit Telemedizin.

Ein Foto eines Leberflecks auf einem Smartphonebildschirm (Foto:Picture Alliance)
Ein Foto kann lästige Warterei verkürzen Bild: picture-alliance/dpa/D. Naupold

Es wird aber nicht der letzte Schritt sein, dass die Versorgung auf dem Land nur noch am Telefon oder am Bildschirm stattfindet. Sondern es ist vielleicht der erste Schritt, um im Ländlichen ergänzende, dezentrale Strukturen auch mit Personen als Ansprechpartner zu schaffen. Vielleicht mit besagter Apotheke mit einem kleinen Behandlungsraum, wo eine Assistenz den Kontakt zu einem Zentrum aufnehmen kann, in dem Ärzte sitzen.

Weltweit sehen wir da eine Menge Veränderungen. Das ist ja nicht nur die Schweiz. Nehmen Sie Kontinente wie Afrika, wo wahrscheinlich ohnehin nur über solche telemedizinischen Modelle eine gute und flächendeckende Versorgung im Ländlichen aufgebaut werden kann. Dort haben die Menschen noch viel größere Distanzen, um überhaupt einen Arzt sehen zu können.

Bleibt die Frage, wie es mit dem Datenschutz aussieht

Ich kann nur die Forderung aufstellen: Ja, das müssen wir sicher abwickeln. Am Ende des Tages ist es die Entscheidung des Patienten, ob er es nutzen möchte. Allerdings ergab eine unserer Umfragen, dass der deutschen Bevölkerung der Datenschutz zwar sehr wichtig ist, aber gerade im Gesundheitsbereich ist man großzügiger, weil man weiß, man profitiert selbst davon, und es geht nicht nur um Werbezwecke.

Warum sind wir in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz oder Schweden noch nicht so weit? Wer hat sich quer gestellt?

Es war noch nicht lange her, vielleicht zwei drei Jahre, da hatte Herr Montgomery (Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer - d. Red.) auf einem Ärztetag gesagt, dass man eben genau solche Fernbehandlung nicht möchte. Jetzt ändert er seine Meinung und wirbt eher für diese Behandlungsform.

Bisher haben Ärzte in Deutschland schon ein starkes Bedürfnis, den Patienten an sich zu binden und ihn nicht so sehr als jemanden zu sehen, der vielleicht auch Service erwartet. Für Ärzte ist es angenehmer, wenn die Patienten gebunden und eher "Bittsteller", brav im Wartezimmer sitzend. Sobald Fernbehandlungen möglich sind, können Patienten auch ganz andere Wege gehen. Ob ich den Arzt in der Nachbarschaft aufsuche oder hunderte Kilometer entfernt, ist überhaupt keine Hürde. Da befürchten vermutlich einige Einbußen.

Wenn man aber langfristig darüber nachdenkt, auch aus Ärztesicht, ist man froh, wenn die Wartezimmer nicht mehr so voll werden und man mehr Zeit für die schwierigen Fälle hat. Und gerade für Ärzte mit familiären Verpflichtungen kann es attraktiv sein, im Home Office Patienten telefonisch oder online zu beraten.

Professor Boris Augurzky ist Leiter des Kompetenzbereichs "Gesundheit" am RWI – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er interessiert sich dafür, wie innovative Technologien eingesetzt werden können, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Das Interview führte Uta Steinwehr